Karlsruhe: „Doctor Atomic“, John Adams

Vorstellung am 21.05.2014, (Premiere am 25.01.2014)

Gewaltige Hörbilder – Brennt die Atmosphäre? Auf dem Wege zur Vernichtung unseres Planeten

Am Badischen Staatstheater kam nun nach „Wallenberg“ und „Die Passagierin“ als drittes Werk in der Serie „politische Oper“ der Doctor Atomic von John Adams heraus. Als Teil einer Serie entstand auch dieses Auftragswerk der San Francisco Opera und wurde dort 2005 uraufgeführt. Denn wie schon in seinen vorangegangenen Opernkompositionen („Nixon in China“ und „Klinghoffers Tod“) hat sich der Komponist Adams ein Thema der Zeitgeschichte vorgenommen und sich dabei – soweit auf einer Opernbühne überhaupt möglich –an der historischen Realität orientiert. Dr. Atomic, das ist die Gestalt des Robert Oppenheimer, Sohn deutsch-jüdischer Emigranten, der in Göttingen bei Max Born promoviert hat und als „Vater der Atombombe“ gilt. Das Libretto für die Oper schuf Peter Sellars. Dabei handelt es sich um eine Collage aus historischen Dokumenten (Protokolle, Berichte, Korrespondenz) einerseits und von Oppenheimer geschätzter Lyrik andrerseits. Dieser Antagonismus aus banal wirkenden Textausrissen und tiefgründiger und rätselhafter Poesie (Baudelaire), der Spannung aus dem Text erzeugt, überträgt sich auch auf die Musik mit ihrem Gegensatz aus motorischem, heftigem Vorwärtstreiben mit den entsprechenden Schlagzeuggewittern und kontemplativen romantisierenden Passagen. Zudem sind die beiden Akte der Oper mit ihrem jeweils drei Szenen gegensätzlich angelegt: handlungsgetrieben der klar strukturierte erste, nach innen gekehrt der zweite Akt, der mit seiner unrealen Durchmischung der Handlungsorte zudem einen Hang zum Surrealen aufweist.

Steven Ebel (Robert Wilson), Armin Kolarczyk (Robert Oppenheimer), Lucas Harbour (Edward Teller)

Der Quantenphysiker Robert Oppenheimer treibt als wissenschaftlicher Leiter den ersten Atombombenversuch in der Wüste von New Mexico voran. Kontrastierend dazu die Idylle mit seiner Ehefrau Kitty im Bungalow. Sein Mitstreiter (und Hintertreiber) Edward Teller (der ist mit seinen Gedanken schon bei der thermonuklearen Waffe) gestaltet mit ihm und weiteren historischen Figuren ein Drama auch um die Frage, soll man oder darf man nicht? Der autoritäre militärische Leiter des Projekts General Leslie Groves, Robert Wilson (Spezialist für die Isotopentrennung), der Strahlungsmediziner Captain James Nolan und Jack Hubbard, Chefmeteorologe des Projekts, sind weitere historische Figuren des Librettos. Mit dem indianischen Hausmädchen Pasqualita wird als Kontrast naturverbundene Person in das Technik- und Männer-dominierten Szenario gesetzt.

Katharine Tier (Kitty Oppenheimer), Armin Kolarczyk (Robert Oppenheimer)

