Karlsruhe: „Adriana Lecouvreur“

B-Premiere am 7.4.17

Dank überzeugender Einspringerin gerettet

Lieber Opernfreund-Freund,

am gestrigen Freitag fand in Karlsruhe die so genannte B-Premiere von „Adriana Lecouvreur“ statt, die am Haus durch alle Rollen doppelt besetzt ist und bei der sich die zweite Garde – ohne das qualitativ wertend zu meinen – an Cileas Schmachtfetzen versuchen durfte.

Die vertrackte Story um Machtspiele, Eifersucht und Giftmord mittels eines Veilchenbuketts war Regisseurin Katharina Thoma wohl ein wenig zu konstruiert und so hat sie die Oper nach der Vorlage von Eugène Scribe und Ernest Legouvé gründlich entdramatisiert. Sie betont in den ersten drei Akten ihrer Inszenierung die komödiantischen Anteile des Werkes, die in Musik und Text zweifelsohne vorhanden sind. Damit wertet sie gleichsam das Quartett der Schauspielerinnen und Schauspieler der Comédie-Française auf, das doch eigentlich eher Staffage ist, auch wenn es im ersten Akt durchaus als Motor, der die Handlung vorantreibt, fungiert. Die Bühne auf der Bühne darzustellen, ist wohl eine besondere Gelegenheit, mit verschiedenen Ebenen zu spielen, so dass es durchaus schlüssig scheint, dass die Handlung ins Hier und Heute verlegt wurde, das dargebotene Theater im Theater aber ein antikes Stück präsentiert, für das Irina Bartels hinreißende historische Kostüme geschneidert hat. Die Drehbühne des Hauses bietet weitere Möglichkeiten, mit Schein und Wirklichkeit zu spielen, so dass Kunst und Realität hier zu verschwimmen scheinen – die gelungenen Aufbauten stammen von Dirk Becker. Im letzten Akt wird’s dann doch dramatisch. Die Titelheldin stirbt allerdings nicht durch die von der Rivalin übersandten vergifteten Blumen. Vielmehr ist sie da eine alternde Diva, die nicht mehr spielt und deren einstiger Chef Michonnet an der Flasche hängt, so dass beide vielleicht ein realistisches Bild eines Künstlerlebens zeichnen, in dem Erfolge nur noch in der Erinnerung bestehen.

Vom Geliebten vor Jahren verlassen, setzt die Schauspielerin ihrem Leben selbst ein Ende, imaginiert die Wiedervereinigung mit ihrem Maurizio schlaftablettenumnebelt und tritt – dann doch wieder ganz theatralisch – für immer aus dem Scheinwerferkegel. Durch die Interaktion des Paares wird am Schluss allerdings diese an sich nicht unüberzeugende Lesart verwässert, wird wenig stringent aufgelöst, so dass mancher Zuschauer nicht zu deuten wusste, ob es sich nun um Realität oder ein Trugbild einer Sterbenden handelt. War dies ein von Katharina Thoma gewollter Effekt, so hat er mich nicht überzeugt, der Rest des Abends durchaus.

Der wäre allerdings um ein Haar an der Erkrankung von Katherine Broderick gescheitert, die ihr Debüt als „Adriana“ geben sollte, gestern nur spielen, aber nicht singen konnte. Als Retterin in letzter Sekunde trat glücklicherweise Hrachuhí Bassénz auf den Plan, die die Rolle bereits in Covent Garden verkörpert hatte und von der Seite sang. So kann ich Ihnen hier nur meinen Eindruck von den darstellerischen Qualitäten von Katherine Broderick wiedergeben, die vor allem dann überzeugte, wenn sie nicht die Diva, sondern die Frau dazustellen hatte. So lief sie im Finale des zweiten Aktes im Wortgefecht mit der Fürstin und vor allem im Schlussakt zu Höchstform auf.

