Mit Berichten von drei Produktionen blickt unser Autor zurück auf die Saison in der Arena di Verona.
„Aida“, Giuseppe Verdi – Wiederaufnahme von 1913/1982
Einnehmende inszenatorische Klassik
Am 10. August 1913 war das Geburtsdatum der Opernfestspiele in der Arena di Verona, die Erfüllung eines Traumes des Tenors Giovanni Zenatello, den er mit dem Unternehmer Ottone Rovato und dem legendären Dirigenten Tullio Serafin, dem Chorleiter Ferruccio Cusinati und dem Architekten Ettore Fagiuoli umsetzte. Fagiuoli entwarf das erste Bühnenbild der Aida in der Arena. Im Jahre 1982, die Opernfestspiele von Verona hatten sich mittlerweile als feste Institution im sommerlichen internationalen Musikleben Italiens etabliert, entstand die Idee, diese Inszenierung der erste Stunde wieder aufleben zu lassen.
Die Initiative kam von Gianfranco de Bosio (1924-2022), einem wichtigen Akteur und Regisseur des italienischen Theaters und der Festspiele von Verona, deren Intendant er als gebürtiger Veroneser auch zweimal war. Die wiedererstandene Inszenierung von 1913 erfreute sich sofort großer Beliebtheit und wurde bisher in 22 Spielzeiten stolze 267 Mal aufgeführt – und das in Zeiten, in denen nördlich der Alpen das Regietheater seine damals noch relativ handzahme Urständ feierte. Es geht also auch ganz anders, insbesondere im opernverliebten Ursprungsland Italien. Das konnte man erst Anfang September bei einer durchaus „modern“ wirkenden, aber werkimmanent und bildstark konzipierten neuen Turandot mit Anspielungen auf die chinesische Kaiserzeit durch Cecilia Lorio am Teatro Fenice in Venedig erleben.
Die Veroneser Inszenierung von 1913 basiert auf der originalgetreuen Rekonstruktion des Bühnenbilds von Fagiuoli sowie auf dokumentarischen Quellen. Die Kostüme inspirierten sich nach den frühen Figuren des Ägyptologen Mariette. Nicht nötig zu betonen, dass man die originalen Regieanweisungen Verdis eingehalten hat. Allerdings treten heute mit den äthiopischen Gefangenen keine Elefanten mehr auf, wie das wohl in den ersten Jahren einmal war. Das würde sicher auch der italienische Tierschutz nicht mehr mitmachen, ganz abgesehen von der Logistik. Aber ein goldenes Kalb aus Holz oder Plastik kam als Beutegut dann ersatzweise herein. Dafür traten ein paar berittene Schimmel auf. Großartig wirkten die bunt bemalten acht diesigen Säulen der ägyptischen Tempelanlage, die sofort an den Besuch der eindrucksvollen Tempelanlage von Karnak in Süd-Ägypten erinnerten. Die Säulen wurden, die Spielfläche insbesondere für die Auftritte von Chor und Ballett geschickt variierend, mehrfach neu positioniert. Hinzu kam eine auch auf der Riesenfläche der Arena-Bühne ausgefeilte Personenregie. Die Protagonisten waren ganz anders als in der nicht recht überzeugenden Neuinszenierung von Stefano Poda aus dem Vorjahr (die diesen Sommer auch wieder alternativ gespielt wurde) mit einer unübersichtlichen Überfrachtung von Statisten und technischen Effekten sehr gut zu sehen. Die Konzentration auf ihre sängerischen Leistungen war somit auch viel besser möglich.
Der Wettergott Petrus hatte allerdings für diese Aida-Aufführung nicht viel übrig. Nach einer oder zwei kürzeren Unterbrechungen versenkte er dann endgültig den 4. Akt. Aber es geht in der Arena immer um den Schutz der Musikinstrumente, weshalb bei den ersten Tropfen das ganze Orchester schon den Ausgängen zueilt, noch bevor man sie bemerkt. Das Publikum nahm aber alles relativ gelassen, und es war eine für die meisten doch sehr beeindruckende Inszenierung, vor allem auch mit guten Sängern.