Der Regisseur Yuval Sharon setzt die gegensätzlichen Akte ganz unterschiedlich in Szene. Der erste Akt findet hinter einem Schleiervorhang statt, auf welchen kommentierende, erläuternde oder verstärkende Videoprojektionen (Formeln der Experimentalphysik, Wüstenlandschaften oder z.B. Gewittersturm) eine zweite Ebene ergeben, hinter welcher an einem zweiten Horizont die einzelnen Orte der Handlung (Büro, Privatwohnung) wie kleine Puppenstuben aufgezogen werden. (Bühnenbild: Dirk Becker) Da werden die Handlungselemente mit den Spielorten immer scharf herausbeleuchtet und in den etwas diffuseren Umweltkontext gestellt. Diese Klarheit ist im zweiten Akt nicht mehr gegeben. Als Spielfläche dient ein großes, sich noch hinten aufsteilendes, konkaves rot kariertes Skizzenpapier, wie es Ingenieure benutzen. Die Szenen mit den jeweils wenigen Protagonisten werden aufgemischt durch die Choristen, die auf der Bühne umherziehen, aber anscheinend keine Orientierung gewinnen können und wieder und wieder die Protagonisten umlaufen. Da hier die Handlungsorte (Privatwohnung und Testgelände) schon im Libretto durchmischt sind, vermeidet diese völlig abstrakte Szenerie den schwierigen Versuch, das zu konkretisieren. Die Spannung des zweiten Akts wird nicht mehr durch das Bühnengeschehen erzeugt, sondern speist sich vorwiegend aus der Musik. So konkret und funktionell im ersten Akt die Kostüme von Sarah Rolke einschließlich der in Schwarz agierenden Choristen sind, so abstrakt sind letztere im zweiten Akt in helle Schlabberkluft gekleidet, deren Funktion sich nicht zuordnen lässt: haben die neben einem nicht entstaubten Zementwerk gearbeitet, oder befindet sich (nach dem langen Gewitter!?) Wüstenstaub auf der Kleidung? Was im ersten Akt sehr gut gelingt und dann bis in den zweiten nachwirkt, sind die Charakterzeichnungen des Personals zwischen zynischen Treibern und nachdenklichen Zweiflern, über welchen der Popanz des Generals Leslie Groves agiert und donnert. Im zweiten Akt ist es eine Art abwartender Spannung, die dominiert, als der Test näher rückt.

Renatus Meszar (General Leslie Groves), Armin Kolarczyk (Robert Oppenheimer)

Starke Bläsersektion, (relativ) noch stärkere Schlagwerksgruppe und eine große Streicherformation; so könnte man in wenigen dürren Worten beschreiben, was sich da unter der Leitung des stellv. GMD Johannes Willig von der Badischen Staatskapelle im Graben versammelt hatte; auf die Orchesterstärke bezieht sich das nicht, was man als minimal music bezeichnet, deren Vertreter in der zweiten Generation der Komponist John Adams ist. Auch die reine Spielzeit des Werks von etwas über zweieinhalb Stunden ist alles andere als „minimal“, gerade für ein zeitgenössisches Werk. Einige Intonationsfehler und Unsauberkeiten im Graben waren zwar kaum überhörbar; aber insgesamt hinterließ der Orchesterpart doch einen prächtigen Eindruck. Überwiegend im ersten Teil waren die dramatischen Schlagwerk-Ostinati („patterns“ – eine Szene lang Gewitter!) angeordnet, deren Urgewalt sich hier und da auch im zweiten Teil Bahn brach. Dieser aber wurde mehr von raffiniert instrumentierten Klangteppichen beherrscht, von romantisierenden Tremoli der tiefen Streicher und deren spannungsgeladenen Crescendi. Unheilverkündend saßen darauf die Linien der tiefen Holzbläser, namentlich Kontrafagott und Bassklarinette. Das wurde sehr eindrücklich musiziert ebenso wie die vorwärtstreibenden Orchesterzwischenspiele des ersten Akts. Was man aus den Instrumenten im Graben nicht herausholen konnte, wurde zugespielt. Zuerst das unheimliche metallische Summen und Dröhnen elektronischer Musik, die das Unheil der Atomkraft kennzeichnen soll; visualisiert auf dem Millimeterpapier-Hauptvorhang der Bühne während der Ouvertüre als Oszillogramme in drei Ebenen, deren Zacken immer weiter ausschlagen, sich vermischten und beim Einsatz des Orchesters sich über die ganze Bühnenhöhe ausschlugen. Dann auch die diversen Klangeffekte des militärischen Alltagslebens. Präzise wirkte der Chor (Einstudierung: Ulrich Wagner) in lapidaren Einwürfen und Kommentaren in ganz engem Tonspektrum bleibend.

