Leipzig: „Carmen“

Premiere 30. 11. 2018

Carmen light

TRAILER

Die Oper Leipzig hat in jüngster Vergangenheit durch herausragende Produktionen von sich reden gemacht. Die neue Carmen (Premiere: 30. 11. 2018) kann daran nicht anknüpfen. Allzu gefällig hat Regisseurin Lindy Hume, die am Hause bereits Don Pasquale und La Cenerentola inszenierte, das Geschehen arrangiert. Der Chor und Kinderchor der Oper Leipzig (Einstudierungen: Thomas Eitler-de Lint/Sophie Bauer) werden zumeist an der Rampe oder dekorativ auf Treppenstufen postiert. Wie im Kollektiv strecken die Männer bei Carmens Auftritt die Arme aus, fassen sich vor Erregung an den Hals, schwanken hin und her, setzen sich und stehen wieder auf. Das wirkt einstudiert, aufgesetzt, künstlich und entbehrt nicht einer gewissen Komik. Es fehlt der Aufführung, für die Ausstatter Dan Potra hohe Mauern entworfen hat, vor allem an Dramatik. Selten hat man das existentielle Schlussduett zwischen Carmen und Don José so spannungsarm gesehen wie hier.

Im eleganten, hautengen schwarzen Spitzenkleid gebärdet sich Carmen wie der Star auf dem roten Teppich bei einem Filmfestival, breitet die Arme aus, um scheinbar den Beifall der Menge entgegen zu nehmen, Dann erstarrt sie wie zur Statue und wartet an der Mauer auf Josés tödlichen Schuss. Theatralisch spitzt das Blut aus ihrem Kopf an die Wand – ein äußerlicher Effekt von zweifelhaftem Geschmack. Dabei gab es gerade hier einige interessante Licht-Stimmungen und -Wechsel (Matthew Marshall) von diffusem Nebel bis zu warmem, südliche Hitze suggerierendem Sonnenlicht.

Die matte Wirkung des Finales ist auch der Sängerin der Titelrolle geschuldet. Wallis Giunta mit attraktiver Erscheinung und roter Haarpracht lässt einen hellen Mezzo von solider Qualität, doch ohne jedes Raffinement hören, setzt Effekte im Brustregister diskret ein, kann aber grelle Töne in der Höhe nicht verhindern.

Läppisch sind ihre Tanzeinlagen, im 3. Akt wirft sie die Beine wie beim Can-Can. Dabei hat sie gerade in der tief notierten Kartenarie vokal ihre stärksten Momente. Im letzten Bild irritieren dann wieder die gellenden Spitzentöne. Ihr Don José ist mit Leonardo Calmi besetzt, der einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt mit kraftvollem, aber auch intonationsgetrübtem Tenor, der sich immerhin in der klug aufgebauten Blumenarie steigern kann, doch im Finale der Felsenschlucht stimmlich an Grenzen stößt. Escamillo ist der albanische Bariton Gezim Myshketa, der seltsamerweise im schwarzen Mantel mit Pelzkragen in die Stierkampfarena zieht, mit verquollener, dröhnender Stimme und vager Intonation auch gesanglich nicht überzeugen kann. Ein Publikumsliebling in Leipzig ist die ukrainische Sopranistin Olena Tokar, die als Micaela den meisten Beifall erhielt. Im geblümten Kleid mit Strohhut ist sie das einfache, verlegene Mädchen vom Lande mit innigem, berührendem Gesang.

In der exponierten Höhe allerdings spreizte sich die Stimme und ließ dann grelle Töne hören. Zuverlässig besetzt waren Mercédès (Sandra Maxheimer), Frasquita (Bianca Tognocchi), Zuniga (Sejong Chang) und Remendado (Sven Hjörleifsson).

Der sonst so sichere Chor in hellen Leinen-Kostümen schien gesanglich an diesem Abend nicht in bester Form zu sein, fiel vor allem im letzten Akt auseinander und wirkte mit dem Gewandhausorchester Leipzig nicht konform. Matthias Foremny leitete dieses brav und gebremst, ohne jeden mitreißenden oder gar überwältigenden Effekt. Der Beifall des Premierenpublikums war freundlich – nicht mehr.

Bernd Hoppe 4.12.2018

Fotos: (c) Tom Schule