Karlsruhe: Arien von Johann Adolph Hasse

Opernkonzert im großen Haus des Staatstheaters am 28.09.14

Sensationell!

Johann Adolph Hasse,

ein Spätgeborener der Barockmusik, wurde 1699 in Bergedorf (heute Hamburg) in eine Musikerfamilie geboren, genoss eine Gesangsausbildung und wirkte als Sänger am Hamburger Gänsemarkttheater. Seine erste Oper „Antioco“ wurde 1721 in Braunschweig uraufgeführt. Dabei trat er selber als Sänger auf. Von 1722 bis 1725 studierte Hasse in Neapel bei Nicola Porpora (später Konkurrent Händels in London) und Alessandro Scarlatti. 1730 heiratete er den gefeierten Gesangsstar Faustina Bordoni, mit der er eine über 50-jährige Ehe führen sollte. In Italien erlangte er bald als Opernkomponist Berühmtheit, der Name il divino sassone eilte ihm voraus. Ab 1731 wirkte er in Dresden und leitete dort die Hofmusik, wobei er das Orchester so vorbildlich organisierte, dass Jean-Jacques Rousseau den Sitzplan dieses Klangkörpers im Artikel „Orchestre“ seiner Encyclopédie als Musterbeispiel veröffentlichte. Ein besonderes Verhältnis baute er zu dem Wiener Hofdichter und Librettisten Metastasio auf, dessen literarischen Konzepten er bis an sein Schaffensende die Treue hielt, weshalb Hasse sich auch den Reformoper-Aktivitäten von Calzabigi und Gluck gegenüber abweisend verhielt. Auch in seiner Dresdner Zeit wurde Hasse genügend Spielraum gegeben, immer wieder nach Italien zu fahren, so dass er Vermittler italienischer Opernkultur in Deutschland blieb. Höhepunkt von Hasses europäischem Ruhm war eine Einladung des französischen Hofs nach Paris 1750, wo er von den Aufklärern um Voltaire und Rousseau als Botschafter der italienischen Musikkultur gefeiert wurde. Einer Einladung nach London kam Hasse vorsichtigerweise nicht nach; dort wirkte inzwischen sein früherer Lehrer Porpora; mit ihm und Händel wollte er sich nicht in Wettbewerb begeben. Hasse war mit Größen seiner Zeit bekannt, traf den alten Bach wie den jungen Mozart und musizierte mit König Friedrich II von Preußen, dessen Hobby die Musik war. (In seinem Hauptberuf als König und Feldherr zerdepperte Friedrich im sieben-jährigen Krieg nicht nur Hasses Haus in Dresden, sondern auch die Hofoper, worin es ihm in späteren Zeiten Bakunin und die alliierten Bomberverbände gleichtaten. Hasses interessante Vita: wikipedia.org/wiki/ Hasse

George Petrou (Foto: Ilias Sakalak)

1793 Hasse starb 84-jährig in Venedig; seine Musik war obsolet geworden, der Komponist bereits in Vergessenheit geraten. Von der nun schon bald 100 Jahre andauernden Renaissance der Händel-Opern profitiert Hasses umfangreiches Werk nur ganz sporadisch. Während im Rahmen des Händel-Hypes viele weit weniger bedeutende Komponisten des Barock wieder auf die Bühne gebracht werden, bleiben Hasses Werke immer noch absolute Raritäten. Hasse als Komponist war mehr Sammler denn Jäger; seine Musik weniger originell als die Händels, aber viel gefälliger. Nun hat das Staatstheater Karlsruhe im Rahmen der alljährlich veranstalteten Händelfestspiele im Februar (staatstheater.karlsruhe.de/haendel) (15.02. bis 06.03.2015) als Zwischenkonzert einen Opernabend mit Konzerten und Arien von Hasse und unter dem Titel „Rokoko“ einen kleinen Einblick in das Werk des Komponisten vermittelt. Mit Affektenlehre, Generalbass, da-capo-Arien (harmonisch und im Tempo jeweils deutlich abgesetzt) Gleichnisarien und Stufendynamik bestimmen noch die barocken Elemente die Musik Hasses.

Max Emanuel Cencic in Karlsruhe
(Foto: Jochen Klenk
)

Mit dem Countertenor Max Emanuel Cencic und der armonia atenea auf Originalinstrumenten unter der Leitung von George Petrou waren für das Konzert höchste musikalische Kompetenz und Qualität aufgeboten. Cencic hat eine der schönsten Stimmen im Counterfach; Petrou, ein ausgewiesener Barockspezialist ist künstlerischer Leiter der armonia atenea, das mit führenden Barock-Ensembles mithalten kann. Dafür legten die Ausführenden an diesem Abend beredtes Zeugnis ab.