Dilara Baştar (Pasqualita); Ensemble, Staatsopernchor

Alle Solistenrollen waren aus dem Karlsruher Ensemble prima besetzt. In der Titelrolle war Armin Kolarczyk ein glaubwürdiger Darsteller zwischen geschworener Pflichterfüllung, konsequentem Vorgesetzten und einfühlsamem Musensohn. Dazu aber auch knallharter Zynismus (bei den Japanerm muss der größtmögliche „Eindruck“ erzeugt werden) Kolarczyk mit facettenreichem, kultiviertem Bariton wurde allen stimmlichen und schauspielerischen Anforderungen der Rolle gerecht und passte auch von seiner Bühnenerscheinung zu seinem schlanken Vorbild. Das „holy sonnet“ von John Donne „Batter my heart, three-person’d god“ gelang ihm in ergreifender Weise und sehr nachhaltig unmittelbar vor dem Publikum stehend. Dieser Gesang gehört zweifellos zu den anrührendsten Stücken des modernen Musiktheaters. (Warum ein Jude wie in einem Gebet die dreifaltige Gottheit anruft, hat sicher seinen Grund.) Mit dunklerem, runden und volltönendem Bariton gab Lucas Harbour den Edward Teller und stellte ihn – stets wie aus dem Ei gepellt als Sarkasten dar („wie nur 300 Tonnen TNT?; das ist ja kaum mehr als eine Fehlzündung!“) (Teller hat später bei Verdächtigungen der MacCarthy-Zeit seinen Kollegen Oppenheimer als Sicherheitsrisiko belastet.)

Katharine Tier (Kitty Oppenheimer), Armin Kolarczyk (Robert Oppenheimer), Dilara Baştar (Pasqualita)

Als befehlsgewaltiger General Groves war Renatus Meszar besetzt. So kompromisslos er unsinnige Befehle erteilte, so gerade heraus war auch sein kerniger Bass. Das Wetter konnte er zwar nicht beherrschen; aber dem Chefmetereologen befehlen, eine günstige Prognose zu stellen. Dabei menschelte es auch in ihm, wenn er – auf sein Körpergewicht anspielend – zugab, zu viele Brownies gegessen zu haben. Den Metereologen Frank Hubbard sang Jaco Venter mit durchschlagskräftigem dunklem Bariton; eine Art tragikomische Gestalt zwischen Disziplin und wissenschaftlicher Wetterbeobachtung. Der zweifelnde Physiker Robert Wilson war mit Steven Ebel besetzt, der über schönen, ziemlich hellen Tenorschmelz verfügte. Eine weitere kleinere Tenorrolle ist der Militärarzt Capt. James Nolan, dem Ks. Klaus Schneider mit viriler Timbrierung und weicher Intonation stimmlich Profil verlieh. Katharine Tier sang eine einfühlsame Kitty Oppenheimer; sie bewies nuancenreiches, tiefgründiges und ausdrucksstarkes Mezzo-Material vor allem in der Mittellage, während sie sich in den hoch gelegenen Passagen nicht ohne Schärfe ihres Vibratos bediente. Bis in erdige Tiefen vermochte der Mezzo von Dilara Baștar herabzusteigen; aber sie verfügt auch über schlanke Höhen und sprengte in die letzten Szenen immer wieder ihre beiden Lieder ein, von denen eines die „Wolkenblume“ beschwört, unbehaglicher Hinweis auf die kommenden Atompilze.

Lucas Harbour (Edward Teller), Armin Kolarczyk (Robert Oppenheimer), Renatus Meszar (General Leslie Groves)

Das bedrückende Ende der Oper zeigt die drei Hauptschuldigen Oppenheimer, Teller und General Groves mit Lichtschutzbrillen gegen den Atomblitz auf der Bühne; sie geben sich nach dem „geglückten“ Versuch mehrfach beglückwünschend die Hand; während japanischsprachige Stimmen eingespielt werden: „ich brauche Wasser“; „ich suche meinen Mann“. Betroffenheit beim Publikum im gut besuchten Saal; dann langsam einsetzende große Zustimmung zum Gesehenen. Fazit: sehenswert, aber leider nur noch einmal am 25. Mai zu erleben und nicht zur Wiederaufnahme vorgesehen. In der nächsten Spielzeit wird die Reihe „politische Oper“ mit Fantasio von Jacques Offenbach fortgesetzt.

Manfred Langer, 22.05.2014
Fotos: Falk von Traubenberg