Aufführung am 10.8.22 (Premiere am 4.8.)
In diesem Jahr brachte das Verona Opera Festival (übrigens das 99., mit Aussicht auf besondere Leckerbissen im nächsten Jahr zum Hunderter) verschiedene Inszenierungen des 2019 mit 96 Jahren verstorbenen Franco Zeffirelli heraus, von denen Puccinis letzte Oper vermutlich die prunkvollste ist. Die Intellektuellen mit hochgezogenen Augenbrauen und gerümpfter Nase möchte ich fragen "Wo, wenn nicht hier"? Der auch für das Bühnenbild zeichnende Regisseur hatte für seine Produktion aus 2010 ein Bühnenbild entworfen, das zu Beginn links einen Turm, von dem aus der Mandarin seine Ansage an das Volk gab, zeigte und rechts einen solchen, auf dem Kalaf schließlich Turandot erblickte. Dazwischen gab es eine dunkle Wand mit geheimnisvollen Zeichen, die auch noch in der Ministerszene des 2. Akts zu sehen war. Als sich diese öffnete, erstrahlte der kaiserliche Palast in seinem ganzen Glanz und entriss dem Publikum spontanen Applaus. (Als leidgeprüfte Opernbesucherin zeitgenössischer Inszenierungen hatte ich das schon lange nicht mehr erlebt). Die phantasievollen Kostüme stammten von Emi Wada und waren bloß bei Kalaf, der mit seinem Pelz an einen russischen Fürsten erinnerte, nicht so ganz gelungen. (Abgesehen von der Zumutung, im Hochsommer ein solches Kostüm tragen zu müssen, ganz zu schweigen von den heurigen Temperaturen).
Zu bewundern war in der Arena wieder einmal die Präzision, mit der ein nach Hunderten zu zählendes Massenspektakel perfekt ablief. Ein Hoch auf die BühnenarbeiterInnen (ja, es sind auch weibliche darunter!) ist hier absolut angebracht. Gleich danach der von Ulisse Trabacchin einstudierte, auf höchstem Niveau singende Chor, dem die Regie viel Bewegung abverlangt, was die Qualität des Gesangs in keiner Weise beeinflusste. (In den grauen Kostümen war er wirklich eine furchterregende Masse, die je nach Situation ihr Fähnchen nach dem Wind hängte).
Marco Armiliato und das Orchester der Fondazione Arena di Verona wurden zurecht sehr gefeiert. War es schon beeindruckend, wenn angesichts der aufgebotenen Massen alles wie am Schnürchen ablief, so erfreute um so mehr manche musikalische Nuance, die in der Arena nicht immer gebührend zu hören ist.
In den ersten drei von sieben Vorstellungen sang Anna Netrebko (die auch dreimal Aida war) die Titelrolle, und es war natürlich spannend, zu hören, wie sie mit einer Stimme, die zwar voluminös ist, aber nicht den berühmten Schwedenstahl von Birgit Nilsson, der Turandot des vorigen Jahrhunderts, besitzt, die Partie angehen würde. Nun, es war der Beweis, dass man Turandot, so man man über die entsprechende Technik verfügt, auch "weicher" singen kann. Das hinderte Netrebko nicht daran, im 2. Akt geradezu spielerisch über das entfesselte Orchester zu kommen und dann im Finale von Alfano die Interpretation einer fast zerbrechlichen Figur zu geben, die in ihrem Inneren schon weiß, dass die Liebe sie verändert hat. Ich hätte nie gedacht, dass mir nach meinen Erfahrungen mit Nilsson/Corelli auch eine solche Interpretation gefallen könnte, die erstmals die von Turandot schon vor Kalafs Kuss entwickelten Gefühle zeigt, und das ohne die kostbare Stimme zu strapazieren. Dass die Stimme von Yusif Eyvazov kein edles Timbre hat, ist hinlänglich bekannt, aber es ist bemerkenswert, wie der Tenor nach merkbarem ständigem Studium gefühlvoll phrasiert und nun auch über mehr als respektable Piani verfügt. In der Höhe ist seine Stimme ja immer schon schön aufgegangen, und das Publikum honorierte seine Leistung als Kalaf nicht nur mit der dringenden Bitte nach Wiederholung von "Nessun dorma" (die gewährt wurde), sondern auch mit großem Jubel am Schluss.
Ruth Iniesta war hingegen eine etwas blasse Liù mit professioneller gesanglicher Leistung, der es aber an Intensität fehlte. Der junge Bass Riccardo Fassi, der bereits im Begriff ist, sich einen Namen zu machen, war ein ausgezeichneter Timur, der mit seiner Klage nach Liùs Tod zu erschüttern wusste. Wenn ich aus den drei Ministern den Bariton Gëzim Myshketa als Ping hervorhebe, so ist es nur, weil seine Rolle die größere ist, denn auch seine Tenorkollegen Matteo Mezzaro (Pong) und Riccardo Rados (Pang) waren ausgezeichnet als szenisch und musikalisch bestens eingespieltes Trio. Der unverwüstliche Carlo Bosi gab einen prägnanten Altoum und sang auch hinter der Bühne den Todesschrei "Turandot" des persischen Prinzen. Ein Lob auch für Youngjun Park als vokal nachdrücklicher Mandarin.
Viel Jubel und großer Applaus des zahlreich erschienen, wenn auch das Arenarund nicht völlig füllenden Publikums.
Eva Pleus 19.8.22
Bilder: Ennevi Foto