Maria José Siri sang die Aida mit wunderschönen Piani. Diese scheinen ihre größte Stärke zu sein, denn sie beherrscht die Technik perfekt, wie ich im letzten Jahr in einem Interview mit ihr in Verona besprechen konnte (Merker 08-09/2023). Damals trat sie gleich in drei Rollen auf und erklärte mit interessanten Details die sängerischen Unterschiede zwischen Aida, Abigaille und Madama Butterfly. Ihre Gegnerin Amneris war mit Ekaterina Semenchuk die bekannt sichere Bank mit einem charaktervollen Mezzosopran und intensiver Darstellung. Sie konnte die emotionale Spannung zwischen den beiden Frauen sehr gut akzentuieren. Gregory Kunde als Radamès war zwar stimmlich gut. Aber irgendwie passte er nicht in dieses lateinisch-italienische Ambiente hinein mit seiner zu nordischen Wirkung und auch schon einem relativ hohen Alter. Alexander Vinogradov, der hier fast jedes Jahr singt, war als Ramfis wie immer sehr gut. Youngjun Park aus Süd-Korea war ein imposanter Amonasro, sowohl stimmlich wie mit seinem souveränen Auftritt. Der König war überzeugend Giorgi Manoshvili. Francesca Maionchi sang eine mystische Sacerdotessa und Riccardo Rados war ein guter Messaggero.
Ganz ausgezeichnet und hochprofessionell waren die Balletteinlagen in der Choreografie von Susanna Egri mit den Primi Ballerini Elena Andreoudi, Denys Cherevychko und Gioacchino Starace. Sie bekamen starken Sonderapplaus. Auch der von Roberto Gabbiani einstudierte große Chor della Fondazione Arena di Verona war bestens choreografiert und sang kraftvoll transparent. Das Veroneser „Urgestein“ Daniel Oren dirigierte das Orchester della Fondazione Arena di Verona mit der für ihn typischen perfekten Kenntnis der besonderen Umstände der Riesen-Bühne und eines Teiles der Gradinate, die Hervorhebung der Solisten und der Führung des Chores. Oren ist in Verona unglaublich beliebt, beim Orchester wie beim Publikum, und das merkte man mit jedem Akt. So war die musikalische Seite dieser denkwürdigen Inszenierung in besten Händen. Langer begeisterter Applaus des vollen Hauses!
Klaus Billand, 13. Oktober 2024
Aida
Giuseppe Verdi
Arena di Verona
Besuchte Vorstellung: 5. September 2024
Musikalische Leitung: Daniel Oren
Orchester della Fondazione Arena di Verona
„Il barbiere di Siviglia“, Gioachino Rossini
Buffo in reinster Form
Die Inszenierung des Barbier von Sevilla von Gioachino Rossini ist die dritte Produktion des argentinischen Bühnen- und Kostümbildners Hugo de Ana für die Arena di Verona. Sie erlebte ihre Premiere im Jahre 2007. Da es sich bei dieser klassischen Buffo-Oper um ein relativ kleines Ensemble handelt und das Stück sich eher um eine menschliche Komödie dreht als eine große Choroper ist, führte dazu, dass der Barbiere lange Zeit nicht auf dem Spielplan der Fondazione Arena di Verona aufschien. Hingegen wurde hier Rossinis ernsteren und Monumentalwerken schon früh große Aufmerksamkeit gewidmet. Nach drei sporadischen Aufführungen zwischen 1948 und 1996 ist der Barbiere mit dieser Inszenierung mittlerweile zum Dauergast in der Arena geworden, mit immerhin schon 35 Aufführungen in sechs Spielzeiten.
