Die Wiener Philharmoniker und Dirigent Christian Thielemann schätzen sich sehr. Davon war viel beim aktuellen Gastspiel in Frankfurt zu spüren. Ein schönes Programm wurde dargeboten.
Es sollte mehrere Anläufe dauern, bis Felix Mendelssohn Bartholdy seinen musikalischen Landschaftsbericht „Die Hebriden“ (auch „Die Fingalshöhle“ genannt) 1833 der Öffentlichkeit präsentierte. In dieser herrlichen Konzert-Ouvertüre beschreibt der Komponist die bekannte Inselgruppe vor der Küste Schottlands. Gemeinsam mit seinem Freund Karl Klingemann reiste Mendelssohn von England nach Schottland. Dort besuchte er 1829 die berühmte Fingalshöhle. Umgebung und Landschaft beeindruckten Mendelssohn so sehr, dass er seine Eindrücke musikalisch festhielt und Bleistiftskizzen fertigte. Der einleitende Wellengang versetzt den Zuhörer sogleich in diese besondere Landschaft.
Die Wiederbegegnung mit Christian Thielemann war in mehrerlei Hinsicht überraschend. Deutlich verschlankt zeigte er eine andere, gelöstere Körpersprache. Kaum mehr verkrampfte Bewegungen oder große Gesten. Sein Grundausdruck, seine Mimik wirkte fröhlich und wesentlich entspannter als bei früheren Dirigaten. Keine Spur von Routine, stattdessen eine fast kindliche Erlebnisfreude am hoch engagierten Musizieren.
Die Hebriden Ouvertüre wurde sehr bildhaft von ihm gestaltet. Klar in der Wellenbewegung und den stürmischen Akzenten, entstand die Küsten Landschaft als Bild für die Zuhörer. Die Wiener Philharmoniker zeigten sich von der besten Seite. Der warme Klang der Streicher war hinreißend, die Artikulation blitzsauber und äußerst klar in der Struktur. Mendelssohn liebte die Holzbläser und so konnte hier vor allem die Klarinette mit sehnsuchtsvollem Ton berühren.
In der gleichen Zeit entstand der Gedanke einer „schottischen“ Sinfonie. Doch sollte es zwölf Jahre währen, bis die dritte Sinfonie uraufgeführt wurde. Auch wenn dieses Werk im eigentlichen Sinne keine Programm-Sinfonie ist, so wirkt sie doch ungemein illustrativ, wie ein symphonischer Hörfilm. Im Stil einer Ballade beginnt die Sinfonie mit einem empfundenen „Es war einmal…“, um dann vielen Lyrismen, aber auch stürmischen Abschnitten die Vielschichtigkeit der schottischen Landschaft zu beschwören. Anklänge an einen Dudelsack sind im zweiten Satz zu erahnen, während der dritte Satz mit seinen melancholischen Klängen die Weiten der schottischen Highlands beschwört. Beschwingt, wild tänzerisch mit einer fulminanten Apotheose endet dieser symphonische Geniestreich.
Christian Thielemann zeigte auch hier eine spannende Wiedergabe dieses vielschichtigen Werkes. Große Phrasierungsbögen im klaren delikaten Streicherton und wunderbare Bläserfarben. Die famose Horngruppe hatte ihre großen Momente in den Jubelabschnitten des kurzen zweiten Satzes. Der dritte Satz geriet als endlos anmutendes Kantabile zutiefst bewegend. Schneidig im Rhythmus mit beschleunigter Schluss-Coda brachte Thielemann und die wunderbaren Philharmoniker diese Sinfonie zu einem hinreißend gelungenen Abschluss.
Nach der Pause dann stand mit der D-Dur Symphonie No. 2 von Johannes Brahms eines seiner beliebtesten Werke auf dem Programm. Die 1877 uraufgeführte Sinfonie war von Anfang an ein großer Erfolg beim Publikum. Ihr Überschwang und das Lichtvolle waren von jeher stets Quell der Begeisterung. Die große Natürlichkeit und das Pastorale sind von besonderer Wirkung.
Christian Thielemann zog das Orchester im Tempo nach vorne und achtete dabei höchst wachsam darauf, die Sinfonie vielschichtig dynamisch zu gestalten. Im einleitenden ersten Satz intonierten die Hörner perfekt mit weichem Ansatz, bis dann die Streicher lustvoll und lebensfroh das Hauptthema musizierten. Die Celli und Kontrabässe der Wiener Philharmoniker sorgten dazu für ein warmes, erdiges Fundament. Wunderbar geriet der kantable Tonfall im elegischen zweiten Satz. Hier realisierte Thielemann viel dramatische Spannung durch die Hervorhebung der harmonischen Reibungen in den Blechbläsern. Selten ist dieser Satz mit diesem Abgrund, der so viel mehr erzählt, in dieser Doppelbödigkeit zu erleben. Fabelhaft im Tonfall zeigten sich die hoch präzisen Holzbläser, die vor allem im dritten Satz begeisterten. Hier ergab sich eine spielerische Tour de Force zwischen Holzbläsern und den sehr rhythmisch aufspielenden Streichern. Im vierten Satz hatten strahlten die Trompeten mit den Posaunen edle Sonorität aus, deutlich unterstützt von der exponiert tönenden Tuba. Die davon galoppierende Schlusscoda wirkte wie eine schneidige Stretta, so dass das fanfarenartige Finale zu besonders großartiger Wirkung kam.
Auch hier zeigten die Wiener Philharmoniker ein Orchesterspiel auf Weltklasse Niveau. Unverwechselbar im verführerischen Timbre, perfekt in den Einzelleistungen und höchst homogen im Zusammenspiel. Verblüffend zudem, wie warm, wie berührend und hoch engagiert diese spielerische Perfektion mit großem Enthusiasmus einher geht. Die theatralische Kraft dieses Ausnahmeorchesters ist bestechend! Gänsehaut pur.
Das Publikum zeigte sich völlig hingerissen und spendete langanhaltenden Beifall.
Als Zugabe und gewissermaßen als kleiner Ausblick auf das Neujahrskonzert 2024, welches Thielemann leiten wird, gab es die Bajadere Polka von Johann Strauß.
Ein wunderbarer Konzertabend!
Dirk Schauß, 2. März 2023
Alte Oper Frankfurt am 28. Februar 2023
Felix Mendelssohn Bartholdy
„Die Hebriden“ h-Moll op. 26 Konzert-Ouvertüre
Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 „Schottische“
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann, Leitung