Karlsruhe: „Die Walküre“

Besuchte Aufführung: 18.12.2016, (Premiere: 11.12.2016)

Bewältigung einer traumatischen Vergangenheit

Entsprechend dem alten Stuttgarter Konzept Klaus Zeheleins hat das Badische Staatstheater Karlsruhe seinen neuen „Ring“ ebenfalls vier jungen Regisseuren, die vierzig Jahre noch nicht überschritten haben, anvertraut. Nach David Hermanns vollauf gelungenem „Rheingold“ ist das großangelegte Projekt nun mit der „Walküre“ fortgesetzt worden. Für die Regie zeichnet Yuval Sharon verantwortlich. Zu seinem Team gehören ferner Sebastian Hannak (Bühnenbild), Sarah Rolke (Kostüme) und Jason A. Thompson (Video).

Peter Wedd (Siegmund), Katherine Broderick (Sieglinde)

Hier haben wir es mit einer recht vielschichtigen Inszenierung zu tun. Der Begriff des Gesamtkunstwerks erhält für Sharon zentrale Bedeutung. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Technik. Wagner war ein großer Anhänger technischer Errungenschaften. Darüber ist sich der Regisseur im Klaren und stellt die Frage, welche technischen Mittel der Bayreuther Meister angewendet hätte, wenn er heute gelebt hätte. Die vom Regieteam gegebene Antwort lautet: Videos und Projektionen. Diese durchziehen die ganze Produktion und verleihen ihr einen ganz eigenen Charakter. Es sind immer wieder imposante visuelle Impressionen, die hier entstehen und über die etwas rudimentäre, nicht sehr ausgefeilte Personenregie hinwegtrösten. Einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen auch die oft ins Feld geführten Schattenspiele. Dies alles, Regie, Bühnenbild, Kostüme und Licht bilden eine ausgesprochen poetische Einheit von hoher Eindringlichkeit.

Katherine Broderick (Sieglinde), Heidi Melton (Brünnhilde), Peter Wedd (Siegmund)

Den ersten Aufzug deutet Sharon als Kammerspiel à la Ibsen. Siegmund und Sieglinde, denen der Regisseur noch zwei kindliche Alter Egos zur Seite stellt, begegnen sich in einem schier endlosen Gang mit ständig auf- und zugehenden Türen. Hinter diesen erscheinen manchmal den Primat der Musik versinnbildlichende Instrumentalisten. In erster Linie sind es aber Bilder aus der Vergangenheit sowie Wünsche und Sehnsüchte des Wälsungenpaares, die hier abgebildet werden. In der Tat spielt die vergangene Zeit bei Sharon eine wesentliche Rolle. Sie hat bei den Geschwistern zu Traumen geführt, die sie nur schwer bewältigen können. Bei Siegmund hat die durch Wotan genossene Erziehung zum Gesetzlosen und Außenseiter das Trauma ausgelöst. Bei Sieglinde ist es die Zwangsehe mit Hunding, in der sie zum reinen Objekt degradiert ist. Kein Wunder, dass sie ihren ungeliebten Ehemann hasst, der sie wie einen Wertgegenstand behandelt. Die Perspektive der Geschwister ist begrenzt. Von ihren Erinnerungen heimgesucht ist ihr Wahrnehmungsradius eingeschränkt. Sie leben in der Vergangenheit und agieren ständig in immer demselben Raum, in dem auch der zweite Teil des Mittelaufzuges spielt. Die Zukunft ist ihnen verschlossen. Als Ausgleich dafür steht ihnen aber noch die Hoffnung zur Verfügung. Sie dürfen noch hoffen, was bei Wotan nicht mehr der Fall ist.

Renatus Meszar (Wotan), Heidi Melton (Brünnhilde)

Zu Beginn des zweiten Aufzuges ist der Raum erweitert. Wotan und die anderen Götter erleben die Zeit kreisförmig. Dem Göttervater ist die Zukunft nicht verschlossen. Er sieht sein nahendes Ende voraus und lässt alle Hoffnung fahren. Ständig tritt er auf der Stelle und kommt nicht so recht weiter. Aus diesem Gedanken heraus hat das Regieteam das Bild der Rolltreppe vor einem goldenen Hintergrund entwickelt, auf dem Wotans Diskussion mit Fricka stattfindet. Wer gerade die Oberhand hat, steht oben. Die Göttin der Ehe wird hier nicht als böse Zicke vorgeführt, sondern als geschickt argumentierende Strategin. Im Zentrum des Interesses steht bei Sharon der große Monolog Wotans, den er auf ganz eigenwillige, so noch nie erlebte Weise deutet. Der Gott verlässt die Bühne und singt per Mikrophon aus dem Off, während sein Gesicht öfters in Großformat auf den Hintergrund projiziert wird. Auch die Konterfeis anderer „Ring“-Protagonisten und Erinnerungsstücke an das „Rheingold“ erscheinen immer wieder im Bild. Hier liegt der Fokus ganz auf einer von zahlreichen Videos dominierten Rückschau. Das war schon eine ungewöhnliche, aber durchaus Eindruck machende Vorgehensweise. Wenn die Rede des Gottes auf Siegmund kommt, tritt dieser in Anwendung eines Tschechow’schen Elementes selbst auf. In Vorausahnung seines Todes sticht ihm Wotan hier bereits seinen Speer in den Rücken.

