Skandinavische Musik hat es schwer in Deutschland und so war es bedauerlich, dass beim aktuellen Programm des hr-Sinfonieorchesters in der Alten Oper Frankfurt etliche Plätze frei blieben. Das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung des finnischen Gastdirigenten Jukka-Pekka Saraste begeisterte das Publikum der Alten Oper mit einem beeindruckenden Programm. Die Musiker zeigten ihr Können und ihr Zusammenspiel auf höchstem Niveau und boten dem Publikum einen ganz besonderen Konzertabend.
Die Eröffnung des Konzerts bildete die Komposition Flounce der finnischen Komponistin Lotta Wennäkoski. Das kurze Werk beginnt mit einem schnellen, energiegeladenen Rhythmus, der von den Streichern aufgenommen wird. Die Bläser steigen dann nach und nach in das Geschehen ein und steigern die Dynamik. Besonders beeindruckend ist die präzise Ausarbeitung der rhythmischen Passagen, die von den Orchestermitgliedern des hr-Sinfonieorchesters genau umgesetzt wurden. Wennäkoski schafft es, verschiedene Stimmungen und Klangwelten miteinander zu verbinden und sorgt so für dissonant-intensive Minuten. Neue Musik bleibt immer einem sehr kleinen Publikumskreis vorbehalten, da sie keinerlei Möglichkeit bietet, reproduzierbar in der Erinnerung des Zuhörers zu verbleiben. Dies traf auch auf den zweiten Programmpunkt zu.
Anders Hillborg und sein Bratschenkonzert war die zweite Komposition des Abends. Das Werk wurde eigens für den renommierten Bratschisten Lawrence Power geschrieben und feierte nun seine Deutsche Erstaufführung. Das einsätzige Bratschenkonzert beginnt mit einem Thema, das von der Bratsche allein gespielt wird. Nach und nach steigert sich die Musik zu einem energiegeladenen Rhythmus, der von den Schlagzeugern des hr-Sinfonieorchesters vorangetrieben wird. Hillborg schafft es, verschiedene Stimmungen und Klangfarben miteinander zu verbinden und sorgt so für intensive Klangwolken. Am stärksten wirkte die Musik in den Ruhemomenten. In den liegenden Akkorden entstanden Schwebemomente. Der Bratschist Lawrence Power war ein herausragender Mitwirkender des Konzerts. Seine Interpretation des Bratschenkonzerts von Anders Hillborg war absolut beeindruckend. Lawrence Power beherrscht sein Instrument perfekt und zeigte eine enorme technische Fertigkeit in der Interpretation des schwierigen Parts. Seine Spieltechnik war von höchster Qualität, und er demonstrierte ein breites Spektrum der Klangfarben. Power verstand es, die verschiedenen Nuancen des Instrumentes auf subtile und einfühlsame Weise zu nutzen, um eine breite Palette von Emotionen und Stimmungen auszudrücken. Darüber hinaus war Power ein hervorragender Partner für das hr-Sinfonieorchester und seinen Dirigenten. Seine Zusammenarbeit mit dem Orchester war fein abgestimmt, und er konnte in jeder Phase des Konzerts eine herausragende Leistung erbringen. Seine Präsenz auf der Bühne war inspirierend, jederzeit hatte er die volle Kontrolle über die Musik. Powers Fähigkeit, die Musik mit einer herausragenden Spieltechnik und einer tiefen Intensität zu interpretieren, waren für das Publikum eine markante Hörerfahrung. Die Zuschauer waren von seiner Leistung begeistert und honorierten ihn, den anwesenden Komponisten, Dirigent und Orchester mit begeistertem Applaus. Power bedankte sich mit einer augenzwinkernden Zugabe, zu der er zeitweilig pfiff.
