Aufführung am 13. Juni 2019
Sol Gabetta (Cello)
Dmitri Schostakowitsch
Festliche Ouvertüre A-Dur op. 96
Dmitri Schostakowitsch
Cellokonzert Nr. 2
Claude Debussy
Suite aus »Trois Nocturnes« und »Images«:
Nuages – Fêtes – Gigues – Rondes de printemps
Maurice Ravel
La valse
Einmal mehr gab es beim aktuellen Konzert des HR-Sinfonieorchesters ein Aufeinandertreffen von Expressionismus und Impressionismus.
Am Beginn standen zwei Kompositionen von Dmitri Schostakowitsch. Zunächst gab es seine 1954 entstandene Festliche Ouvertüre, die er im Angedenken an die Oktoberrevolution von 1917 komponierte. Ein rasantes Orchesterfeuerwerk mit Motiven versehen aus Michail Glinkas Oper „Ruslan und Ludmila“. Es ist ein helles Werk der Lebensfreude, dass im überschäumenden Galopp nach vorne stürmt. Und das HR-Sinfonieorchester unter Leitung seines Gast-Dirigenten Pablo Heras-Casado nutzte die Gelegenheit seine hohe Spielkunst beeindruckend zu demonstrieren. Gut wurden die einzelnen Themen herausgestellt und kontrastiert. Auch kam der ironische Ausdruck nicht zu kurz. Vor allem die Holzbläser hatten hörbare Freude an so manch kecker Farbe. Dazu kamen bombastische Effekte im sonoren Blech und im Schlagzeug. Heras-Casado trieb das Orchester zu großer Rasanz an und blieb dabei rhythmisch äußerst exakt bei perfekter Dynamik. Ein toller Auftakt!
Wie anders vom Charakter wirkte dann sein zweites Cellokonzert. 1966 entstanden und abermals dem berühmten Cellisten Mstislav Rostropovitsch gewidmet, zeigt dieses Werk ein Spektrum der Zerrissenheit und Klage. Bestimmend ist hier die Düsternis und die Bedrohlichkeit. Die Musik wirkt oft zergrübelt und suchend. Selten kommen lichtvolle Momente in die Harmonien. Mit Sol Gabetta am Cello durften sich die Zuhörer über eine besonders herausragende Instrumentalistin freuen. Der erste Satz (Largo) ist voller Kontraste und wird klar von der Führung des Cellos bestimmt. Immer wieder ist das Xylophon zu hören, bis dann alles einem großen Höhepunkt entgegentritt, um dann den Satz sanft ausklingen zu lassen. Dieses Werk steht Sol Gabetta besonders nahe, das war ihr jederzeit anzumerken. So groß war ihre Hingabe, ihr Einfühlen. Dabei suchte sie immer einen körperreichen Ton auf ihrem Instrument. Den vielen Schwierigkeiten begegnete die Virtuosin völlig souverän. Im zweiten Satz, einem Allegretto, imponierten die äußerst diffizilen Tonsprünge, die Gabetta souverän realisierte. Interessant der kompositorische Einfall, die Solo-Kadenz des Cellos von zwei Tamburinen begleiten zu lassen. Intensiv nutzte der Komponist auch hier wieder die dunklen Farben der Fagotte. Der beschließende dritte Satz ist eine Mixtur aus Marsch- und Tanzrhythmen, koloriert durch verschiedene Schlagzeugeinwürfe. Viel Gelegenheit für Gabetta auch hier nochmals die ganze spielerische Bandbreite beeindruckend zu demonstrieren, bevor dieses Werk völlig abrupt endet. Pablo Heras-Casado war ein einfühlsamer gestaltender Partner, der immer den musikalischen Dialog suchte. Das HR-Sinfonieorchester zog dabei wunderbar mit. Am Ende Begeisterung bei den Zuhörern.
Nach der Pause konnte sich das Publikum über eine gekonnte Darbietung verschiedener französischer Kompositionen freuen. Am Anfang standen die ersten beiden Sätze „Nuages“ und „Fêtes“ aus den Trois Nocturnes von Claude Debussy. Die im Jahr 1900 uraufgeführte Komposition gilt als eines der wichtigsten Werke des musikalischen Impressionismus. Geheimnisvoll, voller Ruhe und doch etwas diffus die „Nuages“. Sehr farbenreich und furios mit seiner charakteristischen Trompetenmelodie sind die „Fêtes“. Es folgten mit „Gigues“ und dem „Rondes de printemps“ zwei Kompositionen aus den Images für Orchester, die Debussy zwischen 1905 und 1912 geschrieben hatte. Es handelt sich dabei um musikalische Landschaftsmalereien. So wird in den Gigues eine englische Herbstlandschaft portraitiert. Der französische Frühling wurde hingegen im „Rondo de printemps“ musikalisch verewigt. Viele Farben wechseln sich ab, Melancholie mit einem weichen Oboensolo in den Gigues, rhythmische Akkuratesse im „Rondo de printemps“ mit liedhaften Einwürfen. Dieses so besondere Wechselspiel realisierte das sensibel musizierende Orchester auf bestechende Weise. Pablo Heras-Casado motivierte das hingebungsvoll agierende Orchester vor allem zu sehr transparentem, filigranem Spiel. Die Instrumentalsoli gerieten beglückend, namentlich in den Holzbläsern, gemeinsam im schönen Wechselspiel mit den sensiblen Streicherklängen.
Im Jahr 1920 verwirklichte Maurice Ravel seine Apotheose auf den Wiener Walzer in seiner Komposition „La valse“. Ursprünglich lautete der Titel für sein Werk „Wien“. Zudem hat Ravel dafür ein Programm vorgesehen: „Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf: man erblickt einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreise wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; plötzlich erstrahlen die Kronleuchter in hellem Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855. Nach und nach treten an die Stelle der Walzerseligkeit verzerrte Rhythmen und dissonante Harmonien. Das Stück endet in einem Ausbruch von Gewalt und Chaos.“
Abermals eine willkommene Gelegenheit für das HR-Sinfonieorchester, seine besondere Kompetenz, gerade auch in der französischen Orchestermusik, beeindruckend zu demonstrieren. Pablo Heras-Casado achtete in seiner Interpretation vor allem auf die Doppelbödigkeit, das im Chaos endende Finale war als Bedrohung jederzeit zu erahnen. Wie aus dem Nichts ließ er die Streicher in Wellenbewegungen phrasieren, um dann in z.T. harten Sforzati-Einwürfen die Schönheit aufzubrechen. Dabei verwirklichte er auch hier wieder eine perfekte dynamische Balance. Die Steigerung am Schluss mit den wilden Schlagzeugern geriet geradezu infernalisch. Ein begeisternder Aufschrei des Publikums war die Antwort auf diese sehr surreal anmutende Musik, die so packend interpretiert wurde.
Dirk Schauß, 18.6.2019
Leider keine Bilder vom Konzert