Première 12.12.15
besuchte Vorstellungen am 19. und am 20.12.15
Große sängerische Leistungen in traditioneller Inszenierung
Nur einmal, nämlich am Tag der Premiere wurden alle drei Einakter in der Inszenierung von Ferenc Anger gemeinsam aufgeführt, danach wurden die beiden ersten Teile jeweils mit dem langjährigen Erfolgshit der Ungarischen Staatsoper, Gianni Schicchi, kombiniert. Bereits in der Saison 1997/98 gab es ein Triptychon an der Ungarischen Staatsoper, allerdings in ungarischer Sprache gesungen. Danach erschienen einmal il tabarro und dann Suor Angelica in italienischer Sprache, aber mit anderen Opern bzw. mit Gianni Schicchi auf Ungarisch kombiniert. Regisseur Ferenc Anger ließ nun durch seinen Ausstatter Gergely Z. Zöldy für die drei Teile des Triptychons einen Einheitsraum gestalten, der jeweils leicht adaptiert werden kann. In il tabarro liegt der Kahn von Michele mit dem Namen Santa Maria in der Mitte der Bühne auf der Seine vor Anker. im Hintergrund erkennt man die Kathedrale Notre Dame de Paris. Aus diesem Kahn wird dann für Suor Angelica ein Kräutergarten und für Gianni Schicchi schließlich das Bett des toten Buoso. Zu beiden Seiten hin wird dieser Bühnenraum von Kolonnaden gesäumt, darüber liegt eine Veranda, die auch als Straßencafé und als Eingang zu einem Hafencabaret für il tabarro dient. Santa Maria steht dann auch noch auf der Einsäumung des Gartens des Klosters, während das „M“ dann für Gianni Schicchi wegfällt und man „Santa Aria“ lesen kann. Humor im Detail also. Und dieses Motto zieht sich durch alle drei Teile.
Il tabarro 20.12.
Károly Szemerédy, ein international gefragter Bariton, der bereits in Lyon, Madrid, Turin, München und Warschau auftrat, gestaltete einen unheimlichen, verbitterten und zugleich innerlich zerrissenen und verzweifelten Michele. Kein Wunder also, wenn sich Eszter Sümegi als Giorgetta, nach dem tragischen Tod ihres gemeinsamen Kindes, eine andere Zukunft erträumt. Ihre sehnsuchtsvollen, leidenschaftlichen Ausbrüche waren ideal für diesen veristischen Einakter. Mit ihrer ausgewogenen Technik gelang der sympathischen Sopranistin in gesanglicher Hinsicht wieder einmal eine Spitzenleistung. Bei ihrem weit gefächerten Repertoire ist es eigentlich sehr verwunderlich, dass man sie an der Wiener Staatsoper nicht mehr bewundern kann.
Um aus ihrem tristen Alltag entfliehen zu können, setzt sie all ihre Hoffnung auf den jungen Löscharbeiter Luigi, den der ungarische Haustenor Attila Fekete stimmlich in guter Form und ausdrucksstark im Spiel interpretierte. Die übrigen kleineren Rollen waren mit János Szerekován als Tinca mit schön geführtem Tenor, Géza Gábor als Talpa mit behäbigem Bass, Bernadett Wiedemann als Frugola. Von der Veranda aus stimmte dann der Liederverkäufer Illés Rács seine kurze Canzone an, die von Mitgliedern des Chores nachgesungen wurde, während sich im Hintergrund das Liebespaar Edina Kersák und János Novák ein Stelldichein gaben.
Suor Angelica 19.12.
In Budapest ist es üblich, zum Wochenende Vorstellungen auch am Vormittag anzusetzen. Was für einen Teil des Publikums eine angenehme Einrichtung darstellt, ist für einen Großteil der Künstler natürlich Schwerstarbeit. Zum einen finden ja Vorstellungen regelmäßig erst am Abend statt, die Vormittage dienen eigentlich ausschließlich den Proben und dem Rollenstudium. Fazit: der mit Suor Angelica gekoppelte Gianni Schicchi war am nächsten Abend, dieses Mal gekoppelt mit il tabarro, um vieles besser, weshalb ich dann die zweite Aufführung besprechen möchte.