Hugo de Ana geht von Rossinis unwiderstehlichem Humor aus, was sich auch in der hervorragenden Choreografie von Leda Lojodice im Licht von de Ana widerspiegelt. Er inszeniert eine Art Rokoko-Fest, in dessen Verlauf er die komischen Figuren wie durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. Dazu baut er einen eleganten italienischen Garten, der aus einem sich ständig verändernden Heckenlabyrinth besteht und dessen für die Geschichte bedeutenden Innen- und Außenräume von riesigen roten Rosen überrankt werden. Das sieht zunächst einmal recht attraktiv aus, wirkt aber auch dem Buffo-Charakter der Oper entsprechend verspielt und sorgt für ein lebhaftes Geschehen im Laufe des ganzen Abends. Das Bühnenbild strahlt sogar eine gewisse Magie aus, zumal das satte Grün der Hecken und das tiefe Rot der Rosen in einem ungewohnten Kontrast zu den steinernen Rängen der Arena steht.
Darin wirkt sogar das Faktotum Figaro aus Sevilla, die treibende Kraft der Oper, bisweilen wie ein kleiner Mann, der den Ereignissen um die Liebesgeschichte zwischen Graf und Rosina sowie dem Sturm mit Happy End am Ende ausgeliefert ist. Die Personenregie ist entsprechend ausgelegt und führt die Charaktere sehr gut unter Betonung auf ihre ganz spezielle Individualität, natürlich stets die humoristisch-komische Komponente hervorhebend.
Jack Swanson ist ein sehr guter und energischer Conte Almaviva. Carlo Lepore glänzt sowohl stimmlich wie komödiantisch als Bartolo. Ekaterina Buachidze ist eine Rosina mit klangschönem Sopran und sehr anmutigem Spiel. Nicola Alaimo ist der erwartet umtriebige und stets präsente Figaro mit kraftvoller Stimme und einnehmender Darstellung. Alexander Vinogradov ist natürlich eine Bank für den Basilio. Marianna Mappa gibt die Berta, Nicolò Ceriani den Fiorello und Ambrogio und Domenico Apollonio den Offiziellen. George Petrou leitet das Orchestra della Fondazione Arena di Verona mit viel Sinn für die filigranen und komödiantischen Momente der Partitur, in denen es vor allem um die menschlichen Themen der Oper geht. Der von Roberto Gabbiani einstudierte Coro della Fondazione Arena di Verona trug ebenfalls zu einem guten Gesamteindruck bei. Allerdings scheint sich die Arena doch mehr für die ganz große Oper zu eignen.
Klaus Billand, 13. Oktober 2024
Il barbiere di Siviglia
Gioachino Rossini
Arena di Verona
Besuchte Vorstellung: 6. September 2024
Musikalische Leitung: George Petrou
Orchester della Fondazione Arena di Verona
„Carmen“, Georges Bizet
Ein emotionaler Abschluss der 101. Temporada in der Arena
Erst 1995 kam Franco Zeffirelli, der zuvor ein halbes Jahrhundert erfolgreich im Film, im dramatischen Theater und natürlich auch in der Oper unterwegs war, an die Arena di Verona, und zwar mit einer monumentalen Inszenierung der Carmen von Georges Bizet. Sie erlebte in 15 Spielzeiten bisher schon 163 Aufführungen und ist beim Publikum der Arena, wie die Oper Carmen ohnehin, sehr beliebt. Das sich bis auf die hinteren Ränge der Arena ersteckende Bühnenbild von Zeffirelli lässt die Optik sowie die damalige Stimmung und Ästhetik von Sevilla unmittelbar erkennen. Sehr beweglich agieren wohl mehrere hundert Figuren auf der Bühne. Man sieht kleine Geplänkel, Raufereien, mal wird ein Räuber abgeführt, Soldaten sehen nach dem Rechten oder rauchen einfach nur eine Zigarette. Eselskarren treten auf, auch Micaela kommt mit einer pferdegezogenen Kutsche herein.
