Aufführung am 25.10.2014, (Premiere am 18.10.14)
Fröhlich plätscherndes Gesellschaftsbild nach Dostijewski – gut dargeboten
Hans Krása hatte einen tschechischen Vater und eine deutsch-jüdische Mutter und wuchs in der einzigartigen Mischkultur Prags auf, die seit dem Zweiten Weltkrieg wegen der Ermordung der einen und Vertreibung einer anderen Gruppe nicht mehr existiert. Krása war in der Musik-, Theater- und Literaturwelt Prags bestens vernetzt, eine Zeitlang Direktor des Neuen Deutschen Theaters, Schüler von Alexander von Zemlinsky, kannte Max Brodt und war Bewunderer von Rainer Maria Rilke. Er ließ sich in Paris von Albert Roussel und der groupe des six beeinflussen. 1942 kam er ins Konzentrationslager Theresienstadt und wurde von dort nach Ausschwitz deportiert. Aus seinem musikalischen Schaffen ist die (schon in Theresienstadt vielfach aufgeführte) Kinderoper „Brundibár“ das bekannteste Werk, das nach seiner Wiederentdeckung 1985 wieder häufig aufgeführt wurde und in dieser Saison im Opernprogramm von Karlsruhes Partnerstadt Halle an der Saale erscheint (ab 05.11.14). — Zum 70. Tag der Ermordung des Komponisten Hans Krása in Auschwitz 1944 stellte das Badische Staatstheater dessen einzige abendfüllende Oper „Verlobung im Traum“ zur Diskussion. Wenn man sich die Vita von Hans Krása anschaut und sonst von dem Komponisten nichts weiß, denkt man bei einer Ausgrabung einer Oper dieses Komponisten sicher zuerst an einen düsteren, psychologischen Stoff (wie z.B. Schulhoffs „Flammen“ oder die jüngst in Karlsruhe gebrachte deutsche EA von Weinbergs „Passagierin“): weit gefehlt. Auch in den Topf mit den nach der Nazi-Diktatur jahrzehntelang auch nicht aufgeführten Opernkomponisten wie Schreker, Korngold, Braunfels, v. Zemlinsky oder Goldschmidt mit deren postromantischen Duktus passt Krása nicht. Krása könnte Krása sein.
Dana Beth Miller (Marja Alexandrowna), Jaco Venter (Fürst), Katharine Tier (Nastassja), stehend mit Zigarette: Agnieszka Tomaszewska (Sina)
1928 bis 1930 arbeitete er an seiner Oper „Verlobung im Traum“, für welche die Journalisten Rudolf Fuchs und Rudolf Thomas, Redakteure des Tagblatts, das Libretto nach Dostojewskis Novelle „Onkelchens Traum“ (1859) erstellten. Das ist ein nicht ganz unpolitisches Gesellschaftsbild, dessen Handlung mit nur wenigen Änderungen in die Oper einfloss. Marja Alexandrowna möchte ihre hübsche Tochter Sina gern an einen vermögenden Mann verheiraten. Gerade gelegen kommt es, dass ein Fürst in der Nähe des gesichtslosen Provinzstädtchens Mordassow mit seiner Kutsche havariert und zum Bleiben gezwungen ist. Obwohl Sina den schwerkranken brotlosen und revolutionär angehauchten Dichter Fedja liebt (tritt in der Oper nicht auf), lässt sie sich von ihrer Mutter dazu bringen, den alten und senilen Fürsten mit einer Opernarie zu bezirzen, so dass der der einen Heiratsantrag macht. Das missfällt Paul, einem Neffen des Fürsten, der sich selbst Hoffnung auf Sina macht und Nastassja, einer intriganten Verwandten der Familie. Beide hintertreiben die Verlobung. Paul überzeugt seinen Onkel, dass er die voreilige Verlobung bloß geträumt habe und in aller Ruhe abreisen könne. Sina besinnt sich wieder auf Fedja; aber leider wird dessen Ableben vermeldet. Marja verheiratet ihre Tochter schließlich mit einem gut gestellten, hohen Beamten im fernen Osten, wo sie eine angesehene Frau wird, aber ein kaltes Leben ohne Liebe führt.