Betont beschaulich beginnt Suor Angelica. Die Schwestern singen und gehen ihren Tätigkeiten nach. Unter ihnen ist auch Angelica, die vor sieben Jahren hier eingesperrt wurde, weil sie, wie sich später herausstellt, ein uneheliches Kind bekommen und so die Familienehre befleckt hat. Nur der Gedanke an ihr Kind hält sie am Leben. Ihre Tante, die stolze Fürstin, kommt zu Besuch. Ein Trenngitter wird zwischen ihnen herabgelassen. Ildikó Komlósi war eine wahrlich martialische eiskalte Fürstin, die kein Mitleid mit ihrer ins Kloster verbannten Nichte empfand. Wie beiläufig berichtet sie Angelica, dass ihr Kind schon vor einigen Jahren verstorben sei, schminkt sich dann die Lippen und bringt ihre Frisur wieder in Ordnung und lässt die völlig Verzweifelte zurück. Angelica nimmt sich mit giftigen Pflanzen das Leben, bereut und fleht die Muttergottes um Gnade für ihre Todsünde an. In einer Vision erscheint der Sterbenden eine ganze Reihe von Kindern, die von der Balustrade im Hintergrund herabsteigen.
Angelica glaubt ihren Sohn unter ihnen wieder finden zu können und sieht sich in letzter verzweifelter Aufbäumung nach ihm um… Neben der Fürstin gibt es nur eine wirklich große Rolle in der lyrisch-tragischen Suor Angelica, nämlich die Titelrolle. Gabriella Létay Kiss war eine perfekte Angelica an diesem Vormittag mit expressivem Sopran in den verzweifelten Ausbrüchen und zarten lyrischen Pastelltönen im Umgang mit ihren Mitschwestern. Die Äbtissin von Veronika Létay Kiss besaß für meinen Geschmack einen doch etwas unruhig geführten Alt. Die übrigen Schwestern sangen zufriedenstellend und agierten rollengemäß: Mária Farkasréti als Schwester Eiferin, Ágnes Molnár als Schwester Genovieffa, Annamária Kovács als strenge Schwester mit herrlichem Alt, Márta Kempf als Schwester Osmina, Mónika Budai-Langermann als Schwester Dolcina, Szilvia Vörös als Krankenpflegerin, Zsuzsanna Bazsinka und Erika Markovics als erste und zweite Almosensucherin, Eszter Zavaros und Nadin Haris als erste und zweite Novizin und Nikoletta Bolya Papp und Júlia Magassy als erste und zweite Laienschwester.
Gianni Schicchi 20.12.
Für diesen komischen Einakter ließ sich der Regisseur einige äußerst witzige Pointen einfallen. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf das riesige Bett mit einem roten Überwurf, unter dem sich der tote Buoso Donati befindet. Von der Balustrade blicken die Verwandten erstarrt zu ihm hinunter. Lediglich der kleine Gherardino mit roter Schirmkappe begleitet, läuft hinab und kriecht unter die Decke des Toten und klettert auf ihm herum bis er schließlich wieder mit einem Teddybären unter dem Arm auftaucht. Aus dessen Po hängen einige Papierstreifen, das Testament des Verstorbenen. Der Knabe möchte alle darauf aufmerksam machen, aber niemand schenkt ihm Gehör, denn alle suchen hektisch nach dem Testament. Endlich kann sich Gherardino durchsetzen und der Teddybär wird ihm von Rinuccio entrissen. Aber nicht lange kann er sich seines „Fundes“ erfreuen, denn schon hat sich seine Tante Zita des Teddys bemächtigt.
