Karlsruhe: „Turandot“

Premiere am 25. Januar 2020

Das Badische Staatstheater Karlsruhe kam nun mit einer optisch beachtlichen „Turandot“- Produktion heraus, die schon das Licht der Welt im Rahmen einer Koproduktion mit dem Teatro Massimo Palermo (Januar 2019) erblickte und an der auch das Teatro Comunale di Bologna beteiligt ist. Vor der Premiere lud das Staatstheater zusammen mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe-ZKM Medienkünstler und Theatermacher zu einem Oper- und Medienkunst-Symposium ein, als weiteren Beitrag in seiner Reihe „Oper und Medienkunst“. Das Symposium ging der Frage nach, wie die Oper mit den heute verfügbaren digitalen Technologien in 50 Jahren aussehen könnte. Nur in 50?!

So stand die „Turandot“- Inszenierung, vom italienischen Regisseur Fabio Cherstich in Zusammenarbeit mit dem russischen Videokunstkollektiv AES&F (Tatiana Arzamasova, Lev Evzovich, Evgeny Svyatsky + Vladimir Fridkes) inszeniert, auch ganz im Zeichen dieser Technologien, zu denen am ZKM fleißig geforscht wird. Vor Jahren erlebte ich bei der Münchner Biennale unter ihrem damaligen Intendanten Peter Ruzicka ein interessantes Projekt des ZKM.

Mit vornehmlich visuellen Mitteln auf einem dreiflächigen Bildschirm hinter der Bühne (etwa wie ein mittelalterlicher Klappaltar) und der Lichtregie von Marco Giusti versucht das Regieteam, ­­­­­­­mit der Bebilderung der Vergangenheit, die Turandot zu ihrem furchtbaren Gelübde gebracht hat und weshalb sie permanent „Rache an allen Heiratswilligen“ nimmt, die Auflösung dieses Traumas durch ihr Erkennen der Zuneigung Calafs zu zeigen. Auch das bis dahin manipulierte Volk wird dabei erstmalig zur Empfindung von Gefühlen wie Empathie und Güte fähig. Am Ende wird statt der Bedrängung des weiblichen Geschlechts durch den Mann in der weit zurückliegenden Vergangenheit (und das Regieteam meint wohl auch in der Gegenwart…) ein utopisches Bild von Harmonie und Liebe auf Lotus- und allen anderen möglichen Blumen Postuliert: Frauen mit Männern, deren abgeschnittene Köpfe noch kurz zuvor auf Blüten über die Leinwand schwebten, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen und alle miteinander. Wer weiß schon, ob das in überschaubarer Ferne als Normalität noch Utopie ist – wahrscheinlich nicht, eigentlich ja schon heute nicht…

Nach starkem poetischem und surrealistischem Beginn, vor allem mit faszinierenden Bildern einer futuristischen chinesischen Großstadt mit unzähligen unaufhaltsam kreisenden Flugobjekten bei Tag und Nacht – es könnte wegen des Meeres im Hintergrund Shanghai sein, und deshalb nicht Peking, wie im Programmheft spekuliert wird – die sich aber eng an „Metropolis“ von Fritz Lang aus dem Jahre 1927 anlehnen und einige Bezüge aus der architektonischen Ästhetik der Londoner City aufweisen, wird immer mehr deutlich, dass vor der überbordenden und sich ständig bewegenden Bilderflut das eigentliche Operngeschehen zu kurz kommt, ja bisweilen verloren geht. Der Bilderwirbel dringt sogar in einen imposanten blutroten Riesendrachen ein, der durch die Lüfte und einmal sogar durch das All kurvt. Er beherbergt in seinem Innern die – wie sollte es anders sein – nur mit Unterhosen bekleideten Opfer Turandots in allen möglichen Verrenkungen und Malträtierungen durch geschlechtslos wirkende chinesische quallen- oder tintenfischartige Frauenkonstruktionen ausgesetzt. Später kommen die acht Männer auf dem Fließband in eine Art chop-off Maschine. Ihre Hälse sind so sauber abgeschnitten wie der Hinterbeinschinken beim Metzgermeister…

Trotz aller immer wieder beeindruckenden Bilder, aber ohne entsprechend angereicherte Personenregie „am Boden“ (AES&F machte mit dieser „Turandot“ seine erste Musiktheater-Produktion überhaupt) gleitet das Ganze im 3. Akt in Edelkitsch ab, der seinen Höhepunkt im Finale mit einem sich auf und ab wiegenden chinesischen Riesenbaby findet, schon jetzt viel zu dick und aufgeplustert, mit den früheren Opfern, sei es Mann oder Frau, in Miniatur zärtlich gestikulierend auf seinen Armen und Beinen sitzend. Auch wenn das, wie die dann noch auftretende Miezekatze, parodistisch gemeint sein sollte, so kam es in Bezug auf die Oper „Turandot“ nicht recht rüber. Was so oft passiert, wenn ein Regisseur eine gute Idee hat, he gets carried away with it. Man spielt dasselbe bis zu Abwinken, obwohl eine sparsamere Dosierung fast immer mehr wäre, vor allem dramaturgisch, wo hier einiges verpasst wurde, was man durchaus hätte machen können. So wäre auch eine intensivere Kongruenz der Bilderwelt in Einklang mit dem eigentlichen Operngeschehen „am Boden“ wünschenswert gewesen. Es stellte sich zumindest für mich stärker noch als sonst derzeit einmal mehr die Frage, wieweit das Medium Film und Video in der Oper überhaupt gehen kann und sollte…

