Detmold: „Powder Her Face“

Thomas Adès

Premiere: 09.02.2018
besuchte Vorstellung: 22.03.2018

Sex sells in Detmold

Lieber Opernfreund-Freund,

Margaret Whigham war eine schöne Frau. Aus reichem Hause stammend und geschieden, hatte sie 1951 den Herzog von Argyll kennenglernt und ihn geheiratet und war für ihre Partys ebenso berühmt, wie für ihre Spitzzüngigkeit berüchtigt. Endgültig in die Klatschgazetten schaffte sie es in den frühen 1960ern, als ihr die Boulevardpresse den Spitznamen „Dirty Duchess“ verlieh und ihr Mann – selbst kein Kind von Traurigkeit – in einem aufsehenerregenden Scheidungsprozess versuchte, Margarets permanente Untreue und Verderbtheit mittels Polaroid-Fotos zu belegen, die sie beim Oralverkehr mit einem anderen Mann zeigen. Das Gericht schrieb ihr daraufhin die alleinige Schuld am Scheitern der Ehe zu, bezeichnete sie als „sexuell hochstimulierte Frau, die […] widerwärtige sexuelle Aktivitäten begonnen hatte, […] die nördlich von Marrakesch nur selten zu finden sind“, erkannte ihr den Adelstitel ab und beraubte sie so ihrer gesellschaftlichen Stellung. Sie zog in den 70ern in ein Londoner Luxushotel, nachdem sie ihr Haus finanziell nicht mehr halten konnte, und war 1990 gezwungen, auch dort auszuziehen, weil sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen konnte. Verarmt und einsam starb sie 1993 in einem Altenheim.

Ja, lieber Opernfreund-Freund, Sie sind noch richtig hier und nicht auf den Seiten der „Gala“ gelandet, denn das Leben der Herzogin war zwei Jahre nach ihrem Tod für die Opernbühne adaptiert worden. „Powder her Face“ heißt die Kammeroper, die der damals erst 24jährige Thomas Adès komponierte und die – für ein modernes Musiktheaterwerk bemerkenswert genug – seither immer wieder auf den Opernbühnen zu erleben ist. Nach dem Theater Aachen in der vergangenen Spielzeit zeigt nun das Landestheater Detmold die Geschichte dieser tragischen Figur, die die Beziehung von Margaret Whigham mit dem Herzog von Beginn bis zum Ende in Form einer Rückblende erzählt. Der englische Komponist hat dafür Musik ersonnen, die durch Anlehnungen an Swingmotive aus den 1930ern, Filmmusik und Tango zwar nicht eingängig, aber doch wenig fremd erscheint. Immer wieder gibt es, wie im Leben der Herzogin, Brüche, vertraut Klingendes wechselt sich mit verstörend Fremdem ab und so gelingt es dem Komponisten, Whigham als nach Anerkennung heischende Frau zu zeichnen, die in einer oberflächlichen Welt nach Nähe sucht und am Ende erkennen muss, dass sie Zeitlebens für Nettigkeit und Zuneigung immer hat bezahlen müssen. Heutzutage würde man sie vielleicht als It-Girl bezeichnen, über deren moralische Flexibilität man allenfalls mit den Schultern zuckt. Zu ihrer Zeit allerdings war ihr Verhalten ein handfester Skandal, den Adès zusammen mit seinem Librettisten Philip Hensher voller Dramatik schildert und darüber hinaus noch die Doppelmoral der 50er und 60er, vornehmlich in Adelskreisen, entlarvt.

Der Einheitsbühnenraum, den Tanja Hofmann für die szenische Umsetzung durch Christian Poewe gebaut hat, ist dafür bestens geeignet. Ein Halbrund, in dessen Mitte ein Podest steht, das Bett, Gerichtssaal und Bühne der Selbstdarstellung zugleich ist, wird durch eine weiße Wand begrenzt, die sich immer wieder in Spiegel verwandelt und deshalb das Drama schonungslos von allen Seiten zeigt. Wie eine Art Wandschrank hält die Wand in Kammern Erinnerungen und Schätze der Herzogin unter Verschluss und gibt sie nur dann und wann frei. Die teils abstrusen Kostüme spiegeln die Absurdität der Situationen, Poewes Personenführung ist spannungsreich und energiegeladen, er zeigt die Herzogin gekonnt als Objekt der öffentlichen Begierde und auch für die erste komponierte Fellatio der Musikgeschichte findet der aus Schleswig-Holstein stammende Regisseur eine interessante und doch beinahe naturalistische Darstellungsform.

Doch das Drama um die Herzogin könnte sich kaum so spannend entspinnen, gäbe es da nicht Eva Bernard. Die Sängerin schlüpft in den gut zwei Stunden nicht nur in die Rolle, sie IST die Figur und zeigt sie mit all ihren Facetten, zeigt Lust, Verzweiflung, Arroganz und Selbstbetrug ungeschminkt und intensiv, stimmlich wie darstellerisch. Dass die gebürtige Münchenerin derzeit mit einer starken Erkältung zu kämpfen hat und am Vortag kaum einen Ton sprechen konnte, war ihrer Darstellung kaum anzumerken. Stimmgewaltig und nuanciert präsentiert sie ihren charaktervollen Sopran, zieht alle Register und zieht uns so in ihren Bann, wie es die Herzogin von Argyll selbst vor mehr als 60 Jahren getan hätte. Ihr zur Seite steht Bart Driessen, der die Figuren des Herzogs, des Richters und des Hotelmanagers darstellt und sich dabei auf die Durchschlagkraft seines reifen Basses verlassen kann. Und auch die zahlreichen fast surreal wirkenden Wechsel zwischen sonorer Tiefe und schneidender Kopfstimme meistert der Niederländer mit Bravour. Daniel Arnaldos leiht dem Elektriker und dem Kellner seinen farbenreichen Tenor und glänzt mit skurrilem Spiel, das nur durch die wunderbare Jeanne Seguin übertroffen wird. Dass die junge Französin Mitglied des Opernstudios und damit vergleichsweise Elevin auf der Bühne ist, mag man kaum glauben, so geht sie in ihren Rollen als quirliges Dienstmädchen, Freundin und Reporterin auf. Ihr beweglicher Sopran meistert die wahnwitzigen Koloraturen scheinbar mühelos. Dem Komponisten folgend schreckt sie dabei auch vor stimmlicher Hässlichkeit und Schrillheit nicht zurück und setzt so einen wirkungsvollen Gegenpol zur tiefgründigeren Figur der Herzogin.

Die übliche Orchesterbesetzung ist beispielsweise um Akkordeon und außergewöhnliche Perkussionsinstrumente ergänzt, so werden Klänge abseits des Gewohnten erzeugt. GMD Lutz Rademacher führt die Musikerinnen und Musiker des Symphonischen Orchesters des Landestheaters Detmold versiert durch die höllisch schwere Partitur und auch dem Sängerpersonal ist er bei dieser außergewöhnlichen Kammeroper eine wertvolle Stütze. Das Publikum im erfreulicherweise für ein so unbekanntes Werk recht gut besuchten Theater ist am Ende wie berauscht, gefesselt von der musikalischen Intensität und begeistert von der Leistung der darstellenden Sängerinnen und Sänger, allen voran dem Erlebnis Eva Bernard. Wenn auch Sie sich einmal abseits gewohnter Pfade bewegen wollen, ist ein Besuch in Detmold eine mehr als geeignete Option – es lohnt sich!

Ihr Jochen R üth

23.03.2018

Die Fotos stammen von Birgit Hupfeld und zeigen in der Rolle des Hotelmanager Michael Zehe, die Alternativbesetzung.