Der tote Signor Buoso ist übrigens ein riesengroßer Bär in dieser Vorstellung, wofür ich keine Erklärung fand, weil Bär auf italienisch „orso“ heißt und für Buoso gibt es keine Übersetzung ins Deutsche. Allerdings bedeutet „orso“ im übertragenen Sinn auch ungeschliffener bzw ungeselliger Mensch, und ein solcher könnte ja der Verstorbene gewesen sein, wenn er seinen Verwandten nichts vermachen wollte. Als dann Péter Kálmán als prachtvoll anzusehender Schelm Gianni Schicchi auftritt und das Testament studierend auf- und abgeht, tänzelt die Verwandtschaft dazu trippelnd hinter ihm ebenfalls auf und ab. Der herbei geholte Arzt Maestro Spinelloccio, Gábor Németh, hört dann seinen Patienten nicht mit einem Stethoskop, sondern mit einem alten roten Telefon mit Wählscheibe und Hörer ab. Und während Gianni Schicchi dann sein Testament dem Notar Amantio di Nicolao, Zoltán Bátki Fazekas, diktiert, lässt der Schlingel Gherardino drei Luftbälle, auf denen ein Maultier, ein Haus und eine Windmühle abgebildet sind, zerplatzen. Diese drei wertvollsten Erbteile spricht sich der Schelm selber zu. Oft wundert man sich, weshalb das Maultier denn so wertvoll ist. Ganz einfach. Die Oper spielt im Jahr 1299. Es gab also noch keine Kfz, mit denen man Lasten leicht von einem Ort zum anderen hätte verschaffen können.
Mit Pferdefuhrwerken konnte man auch steilere Wege und Straßen kaum befahren, weshalb der Besitz eines Lasttieres schon etwas Besonderes und Wichtiges war, um Güter leichter und schneller transportieren zu können. Die geldgierige Verwandtschaft des teuren Verblichenen verlieh jeder Figur ihr eigenes, unverwechselbares Profil und auch stimmlich wurden alle Charaktere treffend gezeichnet. Bernadett Wiedemann mit ihrem unverwechselbaren Alt verlieh Buosos Cousine Zita eine richtiggehend martialische Ausstrahlung. Ihr Neffe Rinuccio hatte bei Péter Balczó aber in den höheren Lagen deutliche Intonationsprobleme und wirkte streckenweise sehr überbeansprucht. Die Lauretta war in der Kehle von Orsolya Sáfar mit hellem Sopran bemerkenswert gut aufgehoben. Als sie dann von ihrem Vater auf die Veranda geschickt wird, um die Vögel zu füttern, freift sie zunächst frech in die Hosentasche von Gherardo, um das Vogelfutter daraus zu entnehmen, eilt auf die Terrasse und wird schließlich nach einiger Zeit von den Vögeln – in Hitchcock-Manier – attackiert. Als Nella wartete die griechisch stämmige Wahlungarin, Cleo Mitilineou, mit eleganter Stimmführung ihres soliden Soprans auf. János Szerekován stand ihr als Gherardo mit solidem Tenor spielfreudig zur Seite. András Kiss bettete den Betto di Signa in seinen wohltuenden, samtenen Bass. Tamás Szüle glänzte als Simone mit behäbigem Bass, Tamás Busa brachte für die Rolle des Marco seinen warmen Bariton ins Spiel. Mária Farkasréti wiederum verlieh der Rolle der La Ciesca ihren soliden Mezzosopran. Die Rolle des Schlingels vom Dienst, Gherardino, wurde vom Regisseur bewusst aufgewertet. Der Knabe hatte alle Hände voll zu tun. Und man sah es Botond Takács an, dass ihm diese Rolle außerordentlich gefiel. Die Gehilfen des Notars, der Schuster Pinellino und der Färber Guccio, waren bei Álmos Gyarmati und László Szentimrei, aller bestens aufgehoben. So einen vergnüglichen Gianni Schicchi habe ich schon lange nicht gesehen. Bravo!
Gergely Kesselyák leitete an beiden Tagen das Orchester der Ungarischen Staatsoper im Erkel Theater, das die Stimmungslagen der einzelnen Einakter – tragisch, lyrisch und komisch – brilliant umzusetzen verstand. Kálmán Strausz und Gyöngyvér Gupcsó unterstützen ihn dabei durch den exzellent einstudierten Chor und Kinderchor der Ungarischen Staatsoper.
Es war eine große Freude für den Rezensenten, einer Aufführung des Triptychons, wenn auch auf zwei Tage aufgeteilt, wieder einmal beiwohnen zu können. Es hat sich jedenfalls ausgezahlt und auch das Publikum dankte es jubelnd den beteiligten Sängern und war mit dieser konventionellen Inszenierung zufrieden.
Harald Lacina, 22.12.15
Fotocredits: Attila Nagy