25.5.2014 Premiere
Eine Kraftanstrengung, die sich gelohnt hat!
Mit der „Frau ohne Schatten“ hat die Ungarische Staatsoper Budapest rechtzeitig zum 150. Geburtstag des Komponisten nunmehr insgesamt sechs Opern im Repertoire. Für Eszter Sümegi, der Sängerin der Kaiserin, ist es nach der Marschallin und Arabella bereits die dritte Rolle in einer Richard-Strauss- Oper, für Szilvia Rálik, der Färberin, ist es nach Salome und Elektra ebenfalls bereits die dritte Strauss-Rolle. Interessantes Detail am Rande: beide Künstlerinnen verkörperten auch die Rolle der Tosca an der Ungarischen Staatsoper, die ich am Abend zuvor gesehen hatte. Eszter Sümegi debütierte darüber hinaus mit dieser Rolle am 12.11.2004 an der Wiener Staatsoper.
Immer wieder drängt sich bei der „Frau ohne Schatten“ ein Vergleich mit Mozarts „Zauberflöte“ auf. In beiden Opern regieren Geisterwesen. Sarastro entspricht dem Geisterkönig Keikobad, nur das dieser niemals persönlich auftritt, die Königin der Nacht der Amme in der „Frau ohne Schatten“. Und wie bei Mozart haben wir auch bei Richard Strauss die doppelten Paare. Bei Mozart müssen diese aber erst zueinander finden und sich bewähren. Bei Strauss hingegen haben die beiden Paare, Kaiser-Kaiserin, beide Herrscher der südöstlichen Inseln in einem Geister- bzw. Traumreich, das von den sieben Mondbergen umschlossen wird, und das irdische Färberpaar einander bereits gefunden. Ihre Liebe aber ist gefährdet und droht zu zerbrechen. Sie muss sich erneuern und wird – hie wie dort – harten Prüfungen unterzogen.
In Carlo Gozzis „Turandot“ erscheinen ein Barak als Mentor von Prinz Kalaf und ein König Kaikobad, in dessen Diensten sich Kalaf als Gärtner verdient gemacht hatte.
Der literarisch belesene und versierte Hugo von Hofmannsthal verwendete für sein dreiaktiges Libretto Goethes „Das Märchen“ aus den „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter“ (1795), Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ (1827), Teile aus den Geschichten aus tausendundeiner Nacht und sein eigenes Drama „Der Kaiser und die Hexe“ (1897). Darüber ist das Werk natürlich von den Erkenntnissen über das Unterbewusstsein, das Unbewusste und die Traumtheorien von Siegmund Freud und Carl Gustav Jung beeinflusst. Das Ergebnis war eine äußerst komplexe und komplizierte Märchenoper mit dem einen Hauptthema des Segens der Liebe durch Geburt von Kindern. Und der „Schatten“ in dieser Oper steht als Symbol für die Fähigkeit zur Mutterschaft, welche die Kaiserin nicht besitzt, da das Licht durch sie wie durch Glas durchdringt.
Auf Grund der verschiedenen Ebenen in dieser Oper, der Traum- und der realen Welt, stellt jede szenische Aufführung stets eine große Herausforderung dar.
