Duisburg: „Pique Dame“

Hooray for Hollywood…

Premiere Duisburg: 28.09.2019
besuchte Vorstellung: 03.10.2019

Lieber Opernfreund-Freund,

das Theater Duisburg als kleineres Haus in der kleineren Stadt steht in der Theaterehe der Rheinoper bzgl. der Spielplangestaltung immer ein wenig im Schatten des größeren Partners Düsseldorf. So wird hier beinahe schon traditionellerweise nur eine „echte“ Neuproduktion pro Spielzeit aus der Taufe gehoben (heuer Puccinis Bohéme), während die übrigen Werke bereits vorher knapp 50 Flusskilometer rheinaufwärts gezeigt wurden. So verhält es sich auch mit Tschaikowskys Pique Dame, die man in Düsseldorf in der Lesart der US-amerikanischen Regisseurin Lydia Steier schon seit dem Frühjahr kennt und die nun in geänderter Besetzung in Duisburg auf dem Spielplan steht.

Vielleicht hat es mit ihrer Herkunft zu tun, dass Lydia Steier die Handlung der auf einer Novelle von Alexander Puschkin basierenden Geschichte ins Hollywood der 1950er Jahre verlegt. Hermann, schon in der literarischen Vorlage und später bei Tschaikowsky absonderlicher Außenseiter der Gesellschaft, ist hier der Woody Allen im Cordanzug inmitten von perfekt gestylten Stars und Sternchen der auf Kommerz ausgerichteten Filmwelt, wird verlacht und ausgegrenzt von den wild feiernden Gästen einer Poolparty und zudem nicht ganz ernst genommen von der alternden Filmdiva, zu der Steier die Titelfigur macht. Doch er ist nicht der einzige, der abseits steht. Auch Lisa passt nicht so recht ins sonst optisch aalglatte Hollywood, trägt ein dickes Kassengestell zum übergroß geblümten Kleid und fühlt sich von Hermann gerade deshalb verstanden, weil er sie trotz ihrer ungelenken Art so nimmt, wie sie ist, weil er sie dennoch „Göttin“ und „Engel“ nennt. Hermann steigert sich in der Geschichte immer mehr in den Wahn hinein, dass er mit dem geheimen Wissen der Alten um drei magische Karten beim Spiel den Jackpot knacken und dann – finanziell unabhängig – mit Lisa dem oberflächlichen Umfeld entkommen könnte. Doch, so ist das für gewöhnlich mit dem Wahn, er greift um sich, lässt Hermann den Bezug zur Realität verlieren und letztlich auch die Beziehung zu Lisa. Er kann Traum, Wahn und Wirklichkeit immer weniger voneinander unterscheiden, sieht immer öfter sich selbst als Kind. Die junge Lisa bleibt ohne Hoffnung und sucht desillusioniert den Freitod; Hermann erscheint da der Geist der Alten und der des Kindes schon permanent und er erkennt, dass es für ihn kein lebenswertes Leben mehr gibt.

Lydia Steier gelingt auf der durchdesignten Bühne von Bärbl Hohmann eine schlüssige und unterhaltsame Aktualisierung des Stoffes, auch wenn sie im letzten Bild bei der Visualisierung von Hermanns alptraumhaften, surrealistischen Wahrnehmungen mit menschenzerfleischenden Lack-Kätzchen für meinen Geschmack ein wenig zu sehr die Zügel schießen lässt. Auch der Ansatz, dass sich Hermann das körperliche Begehren der Gräfin imaginiert, beginnt da schon, sich totzulaufen. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Der Hollywoodansatz ist stimmig, der überdreht gezeichnete Zeremonienmeister ein witziges Detail und die glücklicherweise an der Rheinoper nicht gestrichene Daphnis & Chloé-Szene eine zusätzliche Gelegenheit für die Kostümbildnerin Ursula Kundra, ihr ganzes Können zu zeigen und den herrlich bonbonfarbenen Petticoats überbordende Roben im Rokokostil hinzuzufügen. Der ausufernden, pseudopsychologisierenden Erörterungen im Programmheft hingegen hätte es als Erklärung der Regieidee ebenso wenig bedurft wie als Legitimation.

Dass ausgerechnet Hermann vor allem zu Beginn an seine stimmlichen Grenzen gerät, ist sehr bedauerlich. Höhe und erforderliche Kraft der Rolle scheinen Ensemblemitglied Sergej Khomov hörbar zu überfordert, so dass er im ersten Akt auf der Zuschauerseite des Grabens teils gar nicht mehr zu hören ist. Im Laufe des Abends fängt sich der Ukrainer allerdings, so dass ihm zum Finale eine stimmige und berührende Zeichnung der gebrochenen Figur gelingt. Natalia Muradyamova als seine Liebste gleicht dagegen einer stimmlichen Naturgewalt. Ihr teils zu ein wenig Schärfe neigender, voluminöser Sopran hat hochdramatische Qualitäten, wie sie in ihrer letzten Szene unter Beweis stellt, und dennoch gelingen der jungen Russin, die die unselbständige, ungeschickte Lisa zudem grandios spielt, auch zarte, mädchenhafte Passagen hervorragend – zum Beispiel im traumhaften Duett mit Polina, die von Anna Harvey mit warmem Mezzo zum Leben erweckt wird. Jorge Espino zeigt eine würdige Interpretation des Fürsten Jeletzi, auch wenn ich den Bariton des aus Mexiko stammenden Sängers schon wuchtiger gehört habe. Stefan Heidemann steuert als Tomski zwei mitreißende Erzählungen zur Geschichte bei, während aus der Unzahl kleinerer Partien der aus Costa Rica stammende Luis Fernando Piedra nicht nur wegen seiner urkomischen Zeichnung des Zeremonienmeisters, sondern auch mit hellem, klangschönen Tenor hervorsticht.

In der Titelrolle überzeugt Renée Morloc mit kehliger Tiefe und der berührenden Erinnerungsszene Je crains de lui parler la nuit. Auch wenn mir die sympathische Altistin, die seit beinahe einem Vierteljahrhundert im Ensemble der Rheinoper singt, für diese Altersrolle noch ein wenig zu jung ist, gibt sie eine eindrucksvolle Darstellung dieser alternden Diva, die an Norma Desmond in Sunset Boulevard erinnert. Im Graben befeuert der erst 31jährige Aziz Shakhikimov die Duisburger Symphoniker, entblättert die russische Seele des Werkes und fühlt sich in den klanglich überbordenden Passagen ebenso wohl, wie als filigraner Zeichner berührender Stimmungen. Die Damen und Herren des Opernchores singen ebenso bravourös wie das Orchester spielt; Gerhard Michaelski hat sie betreut. So bin ich am Ende des Abends doch voll des Lobes für die musikalische Umsetzung dieses leider allzu oft vernachlässigten, in dieser Spielzeit allerdings auch in Aachen und Essen gezeigten Tschaikowsky-Werkes und diese geistreiche, unterhaltsame Inszenierung.

Ihr Jochen Rüth 04.10.2019

Die Fotos stammen von Hans-Jörg Michel