Frankfurt, Konzert: „hr-Sinfonieorchester“ Schostakowitsch, Prokofjew

Kaum zu glauben, dass Dmitri Schostakowitsch mit gerade einmal dreizehn oder fünfzehn Jahren (die Musikforschung ist sich uneins) sein kurzes Scherzo für Orchester schrieb. Es ist eine entzückende Komposition, die noch nicht die später so unverkennbare Handschrift trägt. Viel mehr ist es eine Referenz an seine Lehrer Glasunow, Steinberg sowie die Verehrung von dessen Schwiegervater Rimski-Korsakow. Ein leuchtendes, üppig orchestriertes Werk, welches das hr-Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Alain Altinoglu genussvoll auskostete.

© hr/Ben Knabe

In den Jahren 1916/17 schrieb Sergej Prokofjew an einem kleinen Concertino für Violine und Orchester. Deutlich unter dem Einfluss seiner beliebten „Symphonie Classique“ stehend, wurde daraus dann doch ein größeres Violinkonzert. Es sollten Jahre vergehen, bis die Uraufführung in Paris zustande kam. Während die Kritik das Konzert nicht wohlwollend empfing und es für zu „altmodisch“ erklärte, reagierten Musiker und Publikum begeistert. Filigran und leichtfüßig ist der erste Satz, den der Komponist als eine musikalische Überzeugung verstanden sehen wollte. Flöte, Harfe und Violine sorgen stets für eindrückliche Klangwirkungen. Spukhaft schnell huscht der kecke Mittelsatz am Zuhörer vorbei. Der beschließende Moderato-Satz verarbeitet die voraus gegangenen Themen erneut. Poesie und Rhythmus finden zueinander.

Zu Gast war die international gefeierte Meister-Geigerin Hilary Hahn, die dieses Konzert besonders liebt. Die mentale und technische Herausforderung ist außerordentlich und die Farbwechsel endlos. Spieltechnisch absolut souverän und mit feinem Legato-Ton demonstrierte Hahn ihre hohe Kunstfertigkeit. Insgesamt war ihr Spiel sehr nach innen gewendet, so als spiele Hahn für sich. Poesie entstand, als sie immer wieder im Wechselspiel mit dem Orchester für Momente der Transzendenz sorgte. Immer wieder lächelte Hahn und wirkte von den Besonderheiten des Werkes verzaubert. Die Zeit stand still, als das Werk in aller Stille ausblendend, verklang. Ein Genuss! Alain Altinoglu und das hellwache hr-Sinfonieorchester trugen Hahn auf Händen. Mit höchster Klangkultur begeisterten zudem die intensiven Solobeiträge des Orchesters, z.B. durch Flöte, Harfe und Violine. Das Publikum bedankte Hilary Hahn mit nicht enden wollendem Applaus und erhielt drei Zugaben aus einer Partita von J.S. Bach.

Gerade einmal achtzehn Jahre jung war Dmitri Schostakowitsch als er seine erste Sinfonie als musikalische Examensarbeit vorlegte. 1924/1925 entstanden, steht sie erkennbar unter dem Einfluss von Strawinsky und Prokofjev. Dennoch zeigte Schostakowitsch bereits hier seine unnachahmliche Charakteristik. Sarkasmen und Überzeichnungen finden sich in Marsch und Walzer gewürdigt. Lyrismen und Klage prägen den berührenden Lento-Abschnitt. Schostakowitschs Sinfonie ist voller Überraschungen, großartig instrumentiert und ein spannendes Hörerlebnis. Die Musik eines introvertierten jungen Komponisten, der bereits dunkle Zeiten erlebte, nun dieser Dmitri reizte und suchte die Extreme. Ein Aufschrei der Seele gegen das Unabwendbare!

Chef-Dirigent Alain Altinoglu möchte sich künftig mit dem hr-Sinfonieorchester intensiver dem Komponisten Schostakowitsch widmen. Natürlich war daher die Neugierde groß, wie sich sein Interesse in der musikalischen Gestaltung niederschlug. Es war schon überraschend, wie gut diese Begegnung gelang. Altinoglu, der außerhalb seines Kernrepertoires recht unverbindlich wirken kann (wie z.B. bei der arg pauschal dirigierten ersten Mahler-Sinfonie), war hier ganz in seinem Element. Die Tempi waren gut abgestimmt, die Dynamik vorzüglich ausgewogen. Altinoglu zeigte eindrucksvoll, wie jung und frisch diese Musik ist. Stürmisch und überraschend geschärft war das Klangbild zu erleben. Eine Interpretation aus einem Guss, die unbedingt Lust auf mehr weckte.

(c) hr/Dana van Leeuwen/Decca

Das hr-Sinfonieorchester spielte hingebungsvoll und entfesselt auf. Eine Wohltat. Die Klangqualität war exzellent und auch hier wurden die begeisterten Zuhörer mit fabelhaften Soli verwöhnt, vor allem Violine und Cello, aber auch Oboe und Horn spielten hervorragend. Großer Jubel. Seltsam war jedoch der Umgang von Teilen des Publikums mit der Musik von Schostakowitsch. So sorgte der exponierte Klavierakkord am Ende des zweiten Satzes für spontanes Gelächter. Offenkundig musste für die eigene Flachgeistigkeit ein Ventil geöffnet werden! „Zugabe“? Die gab es von einigen Zuhörern auch, die nach einem Fortissimo Akkord vor dem letzten Satz meinten, applaudieren zu müssen, obwohl Monsieur Altinoglu seine Hand oben hielt.

Danach ging es weiter mit noch gut einer halben Stunde Kammermusik von Schostakowitsch, u.a. das herrliche Klaviertrio Nr. 1 und seine erste Jazz-Suite. Nun spielte Alain Altinoglu vorzüglich Klavier und begleitete seine wunderbaren Musiker aus dem Orchester, u.a. seinen fabelhaften Konzertmeister Florin Iliescu und den Cellisten Valentin Scharff.

Das Auditorium an diesem Abend zeigte sich enervierend auffallend in diversen Störmanövern. Es ist eigentümlich: Seit die Pandemie für beendet erklärt wurde, missverstehen dies Teile des Publikums, um in Konzertveranstaltungen sämtliche Halsreizungen und Schleimansammlungen beherzt hustend auszukotzen. Den Husten dämpfen? Fehlanzeige! Was raus muss, muss raus und dann auch laut! Weder wird eine Armbeuge genutzt oder ein Taschentuch vor dem Mund gehalten, nein, das kollektive Gruppenerlebnis löst Hemmungen und offenkundig auch Restbestände einer einstmals erlebten Erziehung komplett auf. Höchste Zeit, dass hier einmal das Publikum in den akustischen Spiegel schaut und vor dem Konzertbesuch eine Ansage erhält zu den schlimmsten akustischen Auswürfen mit konstruktiver Präventionsempfehlung. Vielleicht lässt sich so wieder ein Bewusstsein schärfen, dass die lautstarke Sekretserleichterung eine große Respektlosigkeit gegenüber den Musikern ist.

Dirk Schauß, 25. Februar 2023


Alten Oper Frankfurt

24. Februar 2023

Sergej Prokofjew – Violinkonzert Nr. 1 D-Dur op. 19

Dmitri Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10

Dirigat: Alain Altinoglu

hr-Sinfonieorchester

Hilary Hahn – Violine