Premiere 23.12.2017
Super-Produktion !
Die Geschichte der richtig großen Musicals von Andrew Lloyd Webber / Tim Rice ist gar nicht so lang; sie umfasst gerade vier Musicals (1965 The Like of Us, Josef and the amazing technicoloured Dreamcoat 1968, Jesus Christ Superstar 1970 und Evita 1976). Danach arbeitete jeder für sich mit anderen Partnern höchst erfolgreich weiter. Aber die musikalische Qualität eines "Jesus Christ Superstar" erreichten beide nie wieder. Zwar waren von Rice z.B. "König der Löwen" sowie "Die Schöne und das Biest" oder von Webber u.v.a. "Cats", "Starlight Express" oder das "Phantom der Oper" erheblich erfolgreicher und brachten viel mehr Geld ein, aber die musikalische hoch anspruchsvolle Struktur der Christus-Geschichte bleibt ein Hit für die Ewigkeit und ist nach einem halben Jahrhundert immer noch ein wunderbar zu rezipierendes Kunstwerk, welches durchaus den hohen Ansprüchen einer Oper genügt.
In die Ouvertüre und das Nachspiel eingerahmt gibt es eigentlich nur richtige Schlagerohrwürmer, von denen fast alle bis heute tatsächlich noch im Ohr haften bleiben – auch wg. der schönen Melodien und der diversen Musikstile von denen jedes Stück einen anderen Charakter hat.
Und mal Hand aufs Herz, verehrte Musicalfreunde: Könnten Sie aus den "großen" oben erwähnten Musicals mehr als 1-2 Hits zitieren? Kaum, denn mehr ist auch nicht an Brauchbarem und richtig schönen und bleibenden Melodien vorhanden.
Hingegen zähle ich bei JCS mindestens 15 richtig gute, die man alle immer und immer wieder hören könnte. Darüber hinaus sind sie fast alle im Stile der großen Leitmotive Wagners regelrecht zu einem großen Gesamtkunstwerk verwoben – ein Glücksfall sondergleichen, quasi das Opus Summum der Musik der 60-er. Da gibt es Rock- und Stepnummern, Balladen, Folk und sogar Country – alles wird zitiert und ist eingebaut in fantastische Gitarrenriffs, Moog- und Hammondorgel-Klänge.
Fassen wir es kurz: Ein besseres Musical wurde ab den 1960ern nicht mehr geschrieben, und deshalb ist es wichtig gerade in der heutigen Zeit der Schmalspur-Kreativität des neuen Schlagerzeitalters dümmlichster Heimatfilm-Texte und den sprießenden Volksmusikstadeln gerade dieses Juwel stets neu zu beleben.
2015 zählte die grandiose Dortmunder Produktion (nicht zuletzt wegen "Superstar" Alexander Klaws) zu den erfolgreichsten Musicals auf subventionierten Opernbühnen Deutschlands; wir verliehen sogar den Opernfreund Stern erstmals an diese Gattung.
Doch – sagen wir es mit einem Wagner-Zitat: "Wunder muß ich Euch melden" – es geht sogar noch ein Quäntchen besser, denn was Michael Schulz und sein Team am Musiktheater im Revier gestern präsentierten war einsame Spitze. Besser geht es nicht – erlaube ich mir als Altmusical-Rocke, der noch die deutsche Erstaufführung vor 47 Jahre erlebt hat und seitdem so gut wie alle großen Produktionen begleitet hat, in aller Ehrfurcht zu sagen.
Hier stimmte wirklich alles im Konzept: Besser kann man die zeitlose Geschichte nicht inszenieren. Dichter, spannender, abwechslungsreicher und überzeugender (in pausenlosen 100 Minuten!) kann man ein Stück nicht auf die "Zauberbühne" eines Opernhauses bringen (Bühne Kathrin-Susann Brose) – die Bühnentechnik läuft heiß, wirbelt geradezu und stellt endlich einmal exemplarisch dar was machbar ist und warum wir von einem "Zauberkasten Bühne" sprechen.
In der geradezu leichtfüssig atemberaubende Szenenfolge zog man alle machbaren Register der Perspektivik – getaucht in wunderbare Lichteffekte. Thomas Ratzinger füllte den Begriff der "Lichtregie" mit intelligentem Inhalt und auch die Kostüme (Klaus Bruns / Kathrin Susan Brose) waren überragend gestylt – wobei es von den Playboy-Bunnies im originalen Römer-Outfit leider keine Fotos gibt! Und die Choreografie von Paul Kribbe war weltklasse. Toll brachten sich auch die Choristen, teilweise mit solistischen Aufgaben, ins Spiel ein. Die Chorleitung lag bei Alexander Eberle in den bewährt sehr guten Händen. Die Soulgirls * waren phantastisch 😉 !
Sowohl die phänomenale Cast, als auch die Solisten, Chor und Extrachor gaben alles und da merkt man den Unterschied zu den Kommerzproduktionen: Hier gaben alle ihr letztes Herzblut. Der Begriff "Rampensau" kann nicht nur für die beiden Hauptpartien gelten; diese füllten die erfahrenen Musical-Top-Star s Henrik Wagner (Jesus) und Serkan Kaya (Judas) allerdings wirklich perfekt in Darstellung und Gesang. Ian Gillian und Murray Head waren 1970 nicht besser. Zwar erreicht die junge Entdeckung Theresa Weber (Maria) noch nicht das Niveau von Yvonne Elliman, aber ihr steht ein großer Weg offen.
Die räumliche Überschaubarkeit und Größe des MiR erlaubte auch eine musikalische Dichte und einen Sound (ML: Heribert Feckler), den man bei größeren Häusern selten erreicht – insoweit ist auch die Band über den sprichwörtlichen grünen Klee zu loben. Nach einiger Anlaufzeit bekam dann auch die Tonregie eine zielgerichtete Verstärkung der Microports in den Griff.
Was für eine tolle Produktion! Dafür gibt es natürlich unseren raren Ehrenpreis, den OPERNFREUND STERN, ich vergebe ihn aus ganzem Herzen und mit teilweise Tränen der Freude in den Augen… Daß man als pensionierter Rock-Gruftie solch traumhafte Realisation noch einmal erleben darf ist einfach wunderschön.
Bravissimo an eine Inszenierung, die praktisch alles mobilisierte, was so ein mittleres Theater überhaupt leisten und bieten kann. Dabei braucht man einen Vergleich mit die sündteuren (leider oft recht banalen) Kommerzproduktionen nicht zu scheuen – im Gegenteil: Das war das Opus Summum, das Maximum an künstlerischer Unterhaltung und Qualität, was ein Musiktheater im Revier leisten kann und eben diesen wunderschönen Namen mit Ehre füllt.
Peter Bilsing 24.12.2017