Regisseur János Szikora hat 1989 für die Ungarische Staatsoper Budapest seine erste Strauss-Oper „Salome“ in einem Jugendstil-Ambiente in Szene gesetzt. Für die Frau ohne Schatten kreierte er gemeinsam mit Bühnenbildner Balázs Horesnyi eine metaphorische Bühne, die aus zwei konzentrischen Kreisscheiben, eine am Boden und eine in der Mitte geöffnete oben besteht. Dieses kreisförmige „Weltdach“ öffnet sich in Richtung des Zuschauerraumes und wird von zwei Säulen getragen. Oberhalb der Bühne befindet sich eine breite Leinwand, die dreigeteilt ist und Nahaufnahmen der Sänger mittels live übertragener Videoprojektionen zeigt. Und es wird auch eine dahin eilende Gazelle gezeigt, die der jagende Kaiser verfolgte und die sich schließlich in die Kaiserin transformierte, die sich seit dieser Zeit nicht mehr verwandeln kann. Und immer wieder werden die narrativen Elemente der Oper filmisch unterstrichen, so etwa, wenn der Falke auftritt, oder wenn Barak im ersten Akt den Geruch von Fischen preist, dann sehen wir diese, wie sie noch zappelnd auf einem ausgebreiteten Tuch ihr Leben lassen. Die Erscheinung des Jünglings erscheint gedoppelt. Auf der Bühne verharrt der Darsteller mit nacktem Oberkörper, während in der filmischen Auflösung ein nackter Mann die Färberin bedrängt und mit ihr ringt und die Sängerin auf der Bühne lediglich ein Phantombild dieses Jünglings umarmt. Fallweise wird auch das Reich der fernöstlichen Inseln mit den sieben Mondbergen in einer Videoeinspielung gezeigt. Vermutlich handelt es sich dabei um die Inselwelt im Golf von Thailand?
Problematisch sind die Kostüme Kati Zoób. Der Kaiser ähnelt einem russischen Zaren, während die Kaiserin in ihrem orientalischen Pumphosen und einer helmförmigen Kappe wie eine fernöstliche Norma erscheint. Die Amme trägt die meiste Zeit über ein elegantes schwarzes Abendkleid. In der Menschenwelt tragen Amme wie Kaiserin fantasievolle, um die Hüfte weit ausladende Mäntel. Schlicht und einfach ist der Färber Barak und seine drei behinderten Brüder gekleidet. Sie sind Handwerker und zugleich von den Menschen abgeschieden, da es ihr Beruf als Färber mit sich bringt, mit streng riechenden Essenzen hantieren zu müssen.
Die Färberin hat in dieser unglücklichen Beziehung nicht nur „symbolisch“ die Hosen an. Sie trägt auch Stiefel, weist das Liebeswerben Baraks zurück, weigert sich ihn zu bekochen, raucht selbst bewusst Zigaretten und demonstriert auf diese Weise Emanzipation und Selbstverwirklichung.
Der Geisterbote, der Wächter der Pforte und der Falke sind in ihren Kostümen als abstrakte Schemen gekleidet. Ebenso treten noch zwei Statisten als Engel mit riesigen roten Flügeln und einem feurigen Schwert auf.
Der symbolträchtige „Schatten“ ist ein schwarzes Cape, das die Amme vom Rücken der Färberin löst und welches am Ende, für meinen Begriff szenisch verfehlt, als lange Schleppe von den noch ungeborenen Kindern um die beiden Paare und schließlich um mehrere im Hintergrund einander umarmende Paare verschiedenen Geschlechts geschlungen wird. Diese Paare kehren einander am Ende der Oper den Rücken zu und die Männer tragen ihre Frauen, wie mit einer schweren Last beladen, nach dem Bühnenhintergrund.
Die fünf Hauptpartien der Oper waren an diesem Abend mit hervorragenden Sängerdarstellern besetzt. Eszter Sümegi war eine ideale Kaiserin, die problemlos das hohe D im ersten Akt und das hohe Des im zweiten Akt (nach Angabe der Künstlerin, die ich an Hand der Partitur nicht überprüfen konnte) meisterte, ohne forcieren zu müssen. Sie hielt diese Wahnsinnspartie vibratoarm bis zum Schluss problemlos durch. Mit dem samtenen Timbre ihrer Stimme vermag sie sowohl im Forte als auch im Piano wunderschöne Linien zu singen. Darstellerischer Höhepunkt war für mich zweifellos ihr starker innerer Kampf vor dem versteinerten Kaiser und ihr markerschütternder Schrei, als sie das Wasser des Lebens zurückweist: „Ich – will – nicht“ – Totenstille, bis die Musik nach einer gewaltigen Generalpause wieder vorsichtig anhob.
