Duisburg: „La Bohème“

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Premiere: 08.11.2019

Ist das Kunst oder kann das weg?

Echte Premieren der Deutschen Oper am Rhein in Duisburg sind selten, am vergangenen Freitag war es wieder mal soweit. Mit La Bohème von Giacomo Puccini stand ein Klassiker des Opern-Repertoire auf dem Spielplan. So muss zum eigentlichen Inhalt des Stückes an dieser Stelle wohl auch gar nichts mehr gesagt werden. Dennoch schaut mal als Kritiker vor jeder Vorstellung immer wieder gerne ins Programmheft. Hierbei stolpert man dann bei der Handlung über in Fettschrift eingefügte Abschnitte. Noch vor dem ersten Bild heißt es beispielsweise: „Rodolfo liebte einst Lucia, die alle Mimi nennen. Doch es war eine zerstörerische Liebe“. Dies lässt aufhorchen, Regisseur

Philipp Westerbarkei will uns offenbar einen Rückblick auf vergangene Ereignisse aus der Erinnerung des Rodolfo zeigen. Da sowas relativ schnell schief gehen kann, geht man bereits vor der Vorstellung mit leicht gemischten Gefühlen in den Theatersaal. Da aber La Bohème wie vielleicht keine andere Oper auch in der eigentlichen Handlung von Erinnerungen zerrt, ist der bereits allzu oft gewählte Ansatz vielleicht doch kein so schlechter. Gespannt hebt sich der Vorhang, der auch nochmal mit einem eingeblendeten Schriftzug auf eben diesen Regieansatz eindrucksvoll hinweist.

Was nun folgt ist allerdings kein einfach zu verstehender Theaterabend. Die Handlung spielt komplett in einem gekachelten Raum, der wohl eine Art Sanatorium darstellen soll, so richtig ist dies aber nicht einzuordnen. Hierin bewegen sich die Darsteller als Erinnerungen in Rodolfos Kopf, relativ einheitlich gekleidet. Rodolfo schreibt permanent an seinem Roman oder auch an seiner eigenen Biografie, wie auch immer. Wenn ein Darsteller gerade nicht beteiligt ist, sitzt er dennoch in einer Ecke rum oder stellt sich mit dem Gesicht zur Wand an den Rand der Bühne. Um nochmal das Programmheft zu zitieren: „Realität, Fantasie und Wahn vermischen sich immer mehr.“ Hin und wieder gelingen Westerbarkei dabei durchaus eindrucksvolle Bilder, insbesondere wenn im zweiten Akt das Pariser Leben in Form einer alten Postkarte auf der oberen Bühnenhälfte oberhalb des besagten Raumes stattfindet. Hier zeigt auch Tatjana Ivschina, verantwortlich für Bühne und Kostüme, was möglich wäre. Ein schönes Bild für die gebliebene Erinnerung. Doch insgesamt wirkt alles allzu oft nur wirr und die Abgrenzungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit sind einfach nicht zu erkennen.

Unklar bleibt auch, warum im dritten und vierten Akt die Wände des Raumes noch viel höher werden, fühlt sich Rodolfo zunehmend mehr gefangen und die rettende Leiter ist zudem unerreichbar im Nirgendwo endend angebracht? Man weiß es einfach alles nicht so genau. Wenn beim Schlussbild der für Mimi herbeigerufene Arzt schlussendlich zum Doktor der Gegenwart für Rodolfo wird, versöhnt dies vielleicht etwas. Solche logischen Verbindungen zwischen den zwei Ebenen hätte es vielleicht mehr gebraucht. So verwundert es auch nicht, dass das Kreativteam beim Schlussapplaus neben durchaus frenetischen Jubelrufen auch mit mehreren lautstarken Unmutsäußerungen konfrontiert wurde, die man in dieser Deutlichkeit bei dem doch sehr gemäßigten Premierenpublikum der Deutschen Oper am Rhein eher selten vernimmt
Uneingeschränkten Jubel gab es dagegen für die musikalische Seite. Liana Aleksanya als Mimi und Eduardo Aladrén als Rodolfo wurden ebenso wie das zweite Bühnenpaar bestehend aus Lavinia Dames als Musetta und Bogdan Baciu als Marcello lautstark bejubelt. Insbesondere der letztgenannte Bariton Bogdan Baciu verfügt über eine wunderbare Klangfarbe, die durchaus nochmal separat erwähnt werden muss. Auch die weitere Besetzung ist durchaus stimmig und die Duisburger Philharmoniker zeigen sich unter der musikalischen Leitung von Antonino Fogliani gewohnt gut einstudiert.

Alles in allem bleibt eine musikalisch mehr als nur solide Darbietung, bei der das Inszenierungskonzept aber leider zu konzeptlos erscheint. Dennoch ist die in der Überschrift gestellte Frage klar zu beantworten. Weg kann grundsätzlich gar keine Inszenierung, denn auch hier steckt eine Menge Arbeit vieler Beteiligten drin. Das Kunst aber durchaus spalten kann, demonstrierte das Premierenpublikum am Freitag beim Schlussapplaus sehr eindrucksvoll.

Markus Lamers, 10.11.2019
Bilder: © Hans Jörg Michel