Erster Irrtum: ich dachte, Lortzing werde heute überhaupt nicht mehr aufgeführt, weil er den modernistischen Regisseuren zu bieder erscheint. Was er, zweiter Irrtum, überhaupt nicht ist, da seine gewagten Bosheiten gegen Adel oder Obrigkeit halt wegen der damals allmächtigen Zensur eben nur sehr versteckt erscheinen durften und auch so noch sehr mutig waren. Das aber wissen historisch Unbedarfte meistens nicht und verkennen ihn, dritter Irrtum, als bieder verstaubt. Den vierten Irrtum beging ich, weil ich angesichts des unattraktiven Äußeren der Musikalischen Komödie in Leipzig glaubte, nicht viel erwarten zu dürfen.
Und dann kam die große Überraschung: eine Spitzenaufführung in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Da war zunächst mal die Regie von Volker Vogel: durchwegs beweglich und ironisch frech, mit herrlicher Charakterisierungskunst. Er ging auch nicht wie viele unbedarfte Kollegen in die dumme Falle, alles in die Gegenwart zu verlegen. Denn solche Typen und Zustände (Adel!) gibt’s ja Gott sei Dank heute nicht mehr. Aber nur so gelang es auch, die Unsitten des Adels vorzuführen. Und dann das wunderschöne Bühnenbild von Alexander Mudlak: Poetisch aber auch ein klein wenig zu übertrieben romantisch.
Die Sänger waren alle auch hervorragende Schauspieler und gaben absichtlich eine kleine Prise „Zuviel“, was die Komik steigerte. Obwohl Milko Milev als Baculus natürlich von der Rolle her herrlich abräumen konnte, gefiel mir doch Mirjam Neururer in der halben Hosenrolle (Persiflage auf Mozarts Figaro) der Baronin stimmlich und darstellerisch am besten. Die wunderbare Parodie auf die in ihrer Griechenlandschwärmerei total überdrehte Gräfin brachte Carolin Masur mit prächtigem Understatement.
Den verkrampften Baron sang Radoslaw Rydlewski, in der Höhe zwar nicht immer ganz frei, aber ebenso überzeugend gestaltet wie der Graf von Julian Orlishausen als Gast, der allerdings auch noch mit herrlichem Höhenstrahl sang. Tobias Engeli leitete das inspiriert aufspielende Orchester spritzig und feurig und, was man auch an Staatsopern nicht immer erlebt: es gab nicht den kleinsten „Patzer“. So ging man voll Freude, begeistert, „erbaut“ und glücklich nach Hause.
In den Augen modernistischer Regisseure gleich vier Todsünden auf einmal: soll doch das Publikum durch eine wirklich zeitgemäße Inszenierung, ich zitiere: „aufgerüttelt, belehrt, erzogen und verunsichert“ werden oder, wie ein Münchner Intendant mal sagte: “Wenn nicht gebuht wird, haben wir was falsch gemacht!“ In Leipzig haben sie demnach viel „falsch“ gemacht, denn das Publikum jubelte lange und ausführlich.
Peter Klier 3.3.16
Bilder (c) Oper Leipzig