Don José aber sitzt gelangweilt an der Seite. Das Licht von Paolo Mazzon sorgt für optische Stimmungsverstärkung und El Camborio für eine sehr gute Choreografie der Menge, wenngleich es manchmal einem Wimmelbild, wie man es aus der bildenden Kunst kennt, gleicht. Die sehr phantasievollen Kostüme schuf Anna Anni. Im Jahre 2022 erneuerte Zeffirelli seine Inszenierung, die aber immer noch für den klassischen traditionellen Opernstil steht, von dem die Opernwelt sich zumindest nördlich der Alpen langsam, aber sicher zu verabschieden scheint, ja eigentlich schon verabschiedet hat. So hatte das Ganze auch einen gewissen aufführungshistorischen Charme.
Aber es war auch ein ganz besonderer Abend, denn es war der letzte der 101. Ausgabe des Arena di Verona Opera Festivals, die „serata conclusiva“ immerhin nach genau drei Monaten Festspieldauer – wohl der längsten der Welt. Und sie stand, wie könnte es anders sein, unter der musikalischen Leitung von Verona-Altmeister Daniel Oren, seit 2019 Musikdirektor des Arena di Verona Opernfestivals und der schon mit 17 begann, in Berlin das Dirigieren zu studieren. Mit 20 Jahren gewann er bereits den 1. Preis des Internationalen Herbert von Karajan Dirigier-Wettbewerbs in Berlin. Und die Musiker zeigten ihm, wie sie ihn lieben, und das Publikum ging begeistert mit: Oren riss beim Schlussapplaus emphatisch die Arme in die Höhe und alle Streicher daraufhin ihre Bögen – es war ein sehr beeindruckendes Bild und dokumentierte mit viel Emotion das Ende der Temporada 2024. Zuvor war von ihm und dem Orchestra della Fondazione Arena di Verona eine mitreißende „Carmen“ zu hören, die alles bot, was man sich unter der südländischen Hitze Sevillas mit den entsprechenden emotionalen Wallungen erwartet. Oren hatte den ganzen Apparat wie schlafwandelnd im Griff, ging immer sehr detailliert auf die Sänger ein und hatte auch eine gute Hand für die Koordination des oft an mehreren Seiten positionierten Chores. Durch das umfangreiche Bühnenbild, dessen mehrfacher Umbau viel Zeit beanspruchte, wurde es jedoch wieder ein recht langer Abend in der Arena.
Alisa Kolosova war eine glutvolle, etwas üppige Carmen mit einem ebenso voluminösen wie charaktervollen Mezzo und sehr engagiertem Spiel. Sie war auf der der Bühne klar die treibende Kraft des Abends, denn Paolo Lardizzone konnte ihr als Don José kaum das Wasser reichen. Er wirkte sowohl stimmlich wie darstellerisch zu blass, sodass der zentrale Teil der Geschichte etwas unterbelichtet blieb. Mariangela Sicilia hingegen war eine äußerst einnehmende klangvolle Micaela mit dem idealen Timbre für die Rolle und einer guten emotionalen Darstellung. Dalibor Jenis gab den Escamillo solide, aber nicht überragend. Des Weiteren gut besetzt waren Frasquita mit Daniela Cappiello, Mercédès mit Alessia Nadin, Dancairo mit Jan Antem, Remendadao mit Vincent Ordonneau, Zuniga mit Gabriele Sagona sowie Morales mit Fabio Previati. Roberto Gabbiani hatte wieder den sehr guten Coro della Fondazione Arena di Verona einstudiert. Ein guter, bisweilen recht emotionaler Abschluss der 101. Temporada in der Arena di Verona!
Klaus Billand, 13. Oktober 2024
Carmen
Georges Bizet
Arena di Verona
Besuchte Vorstellung: 7. September 2024
Musikalische Leitung: Daniel Oren
Orchester della Fondazione Arena di Verona
Direkt-Kritik des Autors nach der Aufführung der Aida im Video-Podcast: