Verona: „Aida“

Vorstellung am 28.07.2022

Nachdem die US amerikanische Sopranistin Angel Blue ihren Vertrag als Traviata einseitig gekündigt hatte, weil sie das Blackfacing der Titelfigur in der Arena Inszenierung von AIDA als nicht akzeptabel und für sie als schwarze Sängerin sowieso als störend empfand, kochte das Thema in den sozialen Medien mal wieder hoch. Komisch nur, dass Frau Blue ihre Besorgnis erst äußerte, als Anna Netrebko als braun geschminkte äthiopische Sklavin aufgetreten war. Denn nachdem die ukrainische Kollegin Monastyrska ebenfalls mit dunkler Schminke die Rolle sang, krähte kein Hahn danach – und auch keine Henne. Aber alles was zur Zeit mit der Ukraine in Verbindung steht, geniesst wohl Unberührbarkeit. Wie dem auch sei, Theaterschminke gehört nun mal zum Theater, ich will mir hier gar nicht die Mühe von Umkehr – und Analogschlüssen machen, sondern nur auf das Statement der großartigen Grace Bumbry hinweisen (auch sie eine schwarze Sängerin), die ihre jüngere Kollegin liebevoll in die Schranken gewiesen hat: "To be proud of your race is a noble thing, and one which should be honored all the time, but if you made the choice to perform in a medium of Opera you must first know the history and the desire for credibility. I am sorry to have to be so stern with you because you are one of my very favorite young singers, however, it is my job and my responsibility as a black pioneer in this profession, to correct you when you are out of line. I hope that you will take this correction with the love that I write it. I am sorry that you will not be singing the Traviata in Verona, because I heard you sing the role about three years ago, and vocally you were wonderful. Is there no way that you could recall that decision? Your friend always, Grace B.”

DER FALL "NETREBKO"

Die Starsopranistin Anna Netrebko dient seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine als personifiziertes Feindbild der "woke" Generation. Zudem hat sie sich zum Blackfacing bei entsprechenden Rollen bekannt und bietet so nun eine doppelte Angriffsfläche für die ach so empfindliche Betroffenheits-Generation. Nachdem Frau Netrebko an der Met und den Salzburger Festspielen praktisch Auftrittsverbot erhalten hat, ist die Lage andernorts gespalten: Stuttgart nein, Regensburg ja, Monte Carlo ja, Arena di Verona ja. Und dies obwohl sich Frau Netrebko deutlich gegen den Krieg positionierte und deshalb selbst in ihrer Heimat Russland nicht mehr engagiert wird. Der von russischen Geldgebern abhängige und somit dem System Putins weitaus näher als Netrebko stehende Dirigent Teodor Currentzis hat sich bisher nie positioniert oder gar von Putin und den russischen Geldgebern distanziert und wird im Westen trotzdem von der Kulturschickeria umschwärmt und hofiert. Das verstehe wer will, ich jedenfalls nicht.

Anna Netrebko jedenfalls sang in der von mir besuchten Vorstellung eine überragende Aida: Rund in der Tongebung, dynamisch fein abgestuft mit herrlich tragenden und sauber schwebenden Piani, die heiklen Intervalle der Nilarie souverän meisternd, ohne je forcieren zu müssen. Das "Ritorna vincitor" gelang mit mitreißender Ausdruckskraft und im Finale II legte sich ihre so wunderbar timbrierte Stimme glanzvoll über Chor und restliche Solisten. Darstellerisch wirkte sie mit ihren barfuß getänzelten Tripelschritten und den fremdartig wirkenden Armbewegungen durchaus exotisch, ja mädchenhaft, ein Eindruck, den das viel (braunes …) Bein freigebende Kostüm noch unterstrich.

DER FALL "EYVAZOV"

Netrebko und ihr Gatte, der aserbaidschanische Tenor Yusif Eyvazov, treten natürlich gerne gemeinsam auf, das erleichtert wohl das Familienleben, ist auch legitim. Bisher habe ich ihn nur im TV gehört und war deshalb neugierig, wie seine große Stimme live klingt. Nun muss ich ehrlicherweise eingestehen, dass ich den Klang seiner Stimme nicht besonders mag. Sein Timbre ist für mich sehr gewöhnungsbedürftig. Die Tiefe war an diesem Abend praktisch nicht vorhanden, in den anderen Registern klingt für mich die Stimme belegt und unschön. Einzig in der oberen Mittellage verfügte er als Radames über eine fantastische, golden schimmernde Strahlkraft. Aber Stimmen sind nun mal Geschmackssache und Eyvazov hatte viele Fans im Publikum.