Elena Mikhailenko a.G. sang eine statische Turandot mit kräftiger Stimme, aber angestrengter Höhe und geringster Wortdeutlichkeit. Sie blieb gegen den charismatischen Rodrigo Porras Garulo blass, offenbar ein Publikumsliebling, und das durchaus zu Recht, denn er spielte und sang den Calaf intensiv, emphatisch, mit guter Mimik und einem Tenor, der manchmal eher ins Wagnerfach zu weisen schien als den letzten Forderungen italienischer Gesangskunst und Farbgebung sowie Italianità zu entsprechen. Sehr steigern konnte sich über den Abend die junge Agnieszka Tomaszewska als Liù, die mit ihrer finalen Arie die Herzen aufgingen ließ. Unter den drei Ministern ragte Vazgen Gazaryan als Ping heraus. Vazgen Gazaryan war ein sonorer Timur, Ks. Klaus Schneider ein guter Pang und Matthias Wohlbrecht ein Pong, der ihm mehr lag als der kürzlich hier gesungene Max. Ks. Johannes Eidloth sang den Altoum, und Seung-Gi Jung bestach als klangvoll prägnanter Mandarin.

Der von Ulrich Wagner einstudierte Chor und Extrachor des Badisches Staatstheaters und der Cantus Juvenum Karlsruhe e.V. sangen außerordentlich gut und transparent. Sie bekamen zu Recht den meisten Applaus, neben Garulo. Johannes Willig dirigierte die Badische Staatskapelle mit außerordentlich viel Verve und für meinen Geschmack in einer Reihe von Momenten, insbesondere bei den großen Tableaus, zu laut. Pathos war offenbar angesagt.

Fotos: Falk von Traubenberg

Weitere Aufführungen am 25.4., 15. und 24.5.,11. und 18.6. und 24.7.20.

Klaus Billand/20.3.2020

www.klaus-billand.com

Besuchte Vorstellung: 25. Oktober 2019

Viel Poesie und Leidenschaft…

Das Badische Staatstheater Karlsruhe brachte im Dezember letzten Jahres eine überaus phantasievolle und allenfalls vordergründig auf Kinder zugeschnittene Produktion des „Schlauen Füchslein“ von Leos Janáček heraus. Regisseur ist Yuval Sharon, bekanntlich „Co-Regisseur“ des Bayreuther „Lohengrin“, auch wenn er als Regisseur neben den Bühnen- und Kostümbildnern Neo Rauch und Rosa Loy geführt wird. Für Sharon ist „Das schlaue Füchslein“, wie er im sehr schön bebilderten und inhaltvollen Programmheft darlegt, „wie ein ruheloses, wildes Tier, das sich jedem Versuch, es mit einfachen Erklärungen oder symbolischen Interpretationen zu zähmen, widersetzt.“ Man müsse ein Gleichgewicht auf verschiedenen Ebenen herstellen. „Die Aufführung soll spielerisch, aber nicht kindisch sein, poetisch, aber nicht schwerfällig, mitfühlend, aber nicht sentimental, phantasievoll, aber zuerst und vor allem die Phantasie des Publikums anregen.“ Es lässt sich einfach nicht besser als mit diesem Zitat des Regisseurs beschreiben, was er mit dramaturgischer Unterstützung durch Boris Kehrmann auf der Karlsruher Bühne erreicht hat, mit dem Orchester direkt vor dem Bühnenbild – als Teil der Produktion auch optisch beteiligt. All dies ist sein „Schlaues Füchslein“ geworden.