István Kovácsházi stand ihr zur Seite in der neben dem Bacchus wohl undankbarsten Rolle des Kaisers mit strahlendem Heldentenor in nichts nach. Obwohl er ebenfalls ein Wesen der Traumwelt ist, darf er allzu menschliche Gefühle zeigen, wenn er seine Gattin der Untreue ob ihres Besuches bei den Menschen zeiht. Sehr textverständlich blieb er auch im Forte, was ich an diesem Sänger besonders zu schätzen weiß.
Szilvia Rálik hat mit der Rolle der Färberin die längste Partie in dieser Oper zu singen. Als Salome und Elektra erfahrene Heroine brachte sie für diese Rolle die idealen Voraussetzungen mit. Sie darf auch mit Sonnenbrille und rosa Hut, Hüfte- und Handtasche schwingend, über die Bühne tänzeln, was das Geschehen abwechslungsreich auflockerte.
Für die Rolle des Färbers Barak gewann man den seit 1999 dem Ensemble des Aalto Theaters angehörenden deutschen Bariton Heiko Trinsinger, der 2007 auch als Escamillo an der Volksoper in Wien aufgetreten war. Er gefiel durch seine bemitleidenswerte Stellung an der Seite einer so dominanten Frau wie der Färberin mit seinem männlich kraftvollen Bariton.
Für die Rolle der Amme holte man die ungarische Freelancerin Ildikó Komlósi nach Budapest zurück. Ähnlich wie Waltraud Meier setzt sich ihr umfangreiches Repertoire aus Mezzo- wie Sopranpartien zusammen. 1999 trat sie übrigens als Komponist an der Wiener Staatsoper auf. Überzeugend gelang ihr die Darstellung dieser menschenverabscheuenden Amme mit geradezu mephistophelischen Zügen und auch ein kolportiertes hohes B im zweiten Akt, das ich ebenfalls nicht überprüft habe, hörte sich für meine Ohren beeindruckend an.
Hervorgehoben werden müssen noch der eindringliche Falke von Erika Markovics, der resolute Geisterbote von Zsolt Haja und die „Hüterin“ der Schwelle des Tempels von Ingrid Kertesi.
Stimmlich bestens disponiert und darstellerisch intensiv spielend waren auch die drei körperbehinderten Brüder von Barak: Lajos Geiger als der Einäugige, Ferenc Cserhalmi als der Einarmige und István Horváth als der Bucklige, die ihre Stimmen auch den drei Wächtern der Stadt verliehen.
Die sechs Kinderstimmen wurden von Atala Schöck, Ingrid Kertesi, Erika Markovics, Gabriella Balga, Bori Keszei und Ildikó Szakács, letztere drei traten auch als drei Dienerinnen auf, interpretiert.
Gewaltige Anstrengungen hatte der Dirigent Péter Halász unternommen, um mit dem Orchester der Ungarischen Staatsoper die hochdramatische Musik Strauss‘, der zur Psychologisierung und individuellen Charakterisierung einzelner Figuren und Schlüsselszenen sogar eine Glasharmonika und fünf chinesische Gongs verwendete, mit großer Wirkung auszubreiten. In beiden Proszeniumslogen waren Musiker platziert. Die atonal wirkende Harmonik wechselte geschickt mit Passagen voller inniger Lyrik. Kein Wunder, dass das gesamte Orchester am Ende der Vorstellung den frenetischen Applaus des Publikums auf der Bühne entgegen nehmen durfte. Alle Mitwirkenden Künstler, Dirigent und Regieteam wurden ausgiebig mit Applaus und Bravo-Rufen bedacht! Folgevorstellungen vor der Sommerpause finden noch am 28. und 31. Mai sowie am 4. Juni statt.
Harald Lacina, 27.5.2014
Fotos: Péter Herman + Attila Nagy