Heidi Melton (Brünnhilde)

Den größten Eindruck hinterließ der Walkürenritt. Der dritte Aufzug, in dem die Zeit stillsteht, spielt in einer aus mannigfaltigen weißen Platten bestehenden Eis- und Schneelandschaft, die an Caspar David Friedrichs Gemälde „Die verlorene Hoffnung“ gemahnt. Die Jagdfliegerstaffel der in signalfarbenes Orange gekleideten Walküren springt vor der Kulisse des Paramount-Berges mit Fallschirmen ab. Später trennt Wotan mit seinem Speer die Eisplatten, um auf diese Weise eine Öffnung zu erzeugen, in der Brünnhilde schließlich einschlafend versinkt. Kurze Zeit später taucht sie in einen Eisblock eingeschlossen wieder auf. Siegfried wird im dritten Teil der Tetralogie viel Energie aufwenden müssen, um diesen zum Schmelzen zu bringen. Ob ihm das gelingen wird? Da im „Siegfried“ aber ein anderer Regisseur am Werk sein wird, wird diese interessante Frage wohl nicht beantwortet werden.

Ensemble der kleinen Walküren

Durchwachsen muteten die gesanglichen Leistungen an. Heidi Melton sang die Brünnhilde in Mittellage und Tiefe zwar mit guter Stütze und imposantem Ausdruck. In der oberen Lage blieben indes Wünsche offen. Die Höhe war oft geschrien. Zudem erreichte sie bei den einleitenden „Hojotoho“-Rufen die hohen c’s nicht. Vielleicht hätte Frau Melton bei der Sieglinde bleiben sollen. Die Brünnhilde ist noch eine Spur zu groß für sie. Renatus Meszar tat sich als Wotan zu Beginn mit einer hoch liegenden Phrase etwas schwer. Dieses Problem bekam er aber schnell in den Griff und überzeugte im Folgenden mit gut gestütztem und geradlinig geführtem Bass-Bariton. Insgesamt haben wir es hier mit keinem außergewöhnlichen, aber durchaus soliden Vertreter des Göttervaters zu tun. Einen auf den ersten Blick kräftig und markant singenden Tenor brachte Peter Wedd für den Siegmund mit. Die Stimme ist aber dennoch noch nicht gänzlich ausgereift. Bei aller Intensität wirkte seine Tongebung oft gaumig und geknödelt. Auch die Diktion des englischen Sängers ließ zu wünschen übrig. Nicht gerade den besten Eindruck hinterließ auch die Sieglinde von Katherine Broderick. In der Höhe und bei den dramatischen Ausbrüchen ging sie oftmals vom Körper weg, woraus eine recht schrille Tongebung resultierte. Ks. Ewa Wolak war eine sehr dominante Fricka, die sie mit pastoser Altstimme insgesamt auch gut sang. Dass ihr bei der Stelle „Jauchzend jagt sie daher“ einmal das hohe fis misslang, sei ihr angesichts der ansprechenden Gesamtleistung verziehen. Gesanglich nichts auszusetzen gab es an dem sonor singenden Hunding Avtandil Kaspeli s. Darstellerisch blieb er aber etwas blass. Das Sieglindes Ehemann anhaftende Böse konnte er in keiner Weise vermitteln. Viele gute Stimmen, aber auch eine sehr dünne Stimme hörte man in dem Ensemble der kleinen Walküren, das aus Ks. Barbara Dobrzanska (Helmwige), Christina Nissen (Gerhilde), Ks. Ina Schlingensiepen (Ortlinde), Katharine Tier (Waltraute), Roswitha Christina Müller (Siegrune), Ks. Tiny Peters (Rossweise), Kristina Stanek (Grimgerde) und Ariana Lucas (Schwertleite) zu bestand. Als kleines Wälsungenpaar gefielen Nils Cordes und Ella Schwartz.

Renatus Meszar (Wotan), Heidi Melton (Brünnhilde)

Eine Glanzleistung ist GMD Justin Brown und der versiert aufspielenden Badischen Staatskapelle zu bescheinigen. Es war schon ein recht vielschichtiger, differenzierter und nuancierter Klangteppich, den Dirigent und Musiker hier erzeugten. Überaus rasant gelang bereits der einleitende Gewittersturm. Auch im Folgenden setzte Brown auf insgesamt eher zügige Tempi. Einfach grandios, warm und gefühlvoll erklangen die Motive der Wälsungen-Zwillinge. Prägnant und energiegeladen präsentierte man den Walkürenritt. Die auf der Bühne vorherrschenden großen Emotionen fanden eine treffliche Entsprechung im Orchester. Darüber hinaus wartete der Dirigent auch mit einer gelungenen Transparenz auf. Das erste Zwischenspiel von Wotans Abschied mit dem großen Ausbruch nahm er etwas langsamer, als man es sonst gewohnt ist.

Fazit: Ein szenisch und musikalisch gelungener Abend mit einigen Schwächen auf der vokalen Seite.

Ludwig Steinbach, 19.12.2016

Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg