Genua: „Beatrice di Tenda“, Vincenzo Bellini

Nach „Norma“ und vor „I puritani“ entstanden, fristet Vincenzo Bellinis vorletzte Oper ein kärgliches Dasein zwischen diesen beiden Meisterwerken. Der Text stammt zwar vom zu jener Zeit berühmtesten Librettisten Felice Romani, entstand aber während ständiger Streitigkeiten zwischen dem Textdichter und dem Komponisten. Dabei ging es sowohl um die Wahl des Sujets (ursprünglich war eine „Christine von Schweden“ angedacht), als auch um die ständig zu spät gelieferten Versen des mit Arbeit überhäuften Romani, was nach der trotz der großen Giuditta Pasta in der Titelrolle negativ aufgenommenen Uraufführung 1833 in Venedig zu einem öffentlichen schriftlichen Schlagaustausch zwischen den Autoren führte.

© Marcello Orselli

In der Tat ist der dramaturgische Aufbau des auf einer wahren Begebenheit beruhenden Werks mehr als schwach: Die verwitwete Beatrice hat in zweiter Ehe Filippo Maria Visconti geheiratet, der sich seiner Gemahlin entledigen will, weil er sich in die Hofdame Agnese del Maino verliebt hat („Anna Bolena“ läßt grüßen…). Er beschuldigt sie des Treuebruchs mit Orombello, der Beatrice zwar liebt, aber von der sich heiligmäßig gebenden Beatrice zurückgewiesen wird. Orombello ist so unvorsichtig, sich Agnese, die heimlich in ihn verliebt ist, anzuvertrauen, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Unter Folter legt Orombello ein falsches Geständnis ab, das er im Angesicht Beatrices allerdings widerruft. Dennoch werden beide zum Tode verurteilt, und auch Agneses Gewissensbisse vermögen dies nicht zu verhindern.

Soweit eine dem bekannten Dreieck Sopran-Tenor-Bariton geschuldete Story, die aber den Nachteil hat, dass die Figuren nur schemenhaft charakterisiert sind. Auch Beatrice selbst ist in ihrer Standhaftigkeit uninteressant, hat sie doch keine geheimen Gefühle gegen Orombello zu unterdrücken. Bellini war, im Gegensatz zu Donizetti, dessen dramatischer Ader es oft gelang, schwachen Libretti auf die Beine zu helfen, nicht in der Lage, die träge dahinfließende Handlung musikalisch aufzupeppen (das gilt meiner Ansicht nach auch für „La straniera“). So gibt es wiederholt die für den Komponisten typischen „endlosen Melodien“, die aber sozusagen für sich alleinstehen. Großer Raum wird dem Chor eingeräumt, der sich je nach der Ausgangslage auf Viscontis Seite stellt oder das Schicksal Beatrices beklagt.

Hier szenisch Spannung auf die Bühne zu bringen, ist gar nicht einfach bzw. eigentlich unmöglich. Regisseur Italo Nunziata ließ sich von Emanuele Sinisi ein einfaches Ambiente bauen, dessen verschiebbare Teile unschwer die wechselnde Umgebung andeuteten und die Szene vor allem farblich belebten. Die Kostüme im Stil des 19. Jahrhunderts stammten von Alessio Rosari. Ansonsten war nicht viel mehr als Auf- und Abtritte zu sehen.

Die Wirkung der Vorstellung lag somit allein an der musikalischen Umsetzung, die ausgezeichnet war. Der Musikdirektor des Hauses, Riccardo Minasi, entlockte seinem Orchester den Bellini entsprechenden Klang, setzte an einigen Stellen auch flottere Tempi als sie vielleicht in der Partitur standen und entging somit der Gefahr der Langeweile. Sehr homogen präsentierte sich der von Claudio Marino Moretti einstudierte Chor des Hauses.

© Marcello Orselli

In der Titelrolle brillierte die Amerikanerin Angela Meade, deren reiner, klarer Sopran mühelos die Ensembles überstrahlte, und die im obligaten Schluss Rondo alle Feinheiten der dramatischen Koloratur hören ließ. Leider ist sie im Gegensatz zu anderen amerikanischen XL-Sopranistinnen (ich denke da etwa an Deborah Voigt vor ihrem fatalen Entschluss der Magenverkleinerung) körperlich nicht wendig und auch mimisch uninteressant. In Erinnerung bleibt aber eine tolle gesangliche Leistung. Der Bariton Mattia Olivieri war ein geboten fieser Flippo Visconti mit schön timbrierter, beweglicher Stimme und als Einziger szenisch überzeugend. Die undankbare Rolle der Agnese gestaltete Carmela Remigio innerhalb ihres eng gesteckten Rahmens überzeugend. Bei der Rolle des Orombello stehen wir wie immer bei Tenorrollen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor dem Dilemma, dass sich das heutige Publikum mit Bruststimme gesungene Sovracuti erwartet, die von Francesco Demuro auch geliefert wurden, allerdings um den Preis des schönen Klanges. Ansonsten bot er eine mehr als solide Leistung. Manuel Pierattelli und Giuliano Petouchoff ergänzten verlässlich in den Kleinrollen.

Ein an diesem Sonntagnachmittag gut gefülltes Haus applaudierte herzlich und feierte vor allem Angela Meade.

Eva Pleus, 24. März 2024


Beatrice di Tenda
Vincenzo Bellini

Teatro Carlo Felice, Genova

17. März 2024

Inszenierung: Italo Nunziata
Musikalische Leitung: Riccaro Minasi
Orchestra Opera Carlo Felice di Genova