Im zweiten Teil des Konzerts erklang die selten gespielte Lemminkäinen-Suite op. 22 des finnischen Komponisten Jean Sibelius. Sie ist eine bedeutende Komposition, die auf dem finnischen Nationalepos Kalevala basiert. Die Suite besteht aus vier Sätzen, die unterschiedliche Episoden aus der Geschichte von Lemminkäinen, einem Helden aus Kalevala, darstellen. Der erste Satz, Lemminkäinen und die Jungfrauen, beginnt mit einem ruhigen, sanften Thema, das von den Streichern gespielt wird. Nach und nach steigert sich die Musik zu einem kraftvollen Crescendo. Der zweite Satz, Lemminkäinen in Tuonela, ist eine düstere Untergrundmusik, welche von einem intensiv lyrischen Thema kontrastiert wird. Der dritte Satz, Der Schwan von Tuonela, ist eine eindrucksvolle Darstellung der mystischen Welt, in der Lemminkäinen auf seiner Reise ins Totenreich einen Schwan trifft. Das berühmte Solo des Englischhorns ist eines der bekanntesten Soli in der Orchestermusik und vermittelt eine tief emotionale und ergreifende Stimmung. Der vierte und letzte Satz, Lemminkäinen zieht heimwärts, ist ein epischer Höhepunkt des Werks und vereint alle Themen und Motive der vorherigen Sätze. Die Musik ist dabei äußerst kraftvoll, vorwärtsdrängend und ausdrucksstark. Packend entwickelt Sibelius Harmonien und setzt gekonnte Effekte in der Instrumentation. Ein Instrument hat er dabei besonders intensiv in allen vier Sätzen zur Anwendung gebracht: die große Trommel. In der Spät-Romantik gibt es kein vergleichbares Werk, in welchem dieses Instrument derart umfangreich wirbeln darf.
Jukka-Pekka Saraste ist ein Experte für die Musik von Jean Sibelius. Immer wieder hat er dessen Werke dirigiert und aufgenommen. Seine profunde Erfahrung war jederzeit spürbar. Er leitete das hr-Sinfonieorchester mit einer herausragenden Leistung, die dem Publikum deutlich vor Augen führte, warum er zu den besonderen Dirigenten seiner Generation zählt. Saraste brachte eine enorme Präzision und Klarheit in die Interpretationen der drei Werke, die aufgeführt wurden. Seine Fähigkeit, die musikalischen Stimmungen und Empfindungen der Kompositionen zu erfassen und umzusetzen, war beeindruckend und faszinierend zugleich. Die Zusammenarbeit zwischen Orchester und Dirigent wirkte harmonisch, ein hervorragender Vermittler zwischen Orchester und Publikum. Mit seiner charismatischen Präsenz auf der Bühne und seinem feinen Gespühr für die Stimmung im Saal, gelang es ihm, das Publikum in die Interpretationen der Werke einzubeziehen. Durch seine Gestik und seine Führung motivierte er das hr-Sinfonieorchester zu Höchstleistungen und schaffte es, die Zuschauer auf eine emotionale Reise mitzunehmen. Insgesamt war Sarastes Leistung als Dirigent des hr-Sinfonieorchesters der zentrale Bestandteil des Konzerterlebnisses. Sein treffsicheres Gespür als musikalischer Leiter, gepaart mit seiner Fähigkeit, die Musik auf eine authentische und gefühlvolle Weise zu interpretieren, machten den Sibelius zu einem glanzvollen Erlebnis der Extraklasse. Das Orchester wirkte beflügelt und gab vor allem der Musik von Jean Sibelius größte Ehre. Überragend war die ungemein klangintensive und mit maximaler Sonorität aufspielende Streichergruppe. Bläser, berührend intensiv das Solo des Englischhorns, und Schlagzeuger zeigten Bestleistungen. Zu Recht wurden Saraste und das imposant aufspielende hr-Sinfonieorchester gefeiert.
Dirk Schauß, 14. Mai 2023
Besuchtes Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 12. Mai 2023
Lotta Wennäkoski
Flounce
Anders Hilborg
Bratschenkonzert
Jean Sibelius
Lemmikäinen-Suite Op. 22
Laurence Power, Bratsche
hr-Sinfonieorchester
Jukka-Pekka Saraste, Leitung