Zum Zweiten
Giacomo Puccinis La Bohème ist eine Liebesgeschichte. Vielleicht sogar eine der schönsten Liebesgeschichten, die je für die Oper vertont wurden. Die Musik des italienischen Opernkomponisten ist voller Emotionen, sie nimmt uns förmlich an die Hand und führt uns durch die Handlung und sie berührt uns auf eine nahezu kaum zu beschreibende Weise. Nicht zu Unrecht ist diese Oper einer jener Werke, die auf allen Spielplänen dieser Welt zu finden ist. Sie ist eine der am meisten aufgeführten Opern überhaupt. Sie hat ihren eigenen Zauber. Regisseur Philipp Westerbarkei hat nun in Duisburg seine Sicht auf diese Oper dargestellt. Inmitten einer kühlen, sterilen Umgebung, einem Sanatorium gleich, lässt er den Poeten Rodolfo sinnieren und leben und die gesamte Handlung (mit-)erleben. Alles spielt in einem Raum. Nur einmal, im zweiten Bild, teilt sich die Bühne und gibt die Sicht frei auf den Chor und das Treiben rund um das Café Momus, in dem sich alle treffen wollten. Eigentlich. Aber auch das ist eher angedeutet, als für den Zuschauer miterlebbar. Vieles in dieser Inszenierung wirkt analytisch und mehrfach durchdacht, aber bleibt in der Wirkung kühl und steril. Der erwähnte Zauber dieser Oper stellte sich leider nicht in dem Maße ein, der von vielen erhofft war und die lautstarken Missfallensäußerungen von Teilen des Publikums richteten sich am Ende dann auch gegen das Regieteam. Ganz anders bei der musikalischen Umsetzung: Dort feierte das Publikum das Ensemble, das Orchester und den Musikalischen Leiter des Abends, den italienischen Dirigenten Antonino Fogliani.
Mimi liegt auf einer Art Sofa, bedeckt von Tüllröcken und streckt ihre Hand aus in Richtung Rodolfo. Der kauert seitlich neben ihr und als er ihre Hand spürt zieht es ihn augenblicklich zu ihr. Da spielten Handlung, Regie und Musik gemeinsam La Boheme. Aber dann begab sich die weitere Handlung wieder auf eine andere Sichtebene. Zum Sterben steht Mimi von ihrem Sofa auf, geht in einen hinteren, für den Zuschauer dann nicht mehr zu erkennenden Bühnenbereich, in dem sich bereits schon alle weiteren Charaktere dieser Oper befinden. Ein Arzt (Psychiater ?) tritt auf, spricht Rodolfo Mut zu („Coraggio…!„) und Rodolfo schreit seine verzweifelten „Mimi…Mimi-Rufe“ heraus. Mit den letzten Klängen der Oper öffnet sich dann eine Tür und eine elegant gekleidete Mimi, mit einem frischen Blumenstrauß in der Hand, betritt die Bühne. Ein Abschied, wie sie ihn sich bereits im dritten Bild der Oper ersehnt hatte. Im Frühling, wenn die Blumen blühen. Den aber Puccini so nicht vorgesehen hatte. Bei Puccini ist es im kalten Winter, jener Jahreszeit, wo eben keine Blumen blühen. Und er macht dies auch durch seine Musik so deutlich. Der Schlussakkord der Oper spiegelt die Dunkelheit und die Kälte des Moments wieder und auch die Verzweiflung, die Rodolfo, Musetta und seine Freunde gepackt hat. Das gilt es auch den Zuhörern im Opernhaus zu vermitteln.
Selbstverständlich war es für die fiktiven Akteure dieser ursprünglichen Handlung (Romanvorlage Les scènes de la vie de bohème von Henri Murger) ein trostloses Leben. Ohne Arbeit, ohne Geld, Mietschulden, aber mit vielen unerreichbaren Plänen im Kopf, leben der Dichter Rodolfo und seine drei Freunde in einer spärlich ausgestatteten Pariser Mansardenwohnung. Alle vier Bohémiens wünschen sich ein Leben in Freude und mit Erfolg. Und sie sehnen sich auch nach Liebe. Bei Rodolfo und Marcello scheint sich zumindest dieser Wunsch zu erfüllen. Am Ende aber dann voller Tragik für Rodolfo. Aber auch in den traurigen Augenblicken dieser Oper versuchen die vier Freunde der Tristesse ihres Lebens zu entfliehen, sie lachen, treiben Scherze, foppen ihren Vermieter und doch bleibt am Ende immer eine Traurigkeit zurück. Hier weiss Philipp Westerbarkei anzusetzen. Das gelingt aber auch nur bedingt. Wenn er die vier Männer in Tüllröcken tanzen lässt, mag das zwar auch eine Form von ihm sein, einen Ausdruck, bzw. eine wichtige Szene der Oper, zu paraphrasieren, aber es hapert an der Wirkung des Ganzen. Dass die Freunde fast in der gesamten Oper, mehr oder weniger gekleidet, mit Feinrippunterhemden auf der Bühne agieren, mag auch ein Hinweis darauf sein, welch „brotlose“ Kunst sie betreiben, aber da die Oper um die kalte Weihnachtszeit herum spielt, passt auch dies nicht zusammen.
