Puccini 3
24.5.2019 (Premiere am 1.12.2018)
Lungerern weis ich den Weg…
Die ungarische Staatsoper feiert zwischen 18. Mai und 10. Juni ein besonderes Puccini Festival, in dessen Verlauf alle Opern des aus Lucca stammenden Meisters des Verismo gezeigt werden. Puccinis „Mädchen aus dem Goldenen Westen“ wurde mehr als 40 Jahre lang nicht mehr an der Ungarischen Staatsoper gezeigt. Für die Neuinszenierung und umstrittene Neuinterpretation des ursprünglichen Schauspiels von David Belasco (1853-1931) wurde der russische Regisseur Vasily Barkhatov, verheiratet mit der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian, die bei den Salzburger Festspielen 2018 die Salome verkörpert hatte, verpflichtet. Wer geglaubt hat, der Plot der Oper würde in Kalifornien, 1849-50 zur Zeit des Goldfiebers spielen, dessen Erwartungen wurden bereits beim Öffnen des Vorhangs bitter enttäuscht.
Der Regisseur verlegte nämlich die Handlung von Kalifornien nach Westeuropa, an den Rand einer Großstadt. Dort lungern in riesengroßen in drei Reihen übereinander gestapelten Betonrohren (Bühnenbild: Margolin Zinovy) illegale Einwanderer herum, deren Persönlichkeit und Herkunft durch schlichte abwechslungsreiche Kleidung (Kostüme: Olga Shaishmelashvili) bestimmt wird. Schließlich schiebt Minnie in Jeans, sehr heutig gekleidet, ihr Einkaufsfahrrad durch ein Rohr. Der Text der Oper klafft mit der Bühnenrealität sehr oft auseinander. Die Post wird den Einwanderern aber nicht durch einen Postboten zugestellt, sondern via E-Mails auf einem Laptop. In Minnies Heim tritt ihre Dienerin Wowkle als hochschwangere Muslima auf, eine, meiner Meinung nach, reichlich überzeichnete und nicht schlüssige Aktualisierung. Geradezu peinlich wirkte der rasche Umbau einer Couch in ein Doppelbett, auf das sich Minnie und Ramerrez in innigstem Vertrauen zurückziehen, es aber sogleich aus Angst vor Entdeckung ebenso rasch wieder schließen. Den größten Eingriff aber macht der Regisseur mit dem Ende der Oper. Während dort Minnie und Ramerrez gemeinsam das Goldgräber Lager verlassen, wird dieser vom Sheriff Jack Rance, der in dieser Inszenierung ein Polizist ist, erschossen. Er stirbt in den Armen Minnies, erhebt sich dann aber in der Vorstellung Minnies wieder und verlässt die Szene…
Die drei Hauptfiguren der Oper, Minnie, Ramerrez und der Sheriff, waren an diesem Abend exquisit besetzt. Éva Bátori als Minnie gestaltete diese Figur als mütterlichen Typ, der für die Probleme der Arbeiter stets ein offenes Ohr hat und darüber ihr eigenes Schicksal in den Hintergrund drängt. Mit ihrem kräftigen Sopran trat sie gleich zu Beginn bühnenbeherrschend auf. Ihr zur Seite standen an diesem Abend zwei ebenso starke Sängerdarsteller: Der aus Uruguay stammende Tenor Gaston Rivero gab einen starken Banditen Dick Johnson, der aus Liebe zu Minnie darauf verzichtet, diese zu bestehlen. Um deren Liebe buhlt aber auch der Polizist Jack Rance, gesungen von einem der führenden Baritone der Ungarischen Staatsoper, Csaba Szegedi, den Minnie im Pokerspiel um den Banditen Ramerrez durch eine Mogelei geschickt besiegt. Puccini war sich des Problems bewusst, dass er nicht für die übrigen kleineren Rollen jeweils Arien schreiben konnte.
Die Gesamtleistung der übrigen Sängerdarsteller war ohne Abstriche ausgewogen: Péter Balczó als Kellner des Saloons „Polka“ Nick, Marcell Bakonyi Agent der Transportgesellschaft „Wells Fargo“, Ashby. Antal Cseh, Gergely Ujvári, Lajos Geiger, Attila Erdős, Tivadar Kiss, Ferenc Kristofori, Róbert Rezsnyák, Géza Gábor, als Goldgräber Sonora, Trin, Sid, Bello, Harry, Joe, Happy und Jim Larkens. András Kőrösi und Melinda Heiter ergänzten gesanglich einwandfrei und darstellerisch äußerst spielfreudig in den Rollen von Billy Jackrabbit und seiner Frau Wowkle. András Káldi-Kiss trat zu Beginn als Bänkelsänger Jake Wallace mit stabilem Bariton auf und András Kiss ergänzte als Mestize José Castro aus der Bande von Ramerrez mit erdigem Bass. Balázs Kocsár sorgte am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper für einen betont gefühlvollen Puccini-Sound und gestaltete die intimen Passagen zwischen Minnie und Ramerrez mit einfühlsamen Piani. Der Chor der Ungarischen Staatsoper war von Gábor Csiki bestens einstudiert worden. Die abwechslungsreichen Lichteffekte steuerte der aus Russland stammende Alexander Sivaev bei. Die drei Sänger der Hauptrollen wurden vom Publikum besonders gefeiert, die Interpreten der übrigen Rollen, der Chor und der Dirigent am Ende der Vorstellung gleichfalls.
Fotocredits: Szilvia Csibi