Hildesheim: „Cabaret“

Premiere am 15. Oktober 2016

Solide

Alexander Prosek/Ensemble

Nach zwei Voraufführungen in Nienburg erlebte man gestern in Hildesheim die erfolgreiche Premiere eines der bekanntesten Musicals, die zeitgeschichtlich ernsthafte Themen mit tragischem Einschlag behandeln. Die zum Jahreswechsel 1930 vor dem Hintergrund der Wende von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus spielende Story geht zurück auf tatsächliche Ereignisse, die der englische Schriftsteller Christopher Isherwood damals in Berlin erlebte. Wolfgang Hofmann hatte die solide Inszenierung übernommen, ohne sich zu dazu hinreißen zu lassen, durchaus mögliche Aktualisierungen auf die heutige Zeit einzubauen. Mit der zu langen Vorstellung der fünf Kit-Kat-Girls and Boys lief es zunächst etwas zäh an, nahm dann aber wegen der guten Schauspielkunst der Musicaltruppe Hildesheims an Dichte zu und fesselte am Ende. Dazu hatte Esther Bätschmann verschiedene Spielorte auf einer doppelten Drehbühne aufgebaut, die Hofmanns Vorstellung von enger Verzahnung der gesprochenen Texte (Handlung) und Songs (Kommentar) durch nahtlose Szenenwechsel unterstrich. Leider blieben einige Szenen im Kit-Kat-Club blass, bzw. wurden verschenkt, da es z.B. kein Publikum gab, das etwas Club-Atmosphäre hätte schaffen können. Besonders gelungen und eindringlich war das große Finale, in dem jeder Einzelne nochmal einen wichtigen Satz seines Textes wiederholte.

Tim Müller/Judith Bloch

Die teils elegischen, teils zündenden Melodien John Kanders wurden durch die Band unter der Leitung von Andreas Unsicker trotz der ungewohnten Positionierung auf einer Empore an der Hinterbühne sicher präsentiert. Judith Bloch nahm als naive, aber sympathische Clubsängerin Sally Bowles für sich ein; mit ihrer voll timbrierten Stimme überzeugte sie speziell in „Mein Herr“, „Maybe this Time“ und „Cabaret“. Der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw wurde von Tim Müller glaubhaft verkörpert, dem der Wandel vom Schock nach der Eröffnung von Sallys Schwangerschaft bis hin zum planenden Familienvater gut gelang.

Jens Krause/Annagerlinde Dodenhoff

Eine Paraderolle für Annagerlinde Dodenhoff ist Fräulein Schneider: Wie die erfahrene Schauspielerin ihre Texte auskostete und mit gut kalkulierten Verzögerungen oder kleinen Pausen rüberbrachte, das hatte Format. Anrührend war die zögerliche Annäherung der ältlichen Jungfer und des jüdischen Obsthändlers Schultz, die doch wegen des weiter aufkommenden Nationalsozialismus zum Scheitern verurteilt ist. Jens Krause als ständig verdrängender und abwiegelnder Herr Schultz löste das Unheil mit seinem eigentlich zur fröhlichen Unterhaltung der Verlobungsgäste prägnant vorgetragenen Song „Miesnick“ selbst aus. Sein Abschied von der Pension Schneider ging zu Herzen.

Die Zeichen der Zeit dagegen erkannt haben Ernst Ludwig und Fräulein Kost. Als Nazi mit Hakenkreuzbinde tratt Björn Schäffer resolut auf und scheute sich später nicht, den Freund Bradshaw niederzuschlagen (im leeren Club!). Annika Dickel, die auch für die teils akrobatische Choreographie verantwortlich war, hatte mit ihren vielen Vettern und Matrosen die Lacher stets auf ihrer Seite. Gemeinsam präsentierten sie klarstimmig das völkische „Der morgige Tag ist mein“. Als wendiger Conférencier bot Alexander Prosek schönstimmig die Songs dar: „Säht ihr sie mit meinen Augen“ mit der quirligen Äffin gefiel besonders neben den bekannten wie „Money, Money“ und „Willkommen…“

Das Publikum dankte allen Akteuren auf und hinter der Bühne mit lang anhaltendem, begeistertem Applaus.

Marion Eckels 16.10.2016

Bilder: Falk von Traubenberg

Weitere Vorstellungen: 17.,21.,27.,30.10.+16.11.+2.,13.12. 2016 u.a.