Damit komme ich auf meine eingangs gemachten Bemerkungen zurück: Eine La Bohéme ist eine Liebesgeschichte. Sie ist einfach, aber auch tiefgründig. Und sie erzählt vom Leben. Leben in seinen vielen Facetten, die wir alle kennen. Da kann man deuten und ausleuchten, was immer man will – am Ende ist es doch immer das pure Leben.
Mich hat die Duisburger Inszenierung dieser Puccinioper nicht in der Weise angesprochen, oder gar berührt, die es mir möglich gemacht hätte, hier nun im einzelnen darauf einzugehen. Andere mögen das anders sehen. Das eigene Opernerleben ist nun mal auch immer eine sehr subjektive Sicht. Sie kann nie den Anspruch der allgemeinen Gültigkeit erheben. Aber sie kann vielleicht herhalten als Erklärung dafür, dass Worte fehlen.
Ich frage mich schon länger, ob es Aufgabe des Publikums ist, Intentionen, Überlegungen oder gar Überzeugungen von Opernregisseuren zu deuten oder ob es nicht eher so sein sollte, dass uns die Regie die eigenen Ansichten und Aspekte ihrer Arbeit so verdeutlicht, dass sie auch im Sinne der jeweiligen Oper verstanden werden? Und muss das eigentlich so sein? Ist die Sprache der Musik nicht schon beredt genug?
Daher möchte ich nun auf die musikalische Seite dieser Duisburger Opernpremiere eingehen. Und da gab es durchaus sehr bemerkenswertes zu berichten:
Als Mimi fand Liana Aleksanyan berührende gesangliche Momente. Ihre Wandlung von der anfangs schüchternen und naiven Mimi hin zu der leidenden und todkranken Frau war eindrucksvoll. Mit sehr viel Gefühl und Ausdruck in der Stimme gestaltete sie insbesondere ihre Arie im dritten Bild, „D’onde lieta uscì“ und war als sterbende Mimi im letzten Bild absolut überzeugend und vermittelte dem Publikum dieses ganz spezielle „La Boheme-Gefühl“, für das sie am Ende hoch verdient vom Publikum gefeiert wurde.
Eduardo Aladrén als kraftvoll singender, insbesondere auf die Spitzentöne zuarbeitender, und engagiert spielender Rodolfo wusste das Premierenpublikum ebenfalls zu überzeugen. Der spanische Tenor lebte sich in seine Partie völlig ein. Gerade in den Szenen von Rodolfos Trauer und Verzweifelung gelang Aladrén dieses mit seinen stimmlichen Mitteln durchaus emotional zum Ausdruck zu bringen. Auch er erhielt am Ende verdienterweise großen Applaus.
Als Marcello legte Bogdan Baciu eine gesangliche und darstellerische Leistung hin, für die er auch auf vielen anderen Opernbühnen dieser Welt gefeiert worden wäre. Der rumänische Bariton, der vom Publikum bejubelt wurde, hat am gestrigen Abend auf ganzer Linie überzeugt. Bravo Herr Baciu!
Die Rolle der Musetta lag ihr: Lavinia Dames gelang der darstellerische Spagat von der flatterhaften Musetta, die sie Anfangs war, zur selbstlosen Helferin dann im letzten Bild der Oper, ungemein glaubwürdig und überzeugend. Großartig auch wieder mal Richard Šveda als Schaunard. Mit viel Körpereinsatz und starker stimmlicher Präsenz wusste er auch dieses Mal wieder auf der Bühne der Deutschen Oper am Rhein zu begeistern. Mit Luke Stoker als Colline war auch diese Partie absolut überzeugend besetzt. Voller Wehmut im Klang seiner Stimme gestaltete er die „Mantel-Arie“ im vierten Bild der Oper. Peter Nikolaus Kante überzeugte in den kleinen Partien des Benoit und Alcindoro, und auch als Dottore.
Antonino Fogliani am Pult der glänzend aufspielenden Duisburger Philharmoniker sorgte dann für den musikalischen Zauber dieser La Bohème-Premiere. Mit viel Gespür für die dramatischen – als auch für die stillen – Momente der Oper hatte er die musikalische Leitung des Abends inne. Große Anerkennung für den italienischen Dirigenten der diese Oper souverän und auch mit viel Emotionalität leitete. Jubel auch für ihn und die Philharmoniker.
Detlef Obens 11.11.2019
Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Bilder siehe Erstbesprechung oben