Besuchte Premiere am 14.10.17
Schon fast eine Oper
Die Musikalische Komödie Leipzig hat mit ihrer ersten Premiere wieder ein besonderes "Schmankerl" für Operettenfreunde auf dem Spielplan: Eduard Künnekes sehr selten gespielte "Grosse Sünderin" (zum letzten Mal vor etwa zwanzig Jahren in Halberstadt). Ein besonderer Fall, wie Lehàrs "Giuditta" oder Kalmans "Kaiserin Josephine", eine Operette, die an einer großen Bühne uraufgeführt wurde und durchaus genreübergreifend die Nähe zu Singspiel und Oper sucht. Die Uraufführung fand 1935 an der Staatsoper unter den Linden in Berlin statt, die Hauptpartien waren mit Tiana Lemnitz und Helge Roswenge prominent besetzt und erfordern große Stimmen(, es gibt Ausschnitte mit beiden, so "Das Lied vom Leben des Schrenk" und das Duett "Immerzu singt mein Herz deinem Herzen zu", beides echte "Hits"). Künnekes prekäre Situation, im Dritten Reich mit einer Nichtarierin verheiratet zu sein, sorgt wohl nach dem ersten großen Erfolg für das Verschwinden von den Spielplänen. Die Handlung ist eine recht typische Operettenschmonzette wie andere auch, nicht besser, nicht schlechter: am ihrem Hof zu Rastatt lebt die Herzogin Sybilla Augusta von Baden zwischen "Eremitage" und dem Lustschloss Bonbonniere als Witwe , der Hof ist geteilt zwischen den eher sinnenfreudigen Mitgliedern unter Hofmarschall Dagobert und den frommen Spießern unter Anführung der Gräfin Arabella ("die Tugendwache"), mit zwei fiesen Verehrern wünscht der Vater der "großen Sünderin" sie wieder in den braven Hafen der Ehe zu locken, hübsche Verwechslungen , eine bezaubernde Gartenszene, ein dritter Verehrer, der Abenteurer von Schrenk, bringen alles zu einem glücklichen Finale. Vor allem Künnekes inspirierte Musik mit bezaubenden Ensembles, die ihre Reverenz an die romantische Oper erweisen, wären Anwalt das Werk durchaus öfter erklingen zu lassen.
So weit, so gut: die Inszenierung hebt auch mit einer wirklich lustigen Idee an, denn das Lustschloss erweist sich als aufblasbare Hüpfburg, wie sie auf Strassenfesten für die Kinder zu finden sind. Weiterhin weist Florian Parbs Bühne vor allem aufblasbare Riesengewächse auf, auch noch schön, doch leider, leider bleibt das so die einzige Idee an der sich Regisseurin Alexandra Frankmann durch die Handlung eher schlecht als recht entlanghangelt, es findet sonst alles recht uninspiriert und vor allem uncharmant statt; tödlich für eine Operettenaufführung ! Die Dialoge sind unlustig und haben alle so etwas "Pseudomäßiges", da hätte sie lieber die Dialoge von der Gesamtaufnahme unter Franz Marszalek nachahmen sollen und wäre auf der sicheren Seite gewesen. Alles was passt, so mein Gefühl, ist eher der Professionalität der Darsteller zu verdanken, als der sehr laienhaften Spielführung. Da nützen auch die Tanzeinlagen in der Choreographie von Mirko Mahr nichts mehr, wenn sich dann die Sänger zu einem Viervierteltakt walzermäßig bewegen sollen, wäre die Hilfe des Choreographen nötig gewesen. Die Kostüme von Rebekka Zimlich sind ziemlich, nämlich bunt, was leider keine Qualität darstellt, denn die Melange aus verschiedenen Zeiten, Stoffen ,Farben mit ein wenig "Fetisch" besitzen keinen durchgängigen Stil.
Die Rettung folgt durch die musikalische Seite der Vorstellung, denn Stefan Klingele als Chef der Muko kann Operette und ist den Sängern ein guter Partner, obwohl er ein wenig in die großorchestrige Künneke-Falle tappst, denn die brillante und prima orchestrierte Partitur entwickelt ordentliche Lautstärke. Das Orchester selbst spielt das großdimensionierte Werk mit hörbarer Freude. Die Sänger müssen da schon ordentlich dagegenhalten, was auch auf Kosten der Textverständlichkeit geht. Die beiden gewaltigen Hauptpartien verdienen schon daher große Achtung: Adam Sanchez in der Roswenge-Partie bleibt den stimmlichen Höhenflügen nichts schuldig und weiß tenoralen Schmelz gut einzusetzen, was nicht ganz ohne Anstrengung passiert, doch : "Chapeau!" ein guter Einstand für das neue Ensemblemitglied. Lilli Wünscher als Hausdiva wird der Titelpartie mehr als gerecht und rettet sich mit gekonnter Routine durch die uninspirierte Szene. Ganz hervorragend Mirjam Neururer als Freifrau Jakobe, eine Soubrette die Unschuld und durchtriebenen Charme verbindet, und vokale Spitzen setzt. Jeffrey Krueger als passendes Pendant im Buffopaar verletzt sich sogar beim Gehopse auf dem Aufblasplastik (gute Besserung!), bringt aber den Abend trotz Handikap zu einem guten Ende. Anne Evens gibt und singt einen wunderbaren, pubertierenden Herzog Ludwig, Angela Mehring als prüde Arabella weiß die Hebel der Komik zu bedienen.
Die anderen Sänger werden irgendwie von der Regie abbehandelt, ohne daß das Potential der bekannten Darsteller genutzt wird: Patrick Rohbeck bleibt als Dagobert recht blaß, die unmöglichen Bewerber von Andreas Rainer und Hinrich Horn ( Edolin von Bunzlau und Bodo von Bodenstein) werden lediglich als Knallchargen verheizt. Auch der gesanglich treffliche Chor bleibt szenisch unter seinen sonstigen Möglichkeiten. Das Ballett erfreut zu guter Musik das Auge.
Es lohnt sich, schon wegen Künnekes hervorragender Musik, sich die Vorstellung anzuschauen, schade, daß die szenische Umsetzung so enttäuschend ausgefallen ist.
Martin Freitag 20.10.2017
Fotos (c) Ida Zenna / MuKo Leipzig
P.S. noch zwei weitere Videobeiträge
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