Premiere: 16.2.2019, besuchte Vorstellung: 20.4.2019
Lieber Opernfreund-Freund,
die erste abendfüllende Oper Der Konsul des italo-amerikanischen Komponisten Gian Carlo Menotti, Jahrgang 1911 und Lebensgefährte von Samuel Barber, ist derzeit am Mittelsächsischen Theater auf Deutsch zu erleben. Dank des engagiert aufspielenden Ensembles und der weitestgehend gelungen Regie von Hauschef Ralf-Peter Schulze wird der Abend ein eindrucksvoller Erfolg, der lange nachhallt.
Menottis dreiaktiges Werk, 1950 uraufgeführt, behandelt ein menschliches Drama, das in einem unterdrückten, von Spitzeln überwachten Staat spielt. Die junge Mutter Magda Sorel, deren Mann sich dem Widerstand angeschlossen hatte und in ein anderes Land geflohen ist, versucht, ein Visum für sich, ihr Kind und ihre Schwiegermutter zu bekommen, um dem Ehemann nachzureisen. Im Konsulat trifft sie auf Menschen, die wie sie verzweifelt auf eine Ausreise warten, aber immer wieder von der Sekretärin weggeschickt werden, weil noch Formulare und Papiere fehlen. Das mutet fast kafkaesk an, zumal die titelgebende Figur nie in Erscheinung tritt und sich alles ständig wiederholt. Magdas Kind stirbt letztlich über der Wartezeit, in der Magda wieder und wieder vorstellig wird und versucht, den Konsul zu sprechen. Auch ihre Schwiegermutter stirbt. Da erfährt Magda auf dem Konsulat, dass ihr Mann John zurückkommen will, wenn sie nicht nachkommen kann. Sie beschließt, nach Hause zu gehen und sich umzubringen, um wenigstens den Ehemann in Sicherheit zu wissen. Der Ehemann trifft nur Sekunden nach ihrem Verlassen im Konsulat ein und wird dort von der Geheimpolizei festgenommen. Magda sieht derweil zuhause sterbend noch einmal alle Figuren der Handlung an sich vorbeiziehen und hat nicht mehr die Kraft, den Anruf des Konsulats anzunehmen.
Beklemmend und aktuell sind die Themen des Werkes, zu dem der Komponist selbst das Libretto verfasst hatte. Menschenwürde, staatliche Überwachung, Flüchtlingsschicksal und Familiennachzug sind derzeit omnipräsent und doch nutzt Intendant Ralf-Peter Schulze den Abend nicht, um einen konkreten Zeitbezug herzustellen, lässt die Handlung zu einer nicht näher genannten Zeit an einem unbestimmten Ort spielen. Ganz als Opfer der Behördenwillkür zeigt er die weibliche Hauptfigur, die in den Mühlen des Formalismus zermahlen wird und letztendlich ihr Leben verliert. Dazu bespielt er die nüchterne Bühne, die Ausstatter Tilo Staudte ihm gebaut hat und die nur mit ein paar Stühlen bestückt ist und von meterweise Akten in den Schränken begrenzt wird, indem er die Personen stringent führt und episch auch vom großen Ganzen erzählt. So gelingt packendes Musiktheater at its best ohne Mätzchen und Tamtam. Leider erliegt Schulze in den beiden Traumszenen dann doch der Versuchung, diesen kühl erzählenden Pfad zu verlassen, und setzt allzu reichlich Nebelschwaden und Projektionen auf der Gaze ein, die es nicht gebraucht hätte. Das aber ist nur ein kleiner Wermutstropfen eines ansonsten wirklich großartigen Musikdramas, das Schulze da auf die Bretter des kleinen Freiberger Theaters bringt.
Dabei unterstützt ihn ein bestens disponiertes Sängerensemble. Allen voran möchte ich mich da vor Leonora Weiß-del Rio verneigen, die mich vom ersten Takt an packt mit ihrem immensen Ausdruck und der nicht nachlassenden Kraft. Die Intensität der Darstellung ist phänomenal, ihr wandlungsfähiger Sopran macht Gänsehaut und die Verzweiflung und das gleichzeitige Aufbäumen, das sie in das Finale des zweiten Aktes packt, drückt einen förmlich in den Sitz. Da sehe ich bald hochdramatischeres winken. Kalter Gegenpart an diesem Abend ist die wunderbare Dimitra Kalaitzi-Tilikidou, die mit klarem, eisigem Sopran die unnahbar wirkende Konsulatssekretärin gibt, im letzten Bild dann aber doch auch ihre menschlichen Züge entdeckt und zu mitreißendem Gefühl fähig ist. Sergio Raonic Lukovic gibt den Bösewicht der Geheimpolizei in bester Scarpia-Manier, mit durchschlagkräftig, in der Tiefe sattem Bariton und bedrohlichen, Angst einflößenden Zwischentönen, während Karin Goltz als John Sorels Mutter ein Erlebnis ist, so intensiv nimmt diese Künstlerin den Zuschauer mit bei ihrer Charakterstudie. Andrii Chakov formt den John Sorel mit klangschönem Bariton, während aus dem Quintett der ebenfalls im Konsulat Hoffenden – allesamt exzellent besetzt – der junge Peter Fabig mit weichem und geschmeidigem Bass und Johannes Pietzonka mit exzentrisch und kühn klingendem Tenor hervorstechen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch Susanne Engelhardt, die in kurzen Auftritten als charmante Chansonsängerin überzeugt.
Im Graben hält Jörg Pitschmann die Fäden zusammen. Dabei mag man kaum glauben, dass er am gestrigen Abend zum ersten Mal die musikalische Leitung innehat, so versiert ist sein Umgang mit der Partitur, so sicher, präzise und gewandt legt er zusammen mit den Musikerinnen und Musikern der Mittelsächsischen Philharmonie Menottis Werk mit all seiner Schroffheit, seinen Ecken und Kanten und auch seinen balsamisch-sphärischen Zwischentönen frei. Wunderbar! Diese große Stück Musiktheater im Freiberger Haus ist uneingeschränkt empfehlenswert, nicht nur, weil es sich um eine der seltenen Gelegenheiten handelt, es einmal auf der Bühne zu erleben, sondern auch, weil der Abend zeigt, wozu auch kleine Häuser fähig sind, wenn sie in ihr Ensemble hineinhören. Dann ist bei der Stückauswahl auch einmal so ein As dabei. Also, lieber Opernfreund-Freund: Hin, wer kann! Es wir noch bis Ende Mai gespielt.
Ihr Jochen Rüth 22.4.2019
Die Fotos stammen von Jörg Metzner.