Das Schlussduett "O terra addio, addio valle dei pianti" fiel leider dem einsetzenden Regen zum Opfer und das Ehepaar verabschiedete sich winkend von den Fans – Aida und Radames überlebten für einmal ihr gemeinsames Grab.

DIE ÜBRIGEN HAUPTPARTIEN

Die Figur der ägyptischen Prinzessin Amneris (sie braucht keine dunkelbraune Schminke …) gehört mit zu den dankbarsten Mezzo-Rollen des italienischen Repertoirs. Olesya Petrova blieb der Partie nichts an dramatisch packender Kraft und Mezzofülle schuldig. Was für eine faszinierende Stimme, welche die Gerichtsszene regelrecht zum Explodieren brachte. Man war sehr dankbar, dass der Regen erst danach einsetzte, denn das war ein packendes Hörerlebnis. Frau Petrova gehört dabei nicht zu den brustig orgelnden Sängerinnen (gottseidank), sondern gestaltete mit wunderbar ausgeformte Tongebung. Grosse Klasse! Rafal Siwek verfügt über eine fantastische, präsente Bassstimme von balsamsicher Pracht, beinahe schon zu wohlklingend für den kriegstreiberischen Priester Ramfis. Amartuvshin Enkhbat, der mongolische Bariton, ist mit einer markanten Baritonstimme gesegnet, die er autoritär als äthiopischer König (blackface) und als Vater Aidas einzusetzen weiss. Gerne hätte ich ihn am nächsten Abend als Nabucco erlebt, doch dem sollte nicht sein. (Siehe den folgenden Artikel)

Simon Lim schließlich sang einen Respekt gebietenden ägyptischen Pharao und Vater von Amneris.

SANDALENFILM-OPTIK

Auch für AIDA hat man hier in der Arena di Verona keine Experimente gewagt, sondern auf die beim Publikum beliebte Inszenierung von Franco Zeffirelli zurückgegriffen. Zeffirelli war ein Meister im Arrangement von optisch beeindruckenden Massenszenen mit perfekter Symmetrie. Der Monumentalismus der auch von ihm entworfenen Bühne ist genau das, was ein Arena-Publikum zu sehen hofft. Alle mit dieser Haltung wurden nicht enttäuscht. Allerdings schien die Handlung vor dem Klimawandel zu spielen, als in Ägypten noch ganz kühle Temperaturen zu herrschten. Jedenfalls ließen die luxuriös wallenden Stofffluten der Kostüme darauf schließen. Einzig Aida in ihrem hochgeschlitzten Tunika ähnlichen Kleidchen wurde Afrika adäquat eingekleidet. Man gönnte es der Netrebko, wahrscheinlich hatte sie genug unter der dicken braun-schwarzen Schminke zu leiden. Wladimir Wassiljew zeichnete für die Choreographie der Tänze verantwortlich. Das war nun wirklich Peinlichkeit pur. Sowas grenzt dann an Rassismus und Aneignung, zum Fremdschämen und ganz schnellem Vergessen. Dass Zeffirelli das zugelassen hat, lässt dann doch etwas an seinem guten Geschmack zweifeln.

ORCHESTERKLANG

Marco Armiliato stand wie bei der TRAVIATA am Pult des Orchestra Fondazione Arena di Verona. Der Orchesterklang war weitaus undifferenzierter als am übernächsten Abend bei der TRAVIATA. Das mag davon abhängen, wo man seinen Sitzplatz hat. Bei TRAVIATA sass ich ganz oben auf den Steinstufen, bei AIDA auf einem teureren Platz weiter unten auf einem Metallklappstuhl. Klangprächtig und imponierend sang der grosse Chor der Fondazione Arena di Verona.

Ein durchaus hörens- und sehenswertes Erlebnis, wenn auch ohne Schlussduett. Dafür können die Ausführenden nichts, damit muss man bei Opern unter freiem Himmel nun mal rechnen.

Kspar Sannemann, 3.6.22

https://www.oper-aktuell.info/kritiken/artikel/verona-arena-aida-28072022.html

Foto © Ennevi, Arena di Verona