Aufführung am 27.2.18 (Premiere/Uraufführung am 23.2.)
Teatro Carlo Felice
Die Uraufführung von „La Ciociara“ des Mailänder Komponisten Marco Tutino hatte mich dermaßen beeindruckt (s. „Merker“ Nr. 333/Jänner 2018), dass ich mir auch sein neuestes Werk „Miseria e nobiltà“ anschauen wollte.
Das Libretto basiert auf der gleichnamigen Komödie in neapolitanischem Dialekt (1887) von Eduardo Scarpetta, dem Vater des großen Eduardo De Filippo, die 1954 auch mit Totò und Sophia Loren äußerst erfolgreich verfilmt wurde und damit in Italien noch heute populär ist. Den Titel kann man mit „Armut und Adel“ übersetzen: Es geht um den Zusammenprall der Welten des Hungerleiders Felice Sciosciamocca und des Adeligen Ottavio, Principe di Casador. Gemma, Tochter des reichen Don Gaetano und Ballerina am Teatro San Carlo, und Eugenio, der Sohn des Fürsten, möchten heiraten. Gaetano will den Vater des Bräutigams kennenlernen, ehe er seine Einwilligung zur Hochzeit gibt, wovon Ottavio aber nichts wissen will. Schließlich überreden die Verliebten Felice, den Bräutigamsvater zu mimen, was durch das Eintreffen des echten Fürsten zunichte gemacht wird. Schließlich kommt es doch noch zum Happyend, und Felice erkennt, dass seine Frau Bettina, die Köchin bei Gaetano ist, ihn nicht vorsätzlich betrogen hat (weshalb er sie seinerzeit aus dem Haus gejagt hatte). Zur Freude von Peppiniello, des kleinen Sohnes der beiden, finden die Eltern wieder zusammen.
Das Libretto des Auftragswerks seitens des Genueser Hauses wurde, wie bei der vorangegangenen Oper, wieder in Gemeinschaftsarbeit des Komponisten mit Luca Rossi und Fabio Ceresa erstellt. Rossi ist für den dramaturgischen Aufbau der Bearbeitung des ursprünglichen Textes verantwortlich, Ceresa für den (hier ohne Dialekt auskommenden) Text. Die Autoren verlegten die Handlung auf ein genaues Datum, nämlich den Juni 1946, als sich das italienische Volk in einem Referendum für die Abschaffung der Monarchie entschied. So fliegt der Schwindel Felices auch auf, weil sich der vorgebliche Adelige nicht eines Jubelschreis enthalten kann, als aus dem Radio die Nachricht kommt, dass die Republik gesiegt hat.
Im Programmheft erklärt Tutino, dass er eine leichtfüßige Komödie schreiben wollte, was allerdings nicht ganz gelungen ist, denn vor allem die Szenen des 1. Akts sind eigentlich fast immer dramatisch. Der erste Teil des 2. Akts mit seiner geheuchelten Vornehmheit ist dann unterhaltsam, wird aber schließlich, trotz des Happyends, doch ernsthaft. Wenn man sich aber nicht auf diese Aussage des Komponisten kapriziert, kann man seine eingängige Musik mit ihren ironischen Farbtupfen (etwa durch das Zitieren von ‚O sole mio‘) durchaus genießen.
Ausgesprochen gelungen ist die szenische Umsetzung. Im überaus treffenden Bühnenbild von Tiziano Santi (das im 1. Akt die beengten Wohnverhältnisse im von Bomben getroffenen Neapel der unmittelbaren Nachkriegszeit darstellt, im 2. dann das versucht „bürgerliche“ Wohnzimmer des neureichen Gaetano) und in den für die Zeit und die Zustände charakteristischen Kostümen von Gianluca Falaschi hat Rosetta Cucchi eine atmosphärisch dichte Regie erarbeitet, die auch dem ausgezeichnet singenden Chor des Hauses unter Franco Sebastiani die weidlich genutzte Möglichkeit gab, szenisch zu brillieren. (Ich denke da vor allem an die Szene, wenn sich die hungrigen Menschen endlich auf kostenlos zur Verfügung gestellte Schüsseln voller dampfender Spaghetti stürzen dürfen).
Auch mit der musikalischen Wiedergabe durfte man zufrieden sein. Der noch nicht 40-jährige Francesco Cilluffo leitete das Orchester des Hauses mit großer Sicherheit und ließ die melodiöse Musik in ihrer raffinierten Orchestrierung richtiggehend aufblühen. Alessandro Luongo gab mit kraftvollem Bariton den Felice in glücklicher Symbiose von rauhe Schale-weicher Kern. Als Gemma sah Martina Belli verführerisch aus und ließ einen angenehm samtig klingenden Mezzo hören. Ihren Eugenio sang Fabrizio Paesano, dessen Tenor man sich wohllautender gewünscht hätte. Dem fiesen Principe Ottavio verlieh Andrea Concetti mit seinem Bass zwielichtigen Charme. Die Bettina war bei Valentina Mastrangelo trotz einiger scharfer Höhen ihres Soprans gut aufgehoben. Unbefangen im Spiel und mit überzeugend schönem Mezzo sang Francesca Sartorato die nicht einfache Rolle des kleinen Peppiniello. Don Gaetano erhielt durch die Persönlichkeit und den Bassbariton von Alfonso Antoniozzi starkes Profil. Als Bauer und Kellner ergänzte der Charaktertenor Nicola Pamio.
Da mein Zeitplan es mir nur ermöglichte, an einer nachmittäglichen Schülervorstellung teilzunehmen, hegte ich Befürchtungen, ob sich die 11- bis 12-Jährigen auch entsprechend benehmen würden. Offenbar hat ihnen das Werk gefallen, denn trotz viel Geschreis in der Pause waren sie während der Vorstellung mucksmäuschenstill und feierten am Schluss das Ensemble lautstark.
Eva Pleus 1.3.18
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