Krása hatte es nicht leicht, ein Theater für die UA seiner Oper zu gewinnen. Deutschland wäre mit seiner damaligen progressiven Atmosphäre ein geeignetes Aufführungsland gewesen, aber da damals schon SA-Horden in den deutschen Theatern gegen missliebige Stücke und jüdische Autoren randalierten, zögerten die Intendanten selbst der Kroll-Oper unter Erich Kleiber. Schließlich kam es am Neuen Deutschen Theater zum Prager Frühling 1933 zur Uraufführung des Werks in Prag. Trotz der positiven Kritiken wurde das Werk bis zum Krieg nirgends mehr nachgespielt und gelangte erst 1994 in einer Koproduktion zwischen der Prager Staatsoper und dem Nationaltheater Mannheim wieder zur Aufführung, ehe es nun in Karlsruhe einen weiteren Wiederbelebungsversuch gab.
Agnieszka Tomaszewska (Sina), Dana Beth Miller (Marja Alexandrowna)
Der Regisseur Ingo Kerkhof geht mit seiner szenischen Umsetzung in die Entstehungszeit der Oper zurück und inszeniert passgenau zur Musik. Krása hat eine große Zahl von Einflüssen aus der Kompositionszeit verarbeitet, unter anderem auch Jazziges und Revuehaftes, auch typisch für die 20er Jahre. So wurde aus Dostojewskis dramatisch wenig zwingendem Gesellschaftsgemälde mit seinen politischen und moralischen Vertiefungen eine unterhaltsame Revue, bei der sich jeder Zuschauer selbst einen möglichen Tiefgang erschließen kann. Denn in dieser Hinsicht werden durchaus etliche Aspekte angerissen von „Der alte Mann und das junge Mädchen“ bis zur arrangierten Ehe, gesellschaftlicher Missgunst, Verrat aus materiellen Gründen und eben Leben ohne Liebe, aber dafür im Wohlstand. Nichts davon wird in der Inszenierung vertieft, wie auch keine vertiefende psychologische Feinzeichnung der Personen erkennbar ist. Das Stück lebt nicht aus der Binnenspannung, sondern eher vom Bühnenspaß und ist dabei nicht jederzeit spannend. Wenn man aber den Regieansatz als solchen akzeptiert, dann kann man dem Regisseur eine handwerklich exzellente Arbeit attestieren, denn sie ist durchgängig, stringent und lebhaft bei relativ einfachen Mitteln; changiert zwischen Satire und Boulevardkomödie mit bitterer Komik, bei welcher zuletzt alle die Düpierten sind.
Ensemble
Dostojewski hat seine Novelle eingerahmt in zwei Erzählungen des Stadtarchivars von Mordassow, die als Prolog und Epilog des Stücks dienen. Kerkhof hat diese Figur in einen Conférencier verwandelt, der kalt und glatt in das Geschehen einführt, das Personal vorstellt und schließlich über die Folge informiert. Er erscheint aus der Tiefe der von Bühnenbildner Dirk Becker stilsicher möblierten Spielfläche hinter einem mit sieben Reihen von insgesamt 800 Glühlampen bestückten Bühnenportal. Hinten wird die Bühne entweder durch einen einfachen Brechtschen Vorhang oder alternativ einen hereingefahren Prospekt mit einer Tür begrenzt, durch welche die Protagonisten auf- und abtreten können. Die werden umwuselt von einer Gruppe von Revuegirls, die in allerlei fantasievolle Kostüme vom Tutu bis zum Charleston-Kleid gesteckt sind (Kostüme: Inge Medert); man bleibt also konsequent im Stile der roaring twenties. Anerkennenswert ist, was diesen offensichtlich zu diesem Zweck handverlesenen Statistinnen an Bewegungsperfektion antrainiert worden ist.
Jaco Venter (Fürst), Agnieszka Tomaszewska (Sina), Damen des Staatsopernchors
Welche die musikalischen Präferenzen des Komponisten waren und welchen Einflüssen er erlegen war, macht Krásas Partitur klar. Die Musik eklektisch zu nennen, trifft aber den Sachverhalt nicht, denn die verschiedenen Einflüsse sind nicht amalgamiert, sondern situativ werden in einer Art Montagetechnik entweder Zemlinsky, Weill, Strawinsky oder auch andere gespielt. Das reicht vom Strauss’schen Konversationston bis zu geschärften polytonalen Attacken à la Strawinsky und ist handwerklich gelungen, aber kompositorisch alles andere als aufregend. Dass die zitierte Musik gut inszeniert werden kann, zeigt Sinas verführerischer Gesangsvortrag: um dem Fürsten zu gefallen, trägt sie dozil und schön Bellinis „Casta Diva“ aus Norma vor; durch aufkommende Eifersucht schlägt die Szene in Parodie und Chaos um, was in der Musik aufgenommen und zum Höhepunkt des ersten Akts wird. (Der italienische Sänger aus dem Rosenkavalier lässt grüßen, dessen Szene ebenfalls im Tumult untergeht.)
