Premiere am 10. März 2019
Flüchtlingsoper zum Zweiten
Alexander Vinogradov
Giuseppe Verdis „Nabucco“ ist die Flüchtlingsoper par excellence; so ist es gut nachvollziehbar, bei der Inszenierung des Bibel-Stoffes die aktuelle Flüchtlingsproblematik auf die Bühne zu bringen. Wie das aber der in Moskau unter Hausarrest stehende Regisseur Kirill Serebrennikov getan hat, fordert Macher und Zuschauer heraus. Einzelheiten der Neuinszenierung kann ich mir und unseren Lesern angesichts des übergroßen Medieninteresses ersparen und auf die Premierenbesprechung im „opernfreund“ verweisen. Mein Fazit lautet: Verdi hält vieles aus, aber hier ging es nun doch aus mehreren Gründen zu weit. Damit meine ich eindeutig nicht die so genannten Interludien, bei denen zu syrischen Liedern Fotos des preisgekrönten Fotografen Sergey Ponomarev gezeigt werden, die – da man Derartiges inzwischen leider fast täglich in den Medien sieht – gar nicht so sehr an die Nieren gehen. Schlimmer sind während der Opernszenen die ständige Flut von Fernsehbildern auf einem relativ großen Bildschirm und Spruchbändern, die allgemeine ernste Probleme wie Klimawandel u.v.a. anzeigen, aber auch überflüssigerweise die Handlung auf Englisch erklären (trotz der Obertitel!). Auch geht die Verlegung des Handlungsorts vom biblischen Babylon in den modern-realistischen Sicherheitsrat der UNO und in die dortigen Büros der Handlungsträger letztlich nicht auf. Hier passt eben doch vieles nicht zusammen. Dies alles beeinträchtigt die Konzentration der Zuschauer auf die Opernhandlung und damit auch auf die Musik.
Dadurch ließen sich Sängerinnen und Sänger in der besuchten Vorstellung glücklicherweise nicht stören, indem sie durchweg glaubhaft nach den regielichen Vorgaben agierten. Vom kontrastreich gespielten Vorspiel an beeindruckte das bestens disponierte Philharmonische Staatsorchester, das unter der prägnanten und fordernden Leitung von Paolo Carignani hohe Klangqualität entwickelte. Der italienische Dirigent betonte deutlich die lyrischen Szenen und übertrieb die plakativ herausragenden Passagen nicht über Gebühr. Auch der von Eberhard Friedrich einstudierte Staatsopernchor zeigte eine Klangpracht und Ausgewogenheit, die Ihresgleichen sucht. Von besonderer Güte war passend zum Konzept der in schwarzer Einheitskleidung in ergreifender Manier präsentierte Gefangenenchor, während dessen sich die syrischen Flüchtlinge vorsichtig zwischen den Choristen bewegten und schließlich vor ihnen aufstellten. Beim folgenden Interludium rührte der von diesen natürlich laienhaft gesungene Gefangenchor die Herzen des Publikums an, was im Zwischenbeifall, aber auch beim Schlussapplaus deutlich wurde.
Alin Anca/Dimitri Platanias/Oksana Dyka
Von den Protagonisten gebührt es Alexander Vinogradov (Zaccaria), zuerst genannt zu werden. Der russische Sänger verfügt über einen imposanten Bass mit großem Umfang und einer enormen Durchschlagskraft, den er in allen Lagen von der kraftvollen höheren Lage bis in die schwarze Tiefe äußerst präsent einzusetzen wusste. Nabucco war Dimitri Platanias, der mit seinem gut durchgebildeten Bariton sowohl die ruhigen Passagen seiner Partie eindrucksvoll ausdeutete als auch die nötige dramatische Attacke in den Stretta-Teilen seiner Arien zur Verfügung hatte. Die – wie bekannt – gesangstechnisch mörderische Partie der Abigaille war der Ukrainerin Oksana Dyka anvertraut, die die vielen Spitzentöne mit erstaunlicher Stimmstärke herausschleuderte, leider stellenweise ein Spur zu hoch und mit einigen Schärfen versehen. Auch die Registerwechsel zu den mittleren und tieferen Lagen wollten nicht immer reibungslos gelingen.
Oksana Dyka/Alexander Vinogradov
Der deutsch-turkmenischer Tenor Dovlet Nurgeldiyev ist seit längerem Mitglied des Hamburger Opernensembles; strahlkräftig sang er den Ismaele. Bei der Französin Géraldine Chauvet und ihrem charaktervollen Mezzosopran war die Partie der Fenena gut aufgehoben. In den kleineren Rollen gefielen mit frischem Tenor Sungho Kim als Abdallo, Alin Anca als Oberpriester des Baal und Na’ama Shulman als Anna.
Das Publikum im ausverkauften Haus war mit Zwischenapplaus eher sparsam, zeigte seine Begeisterung aber beim starken Schlussbeifall. Vereinzelte Buhrufe meinten wohl das Gesamtkonzept, trafen aber völlig unberechtigt den tadellosen Chor und die Flüchtlinge, die das nun überhaupt nicht verdient hatten.
Fotos © Brinkhoff / Mögenburg
Gerhard Eckels 20. März 2019