Freiberg: „La Bohème“

Premiere: 16.04.16, besuchte Vorstellung: 15.05.16

Lieber Opernfreund-Freund,

eine ganz besonders düstere Interpretation von Gioacomo Puccinis wunderbarer „La Bohème“ ist derzeit am mittelsächsischen Theater zu sehen. Von Anfang an macht die Regisseurin Arila Siegert die Ausweglosigkeit der Situtation deutlich und lässt den personifizierten Tod den Abend eröffnen. Er ist in den verschiedenen Bildern immer wieder präsent und leitet die arme Mimì damit ihrem unausweichlichen Ende zu. Lediglich im allerletzten Bild, bei Mimìs Todesgang, ist er seltsamerweise nicht zu sehen – das ist aber auch der einzige Bruch in der ansonsten sehr durchdachten Inszenierung von Arila Siegert.

Dass die vom Tanztheater kommt, merkt man dem Abend an. Viele Szenen scheinen regelrecht durchchoreografiert. Durch die durchdachte Personenführung gelingt es Siegert, auf der kleinen Freiberger Bühnen selbst in den Massenszenen den Fokus auf der Künstlergruppe und dem Liebespaar Rodolfe/Mimì zu halten – da friert beispielsweise der Chor ein oder bewegt sich in Zeitlupe und ermöglicht fast etwas Kammerspielartiges bei den Hauptakteuren und damit eine Konzentration auf das Wesentliche. Das ist bei Siegert mehr als trostlos. Regelrecht düster ist die Produktion angelegt, einziges Requisit auf der Bühne ist eine Art spanische Wand, die mitunter als Mansardenwand den Raum begrenzt und so zusätzliche Intimität schafft oder zu einer Art Oberlicht wird. Projektionen von Sternenhimmel oder fallendem Schnee sorgen zwar für romantische Akzente, die Kostüme von Moritz Nitsche, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zeigen aber lediglich sämtliche Schattierungen von schwarz zu grau. Einzelne Farbtupfer setzen nur Parpignol und Musetta in ihrer Auftrittsszene – sobald die sich aber Marcello zugewandt hat und mit dem Künstler lebt, tritt auch sie nur noch in Grau auf. So wird Henri Murgers „La vie de bohéme“ in Freiberg zur hoffnungslosen und tristen Milieustudie.

Bis auf das Liebepaar Rodolfo und Mimì ist die Produktion ausschließlich aus dem Ensemble besetzt. Als Mimì buchstäblich in letzter Minute für das erkrankte Ensemblemitglied Leonora del Rio eingesprungen ist Rebekah Rota, die sich als wahrer Glücksgriff erweist. Sie glänzt nicht nur durch berauschende Pianobögen, zu Herzen gehendes Messa di voce, berührendes Spiel und ausdrucksstarken Gesang, sondern fügt sich auch nahtlos ins Ensemble und die anspruchsvolle Choreografie ein. Der österreichische Tenor Sebastian Fuchsberger lässt da und dort den Mut zum Piano ein wenig vermissen, stattet den Rodolfo aber mit bombensicherer und eindrucksvoller Höhe aus, singt und spielt fokussiert. Lindsay Funchals Musetta ist unglaublich facettenreich. Die junge Sopranistin ist ein wahrer Blickmagnet, zeigt im zweiten Aufzug eine beeindruckende Höhe, große stimmliche Beweglichkeit und fesselnde Bühnenpräsenz, weiß sich aber im letzten Bild zurückzunehmen und gibt ebenso überzeugend die mitfühlende Freundin. Ihrem on/off-Freund Marcello verleiht Guido Kunze mit gepflegtem Bariton Kontur, überzeugt vor allem in der der zweiten Hälfte des Abends und heimst zusammen mit Sebastian Fuchsberger für die Duettszene im letzten Akt verdientermaßen Szenenapplaus ein. Die Künstler-WG komplettieren Sergio Raonic Lukovic als hinreißend komischer Schaunard und Martin Gäbler, der als Colline beweist, daß man kein Bass sein muss, um mit der berühmten Mantelarie zu Tränen zu rühren. Jens Winkelmann gibt überzeugend den bedauernswerten Benoît, Derek Rues heller Tenor darf als Parpignol leider nur kurz strahlen. Nikolaus Nitsche, Dimitro John Walter Moses und Frieder Post komplettieren das überzeugend aufspielende Ensemble in den kleineren Rollen. Überzeugend ist auch der Opernchor, dessen Einstudierung Tobias Horschke übernommen hat und der durch den Freiberger Knabenchor vortrefflich ergänzt wird.

Generalmusikdirektor Raoul Grüneis kitzelt im Graben reinsten Puccini aus der Mittelsächsischen Philharmonie. Er zeigt die Partitur frisch und voller Farben, schwelgerisch, gefühl- und auch kraftvoll, wo es angezeigt ist, und so gelingt ihm eine starke Interpretation dieses Gassenhauers.

Das Publikum im ausverkauften Haus ist zu Recht begeistert, applaudiert enthusiastisch und ausdauernd. Die sehenswerte Produktion ist – zumindest in dieser Spielzeit – in Freiberg nicht mehr zu sehen, wird aber ab dem 21. Mai beim Theaterehepartner Döbeln gezeigt.

Ihr Jochen Rüth / 17.05.2016

Die Fotos stammen von Jörg Metzner und zeigen in der Rolle der Mimì die originalbesetzte Leonora del Rio.