Die Badische Staatskapelle unter ihrem GMD Justin Brown musizierte das engagiert und konzentriert in großer Besetzung, ob Strauss-Walzer (Johann via Richard) oder kleinteilige Motivwiederholungen à la Janáček, summarisch: mit Witz, Wärme und Charme. Solistisch parodiert das Saxophon, das in dieser Collage natürlich nicht fehlen darf, wenn Jazziges oder Bänkelgesang eingestreut wird. Der Damenchor des Staatstheaters, dessen Mitglieder als „wissbegierige“ Frauen der Gesellschaft von Mordassow ein hübsche gut bewegte Gruppe darstellen, die erst im zweiten Akt Verwendung findet, war von Ulrich Wagner präpariert.
Hatice Zeliha Kökcek (Sofia Petrowna) Jaco Venter (Fürst), Statisterie; (Foto: Markus Kaesler)
Was die solistischen Leistungen anbelangt, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Krása seine Stimmen den Sängern nicht eben in die Kehle geschrieben hat. Gerade im Sinne einer Revue oder eines Variétés hätte das vielfach deutlich glatter klingen müssen, zumal auf Deutsch gesungen wurde. Ungewöhnlich für das Staatstheater, die hohe Zahl von vier Gästen unter den insgesamt acht Partien. Agnieszka Tomaszewska gab die Sina mit makellosem klarem lyrischem Sopran bis in die sehr hohen Lagen der Partie und überzeugte auch darstellerisch durch ihre attraktive Bühnenpräsenz, schien aber ein wenig zu brav. Dana Beth Miller als Gast sang in der für Mütter und Kupplerinnen traditionellen Mezzo-Lage die Marja Alexandrowna und brachte ihr geschmeidiges Material schön fokussiert zur Geltung. Katharina Tier als Nastassja wurde als indisponiert angesagt. Auch darstellerisch wirkte sie in dieser interessanten Rolle gehemmt. Jaco Venter brachte gesanglich mit seinem sehr kultivierten und kraftvollen Bariton die Höchstleistung des Abends als Fürst, den er nicht als demente Knallcharge darstellte, sondern dem er durchaus Würde verlieh. Christian Voigt als Gast kam mit der Rolle des intriganten Neidlings Paul vor allem im hohen Register nicht gut zurecht; hier wäre vielleicht ein Charaktertenor angebracht gewesen. Süffisant mit festem, kernigem und deutlichem Bassbariton ging Armin Kolarczyk die Rolle des Archivars/Conférenciers an. In zwei kleinen Rollen noch Sofia Mara als Barbara und Hatice Zeliha Kökcek als Bürgerin Sofia Petrowna (beide Gäste).
hängend: Agnieszka Tomaszewska (Sina); stehend: Joco Venter (Fürst), Armin Kolarczyk (Conférencier), Christian Voigt (Paul), Dana Beth Miller (Marja), Hatice Zeliha Kökcek (Sofia Petrowna)
(Foto: Markus Kaesler)
Die Oper wir in eindreiviertel Stunden reine Spielzeit gebracht. Sicher auch wegen der Beliebtheit der Veranstaltung „Sternfahrt“ mit Bus sowie Kaffee und Kuchen war diese Nachmittagsvorstellung der Produktion, die überregionales Interesse erzeugt hatte, fast ausverkauft und erhielt sehr freundlichen Beifall. Ob es sich aber um eine von etlichen meiner Kollegen bereits im Vorhinein gefeierte Entdeckung eines neuen Repertoire-Stücks gehandelt hat, muss sich erst noch erweisen. Die Oper wird wieder am 14.11. gezeigt und kommt noch insgesamt sechs Mal bis zum 21. Januar.
Manfred Langer, 26.10.2014
Fotos von Falk von Traubenberg, wenn nicht anders genannt.