Im Rahmen einer bestechenden technischen Animation der Walter Robot Studios sowie Bill Barminski&Christopher Louie mit Projektion und Licht von Jason H. Thompson auf einem dreiflächigen bunten und immer neue Naturstimmungen wiedergebenden Bühnenscreen im Hintergrund, treten die Tiere aus Öffnungen nur mit den Köpfen hervor, in fantasievollen Masken von Cristina Waltz. Das wirkt spielerisch, wenngleich ihre Dialoge an Intensität gewinnen, weil man sich so konzentrieren muss, welcher Tierkopf nun grade mal wieder und wo auf der großen Leinwand erscheint und zu singen beginnt. Die Füchsin agiert als Protagonistin als bewegtes Bild auf der gesamten Leinwand und fügt so gewissermaßen die verschiedenen Kommentare der Tiere auch dramaturgisch zu einer Handlung im ästhetisch alles dominierenden Wald zusammen. Sie bewirkt somit auch eine optische Dynamik von stets großer Poesie. Das wird besonders deutlich, als die Tiere es gemeinsam mit ihr schaffen, den unfreundlichen Dachs aus seinem Bau zu vertreiben, in den er die Füchsin nicht einlassen wollte. Man wird auf eine modern-romantische Art und Weise Zeuge einer imaginären Welt, die dennoch ungemein viel mit der unsrigen zu tun hat. Darin liegt ja auch der eigentliche Aussagewert dieser Oper von Janáček, die er zunächst als „Opernpantomime“ komponierte und später als „Waldidyll“ bezeichnete…

Eine andere und noch intensivere Ebene der Darstellung wird erreicht, als Fuchs und Füchsin zu ihren Liebesannährungen und der anschließenden verklärten Hochzeit im Schneeregen als wirkliche menschliche Figuren im Fuchskostüm in Erscheinung treten. Halt so, wie man sie in traditionellen Inszenierungen meist sieht. So bekommen diese Momente mit den übrigen Tieren im Hintergrund angedeutet und dem Specht, der die Hochzeit noch auf den letzten Drücker durchführt, eine ganz eigene poetische Note. Die Polin Agnieszka Tomaszewska als Füchslein Schlaukopf singt mit einem facettenreichen Sopran und ist ansonsten im Karlsruher Ensemble auch als Pamina, Fiordiligi, Gretel, Adina und sogar Freia unterwegs. Die türkische Mezzosopranistin Dilara Bastar als Fuchs gehört ebenfalls zum Ensemble und kann dem Sopran der Füchsin einen klangvollen Mezzo entgegensetzen und somit ihre Rolle als Fuchs auch vokal bestens zu Gehör bringen. Bastar wird hier noch in dieser Saison die Muse und Niklausse in „Hoffmanns Erzählungen“ singen.

Die Menschen treten natürlich ohnehin ad personam auf, und zwar auf einer schmalen Bühnenfläche hinter dem Orchester in rustikalem Ambiente, auch was die Kostüme von Ann Cross-Farley angeht – eine Art Gegengewalt zu jener der Tiere im Wald. Alle können ebenfalls stimmlich voll überzeugen, so Ks. Armin Kolarczyk als Förster, Christina Niessen als Frau Försterin, in Karlsruhe auch Kundry, Brangäne und Gutrune eingesetzt, Ks. Klaus Schneider als Schulmeister und von Hause aus passionierter Liedsänger, Nathanael Tavernier a.G. als Pfarrer und Dachs, ebenfalls begeisterter Liedsänger und Preisträger des ADAMI Classique. Der Koreaner Seung Gi Jung wartet als Haraschta und Landstreicher mit einem klangschönen und voluminösen Bariton auf, der nicht überraschen lässt, dass er in Karlsruhe auch Rollen wie Macbeth, Simon Boccanegra, Kurwenal, Donner und Scarpia singt und bald am Teatro San Carlo di Napoli als Renato in „Ein Maskenball“ gastieren wird. Der Badische Staatsopernchor wurde von Ulrich Wagner und der Cantus Juvenum Karlsruhe e.V. von Katrin Müller einstudiert, beide mit großer Präzision.

Die vom Karlsruher GMD Justin Brown geleitete Badische Staatskapelle entwickelte wohl auch wegen der offenen Bühnenplatzierung ein ausgezeichnetes transparentes Klangbild, das die vielen flimmernden Details der glutvollen und so slawischen Janáček-Partitur exzellent wiedergibt, mit immer wieder bestechenden Soli. Brown wusste das Tempo in rechten Moment anzuziehen, aber auch lyrischen Momenten, wie jenem der Hochzeit, malerische Farben zu verleihen, ebenso wie melancholische oder gar traurige Momente zu ihrer passenden Charakterisierung kamen. Für Justin Brown hat Janáček, wie er in einem Interview im Programmheft sagt, hinsichtlich des „Ausdrückens von Leidenschaften und Gefühlen mit den Mitteln der Neuen Musik das tiefste Verständnis von allen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Und vor ihm gab es eigentlich auch nur Mozart, Wagner und einige Stücke von Verdi, die den Menschen so tief durchdrangen und in der Lage waren, die menschliche Erfahrung so ernsthaft zu gestalten, ohne zu idealisieren … Janáček beschönigt nichts. Bei ihm müssen sich die Tiere gegenseitig töten um zu überleben“.

Fotos: Falk von Traubenberg

Klaus Billand/28.11.2019

www.klaus-billand.com