Heidelberg: „Echnaton (Akhnaten)“, Philip Glass

Premiere am 06.06.2014

Aufstieg und Scheitern des Echnaton als spartenübergreifendes Projekt

Glass, einer der profiliertesten Vertreter des musikalischen Minimalismus, der inzwischen über 20 Opern herausgebracht hat, wurde als Opernkomponist schon mit seinem Erstlingswerk „Einstein on the Beach“ bekannt. Darin beschäftigt er sich mit der Figur des Wissenschaftlers; In „Satyagraha“ (1980) wird der Politiker Mahatma Gandhi thematisiert und mit „Echnaton“ (1983) beschließt er sein Triptychon der Portraitopern mit der Figur des gescheiterten Religionsstifters Amenophis IV. Diese drei Opern bringen nicht Leben oder Lebensabschnitte der Hauptfiguren in eine zusammenhängende stringente Handlung, sondern beleuchten jeweils tableauhaft die Hauptpersönlichkeit in ihrem Umfeld. Dabei wird in Grenzen auch auf historische Korrektheit geachtet, was natürlich bei der Oper Echnaton wegen der dürftigen Quellenlage an gewisse Grenzen stößt. Das Libretto der Oper schrieben der Komponist in Zusammenarbeit mit Shalom Goldmann, Robert Israel und Richard Riddell in Englisch, Ägyptisch, Akkadisch und Aramäisch.

Dominik Breuer (Chronist, oben Mitte), Artem Krutko (Echnaton, unten Mitte), Michael Zahn (Eje, Mitte rechts), Chor, Extra-Chor und Tänzerinnen

Es werden Szenen aus der 17-jährigen Herrschaftszeit des Pharaos Echnaton (Amenophis IV) aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert thematisiert. Das beginnt mit seiner Inthronisierung nach dem Tode seines Vaters Amenophis III und beschreibt die Ausrufung einer neuen Religion. Diese Neuerung war die Erhebung des Lichtgotts Aton anstelle von Amun zum neuen Hauptgott Ägyptens. (Das wird noch heute vielfach fälschlich als ein Schritt zum Monotheismus gesehen; war aber in Wirklichkeit nichts anderes als die Stilisierung eine neuen supermächtigen Stammesgottes: jedes Volk hat seinen eigenen Gott; der stärkste Gott gewinnt mit seiner Völkerschaft; ein mordendes Bekehrungsgebot findet da nicht statt.) Es kommt zum Bau der neuen Hauptstadt Achet-Aton, wohin sich Echnaton und eine Frau Nofretete begeben und die Realitäten der Welt nicht mehr wahrnehmen. Der Widerstand gegen die Neuerungen durch die überkommene privilegierte Schicht der zahlreichen Priesterschaft der Vielgötterei führen zum Schluss zur Zerstörung der neuen Stadt und zum Sturz des Pharaos. In der Oper kommen noch Echnatons Mutter, die Königin Teje, vor, der Hohepriester des Amun, der General Haremhab, sowie Eje, hoher Hofbeamter unter Echnaton und später Pharao als Nachfolger Tutanchamuns. In der Heidelberger Inszenierung endet die Oper mit der Einhüllung (und Mumifizierung) von Echnaton und Nofretete und der Einweisung einer Reisegruppe in den Besuch der Ruinenfelder von Echnatons verfallener Hauptstadt.

Artem Krutko (Echnaton), Léa Dubois (Tänzerin), Kyle Patrick (Tänzer), Amélie Saadia (Nofretete)

Mit der Inszenierung des Stücks als Hybrid Oper/Ballett war der Choreographin Nanine Linning betraut worden. Da ist von vornherein keine „Neudeutung“, oder „Lesart“ des Werks gefragt, sondern das Werk muss als Ballett und Oper verständlich gemacht werden. Da hilft der Ballett-Sicht die Konkretisierung durch Text und Bühnengeschehen, während naturgemäß die Opern-Sicht in Richtung Ballett eine weitgehende Abstrahierung erfährt, bei der die Bewegungsästhetik das Primat hat. Diesen Bewegungen stehen Bühnenbilder und Requisiten im Wege, weshalb der Bühnenbildner Marc Warning in seinen Mitteln von vornherein begrenzt ist. Der schwarze freie Raum wird mit von oben sich herabsenkenden graphischen Elementen (z.B. ein Sonnenkreis oder ein abstraktes Herrschaftssymbol) aufgelockert; gegen Ende hantieren die Darsteller mit Drahtmodellen, die sowohl die Architektur einer Stadt als auch deren Ruinen und Mausoleen darstellen könnten. Konkreter waren die Kostüme von Georg Meyer-Wiel, die neben zeitlosen auch antikisierend-stilisierende Elemente verwendeten: eine goldener Helm für Echnaton, eine Hinterkopfmaske für den General oder die Sonnenscheibe für den Hohepriester des Amun. Schwarz und Weiß sind die beherrschenden Nicht-Farben des Set, aufgelockert durch das Gold der Helme, das Blau der Frauengewänder und die Körperfarben der Ballett-Trikots.