Die zeigte die Einspringerin den ganzen Abend über. Wie Hrachuhí Bassénz mit an feine Seidenfäden erinnernden Höhenpiani und expressiver Mittellage auftrumpft, ist schon ein Erlebnis. Da sehnt man sich förmlich danach, diese hervorragende Sängerin auch spielen zu sehen – Katherine Brodericks Leistung in allen Ehren. Die Rolle ihres Geliebten Maurizio ist ein Paradebeispiel für einen Spinto, gewissermaßen die italienische Version des Heldentenors, die sich furchtlos in jede noch so gewagte Höhe schraubt und mit viel Gefühl und reichlich Schmelz die Töne erst dann beendet, wenn der Dirigent schon längst abgewunken hat. Diese Herausforderung hat der junge James Edgar Knight, seit 2015 Ensemblemitglied in Karlsruhe, so offen muss ich sein, nicht gemeistert. Er verfügt an sich über einen feinen Tenor von schöner Farbe, aber eher schlanker, denn voluminöser Art und hätte vielleicht den kleinen, aber feinen Part des Abbé mit Bravour gemeistert und ist sicher auch als Alfredo in der „Traviata“ hörenswert. Der Maurizio allerdings ist ihm doch noch ein paar Nummern zu groß. Viel zu früh kommt die Partie, die zu den Paraderollen von Caruso, Gigli, Corelli und Domingo gehörte. Die fehlende Kraft versucht der junge Australier mit viel Druck wett zu machen, wird dadurch mitunter unkontrolliert tremolierend, die Höhen gelingen eher kurzatmig denn imposant und wenn dann eine Phrase einmal technisch perfekt über den Graben tönt, erreicht sie mich seltsam seelenlos. Viel Seele packt dagegen Sanja Anastasia in die Partie der Fürstin. Die durchlebt schon im zweiten Akt die Erfahrung, die Adriana in Karlsruhe am Ende macht. Sie ist eine nicht mehr ganz junge Frau, sieht ihre Schönheit schwinden und wird zur Furie als ihr junger Liebhaber sich von ihr abwenden will. Sanja Anastasia gestaltet die Figur mit imposant-vollem, facettenreichem Mezzo, schießt in der Höhe aber mitunter über das Ziel hinaus.

Ensemblemitglied Jaco Venter ist in Karlsruhe eigentlich die Bank für die schweren Wagnerrollen. In den ersten Takten geht ihm eine gewisse Italianitá auch noch ab, fast nach Hans Sachs klingt da sein Michonnet. Ab seiner Arie im ersten Akt aber gelingt ihm eine überzeugende, zu Herzen gehende Interpretation des Theatermenschen mit sattem Bariton voller Gefühl. Avtandil Kasperli ist ein imposanter Fürst von Bouillon, der Abt von Chazeuil von Kammersänger Klaus Schneider kommt unterwürfig-schmierig daher. Agnieszka Tomaszewska, Ariana Lucas, Nando Zickgraf und Opernstudio-Mitglied Hakan Çiftçioglu ergänzen sich und das Ensemble als Komödiantentruppe perfekt mit viel Spielwitz.

Das Ballett „Das Urteil des Paris“ ist dankenswerterweise in Karlsruhe einmal nicht gestrichen und wird als stimmungsvolles, von Hélène Verry choreografiertes Schattenspiel gegeben. Dadurch hat auch der Badische Staatsopernchor unter der Leitung von Ulrich Wagner ordentlich zu tun und macht seine Sache gut. Im Graben zeigt Johannes Willig einen schwungvollen Cilèa und präsentiert den reichen Strauß an eingängigen Melodien voller Verve und Leidenschaft.

Das Publikum im vollbesetzten Haus ist begeistert, applaudiert allen Beteiligten und spart nicht mit „Bravo“-Rufen. Dass der junge, hoch gewachsene Haustenor dabei stärker gefeiert wird als die den Abend rettende Hrachuhí Bassénz, mag entweder dem Respekt vor dessen Mut oder einer ausgeprägten Fangemeinde geschuldet sein. Ich wünsche jeder Künstlerin und jedem Künstler die Geduld, seine Stimme wie seine darstellerischen Fähigkeiten in Ruhe reifen zu lassen und Freunde und Berater, die ihm dabei offen und ehrlich zur Seite stehen.

Trotz kleinerer Wermutstropfen, die Inszenierung, und einem größeren, die künstlerische Qualität betreffend, ist die Produktion doch sehenswert – und im Zweifel gibt es ja auch noch eine alternative Besetzung.

Ihr Jochen Rüth / 8.4.17

Die Fotos stammen von Falk von Traubenberg und zeigen die Besetzung der Premiere.