Gespielt wurden neben den Arien Ouvertüren zu den Hasse-Opern Artemisia (1754), Siroe (1733), das Concerto in F op. 4,1 und als ausgesprochenes Schmankerl das Concerto für Mandoline und Streicher in G op. 3,11, das Theodoros Kitsos, auch Basslautenist im Continuo, interpretierte. Ein solches Konzert käme allerdings in einem intimeren räumlichen Rahmen als dem großen Theatersaal noch besser zur Geltung. – Das Vokalprogramm begann mit der Arie „Notte amica, oblio de mali“ aus dem Spätwerk „Il cantico de tre fanciulli“ (1774), in der Cencic gleich sein großes Spektrum präsentierte: seine weich und samtig ansprechende Stimme, hinreißend gestaltete Emotionen im langsamen Teil mit beweglichen Fiorituren und klare Spitzentöne; dazu zeigte er auch seinen beachtlichen Stimmumfang und fiel selbst bei den tiefsten Tönen nicht aus dem Register. In dem sehr energischen „Solca il mar e nel periglio“ aus „Tigrane“ (1723) kamen erste Kostproben von seinem anscheinend anstrengungslosen Volumen und atemberaubenden Vokalisen, für deren schnelle Tonfolge Cencic immer genügend Stimmdruck verfügbar hatte. Sehr engagiert dabei auch das Orchester. Nach der kurzen ABA-Arie „Saper ti basta o cara“ aus „Il trionfo di Clelia“ (1762) kam vor der Pause der erste Höhepunkt des Abends mit „Siam navi all’onde algenti“ aus „L’Olimpiade“ (ja, auch Hasse hat eine Olimpiade auf Metastasios Textbuch geschrieben). Eine großartige, rasend schnelle Sturm-Musik (man glaubt kaum, dass das hier prägnant eingesetzte Fagott so schnelle Läufe spielen kann) mit enormer Energiefreisetzung im Orchester und halsbrecherischen Gesangspassagen, die Cencic an die Grenze seiner Möglichkeiten von Artikulation und Aussprache brachten, blieben nicht ohne Wirkung auf das Publikum, das im Laufe des Abends immer mehr mitging.

Mit „La sorte mia tiranna“ aus „Siroe re di Persia“ (1763) ging das Programm weiter, ein Lamento fast noch in Händel-Art, gemessen kraftvoll im A-Teil und auflehnend im B-Teil. In „De‘ folgori di Giove“ aus „Il trionfo di Clelia“ blitzte es textgemäß aus dem Orchester und aus der Kehle des Sängers mit einem dramatischen Ausbruch in die höchsten Stimmregionen des Solisten, der hier seinem Temperament Lauf ließ. Eine ausdrucksstarke messa di voce und schöne piano-Kultur zeigte Cencic beim „Dei di Roma, ah, perdonate“ noch einmal aus aus „Il trionfo di Clelia“. Das Programm schloss mit einem sehr bewegten „Vo disparato a morte“ Arie des Sesto aus „Tito Vespasiano“ (1735), Arie mit großen Tempo-Unterschieden zwischen den Teilen; Cencic interpretierte den sehr schnellen A-Teil mit viel Energie und Exaltation und drehte zu begeisternden Spitzentönen auf; im langsamen B-Teil nachdenklich und ausdrucksstark. – Unter den drei Zugaben sei noch eine temperamentvolle Arie aus Georg Christoph Wagenseils Euridice erwähnt, die mit ihren energischen Streicherpassagen an Gluck gemahnt: eine nette Geste der Musiker an einen fast völlig vergessenen Komponisten.

Max Emanuel Cencic ist zu den besten jüngeren Counter-Sängern zu rechnen. Seine Stimme zeichnen Leuchtkraft, Beweglichkeit und das anscheinend mühelose Volumen zusammen mit der ganz natürlich wirkenden weichen Intonation über den gesamten großen Stimmumfang aus. Dabei wirkt er etwas introvertiert, fast schüchtern. Nicht so ein Strahlemann wie Philippe Jaroussky, der ihm zwar in Artikulation und Aussprache voraus ist, aber nicht über Cencic’s warmes Ausdrucksvermögen verfügt.

armonia atenea; George Petrou
(Foto: Pappas)

Das Orchester spielte tadellos auf. Petrou gelangen bei bester Präzision ein meist leichter, federnder Ausdruck und sehr gelungenen Klangabmischungen mit den Holzbläsern und Hörnern. Letztere zeigten sich auch bei piano-Begleitungen präzise und jederzeit leicht. Lediglich beim Concerto in F, wo sie passagenweise dominant spielten, hatten die Hornisten mit den schwierig zu spielenden Naturinstrumenten etwas zu schaffen.

Die begeisterte Aufnahme des Konzerts schaute den Besuchern aus den Augen. Da das Konzert leider alles andere als gut frequentiert war, klatschten alle Besucher hinterher für drei und sorgten so für sehr gelöste Stimmung bei den Mitwirkenden.

Manfred Langer, 30.09.2014

Zum Hören bzw. Nachhören: Ein fast identisches Programm haben Petrou und Cencic bei DECCA aufgenommen; vieles davon Ersteinspielungen.

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