Michael Zahn (Eje), Tanzensemble

Darüberhinaus arbeitet die Regie mit Kontrasten. Kommt der Chor in Weiß, dann ist das Corps de Ballet in Schwarz und umgekehrt. Wenn die Dance Company die Szene in Bewegung aufmischt, dann bleibt der Chor statisch. Und sicher war es eine große Herausforderung, welche die Regie meisterte: das Mit- und Gegeneinander von Chor und Ballett, zwischen denen immer ein gewisses Spannungsfeld aufgebaut werden konnte. Bühnenästhetisch war das sehr gelungen. Statisch und distant blieb die Führung der Protagonisten; sie blieben durchweg figureheads ohne Blut und Wärme. Viel hatte die Aufführung von einem Mysterienspiel, in welchem Gestik und Handbewegungen an Inszenierungen von Robert Wilson gemahnten, mit dem Glass in früheren Opern zusammengearbeitet hatte.

Tänzer Paolo Amerio, Thomas Walschot und Léa Dubois, Artem Krutko (Echnaton), Tanzensemble

Spätestens wenn man nach zweieinviertel Stunden reiner Spielzeit aus der Oper geht, weiß man, was der minimalistische Musikstil des Komponisten bedeutet. In der mit annähernd 15 Minuten sehr langen Ouvertüre hört man zunächst mit nur kleinen Variationen einen gebrochenen Akkord aufwärts und abwärts, der durch ein auf nur einer Tonhöhe gespieltes rhythmisches Motiv überlagert wird, das – immer prägnanter durch den Einsatz der Basstuba vorgetragen – die Herrschaft übernimmt und dann wieder versinkt um dem stetig fließenden Wellenspiel des Akkords wieder Raum zu geben. Das Philharmonische Orchester Heidelberg unter der Leitung von Dieter Holm spielte das in einem überzeugenden Spannungsbogen. Als Vergleich drängt sich das lange Es-Dur aus dem Rheingold an. Allerdings konnte das stets sauber intonierende Orchester diese Spannung nicht über die Spielzeit des Werks aufrecht erhalten Zum Schluss stand man unter dem Eindruck zwei Stunden lang Triolen in a-moll gehört zu haben, die nur in den beiden hochdramatischen Szenen der Erstürmung des Tempels und dem Sturz Echnatons mit ebenso dramatischem Choreinsatz (Gesang nur auf ganz wenigen Tonhöhen) unterbrochen worden waren. Einen guten Eindruck hinterließen vokal Chor und Extrachor unter der Direktion von Anna Töller. Dazu waren die Chöre ebenso stringent und präzise choreographiert wie die elf Ausführenden der Dance Company Nanine Linning vom Theater Heidelberg; die einen statisch schreitend, die anderen in harmonischen und gleichzeitig dynamischen Bewegungsbildern.

Artem Krutko (Echnaton), Amélie Saadia (Nofretete), Tanzensemble

Auch in der zeitgenössischen Musik finden sich immer mehr Rollen für Counter-Tenöre. So war die Titelrolle (fast im Stil einer barocken seria) mit dem Counter Artem Krutko besetzt, der mit zwei verschiedenen Registern zu gefallen wusste und vor allem in der Höhe mit hellen, klaren, ganz natürlich wirkenden Linien überzeugte. Amélie Saadia gab die Nofretete mit samtig weich intoniertem, betörenden Mezzo-Sopran. Die Französin, die mit 17 Jahren den »Prix du Plus Jeune Espoir« gewann, hat diese „Hoffnungen“ inzwischen voll bestätigt. In den weiteren Gesangsrollen bestand nur in geringerem Maße die Möglichkeit, sich auszuzeichnen. Das tat auf jeden Fall Irida Herri als Königin Teje mit einem schlanken leuchtenden Sopran, weniger Winfrid Mikus als hoher Priester des Amun mit seinem in der Höhe leicht schwankenden Tenor.

Artem Krutko (Echnaton)
(Foto: Roger Muskee)

Dominik Breuer sprach den „Chronisten“ (das sollte Amenhotep sein, der schon vor der Regierungszeit von Echnaton verstorben war) über Wangenmikrophon verstärkt in Englisch – mit Übertitelung der deutschen Übersetzung. Bei der UA in Stuttgart und weiteren Aufführungen wurde der Text auf Deutsch gesprochen. Dass er nun auch dann noch verstärkt wurde, wenn der Sprecher von der vorderen Brüstung des Grabens sprach, dass dabei unnatürlich hoch verstärkt wurde und dass der gehörte Klang aus einer anderen Richtung zu kommen schien als vom Sprecher auf der Bühne, lässt diese Praxis insgesamt fragwürdig erscheinen und wirft ein unvorteilhaftes Licht auf das deutsche Sprechtheater.

Es gab am Ende lang anhaltenden jubelnden Beifall für diese ästhetisch hochstehende Aufführung aus dem vollen Premierensaal. Dass hier an einem einzigen Abend Ballett- und Opernfreunde bedient werden können, wird sicher auch für volles Haus bei den kommenden Vorstellungen führen, die in dieser Spielzeit noch am 14. und 28.06. sowie am 4., 6., und 21.07. stattfinden werden.

Manfred Langer, 08.06.2014

Fotos (wo nicht anders angegeben): Florian Merdes