München: „South Pole“

Besuchte Aufführung: 9.2.2016 (Premiere: 31.1.2016)

Eis in der Musik

Wer in der letzten Zeit an der Vorderfront des Nationaltheaters München vorbeiging, konnte Zeuge einer außergewöhnlichen Klanginstallation werden. Die den Südpool versinnbildlichenden Töne, derer man da gewärtig wurde, gehörten zu einem umfangreichen PR-Programm, mit dem die Bayerische Staatsoper das Publikum auf seine neueste Uraufführung „South Pole“ aus der Feder des jungen tschechischen Komponisten Miroslav Srnka und des australischen Librettisten Tom Holloway aufmerksam zu machen versuchte. Man lockte zudem mit den international gefeierten Opernstars Rolando Villazon und Thomas Hampson in den Hauptrollen und dem Regiealtmeister Hans Neuenfels. Nichts wurde zu diesem Zweck im Vorfeld der Premiere unversucht gelassen, und der Erfolg gab Staatsintendant Nikolaus Bachler dann auch recht: Alle Vorstellungen waren rasch ausverkauft, was bei neuen Opern eher eine Seltenheit ist. Die Neugierde des Münchner Auditoriums auf extravagantes Musiktheater siegte über eventuell vorhandene Vorurteile.

Team Scott, Team Amundsen

Und das ist auch gut so. Denn „South Pole“ ist absolut sehens- und auch hörenswert. Geschildert wird der historisch verbürgte Wettlauf der beiden Polarforscher Robert Falcon Scott aus Großbritannien und Roald Amundsen aus Norwegen zum Südpool – ein Unterfangen, dass Amundsen den Sieg, dem unterlegenen Scott und seinen Gefährten auf dem Rückweg aber den Tod eintrug. Nun kann man fragen, ob sich dieses Sujet überhaupt für einen Opernstoff eignet. Zwischen der Intendanz des Nationaltheaters und dem Komponisten standen noch andere Stoffe zur Auswahl, die aber schließlich als unpassend verworfen wurden. Dass Srnka schließlich doch das von ihm bereits im Vornhinein favorisierte Thema des „South Pole“ vertonte, kann als großes Glück bezeichnet werden, denn das Sujet erwies sich als durchaus zugänglich für eine Komposition. Dieser Opernabend war insgesamt ein spannendes Ereignis von großer Eindringlichkeit. Dem Publikum wurde in jeder Beziehung einiges geboten. Man wird diese gelungene Aufführung nicht so schnell wieder vergessen.

Rolando Villazon (Scott), Thomas Hampson (Amundsen)

Srnka und Holloway bezeichnen ihr Werk als Doppeloper in zwei Teilen. Die Handlungsstränge um das Team Scott und das Team Amundsen, die gleichzeitig zu dem gleichen Ziel unterwegs sind, laufen parallel ab. Eine Begegnung zwischen den beiden Kontrahenten findet an keiner Stelle statt. Da einer Oper ohne Frauen etwas fehlen würde, haben Komponist und Textdichter den beiden Helden zwei weibliche Wesen zugesellt: Kathleen Scott, die temperamentvolle Ehefrau von Scott, und die Landlady, eine Freundin Amundsens, die diesem kontinuierlich vorwirft, zu Beziehungen unfähig zu sein. Die Frauen erscheinen den beiden Männern immer wieder in ihren Träumen.

Rolando Villazon (Scott), Statisterie

Für die Schilderung der Eiswüste Antarktis hat Srnka eine imposante Musik gefunden. Zur Erzeugung des kälteklirrenden Eindrucks bot er neben dem klassischen Orchesterapparat auch eher untypische Instrumente auf wie beispielsweise Marimba, Vibraphon, Kuhglocken, Schmirgelpapier, Eierschneider, Eirasseln, Vibraslaps, Klangschalen, Crotales, Sprungfedern, Hyoshigi, Rin Gong und Rain Makers. Aus dieser ungewöhnlichen Besetzung resultiert ein etwas eigenartiger Klangteppich, der aber dennoch von ansprechender Natur ist. Srnka gelingt eine groß angelegte klangliche Kontinuität, die durchweg strikt durchgezogen wird und zahlreiche Verästelungen erfährt. Schon das macht das musikalische Tableau recht abwechslungsreich. Dazu trägt aber auch die vielseitige dynamische Auslotung der Musik bei. Groß angelegte Bögen, in denen die oft stark geteilten Instrumente vom zartesten Piano bis zum ausgemachten Fortissimo an- und gleich darauf wieder abschwellen, sind keine Seltenheit und geben der Oper ein ganz eigenes Gepräge. Darüber hinaus legt der Komponist großen Wert auf feine Detailarbeit. Klare Linien und rhythmische Strukturen sind bei ihm eher selten. Die oftmals übereinandergelagerten Tonfolgen scheinen wie bei einem Schneesturm in der Luft zu schweben, ohne eine Basis zu haben. Trotz aller Modernitäten behält Srnka aber das Prinzip der Polyphonie bei. Im ersten Teil ist die Musik für beide Teams fast dieselbe. Das entspricht den zu dieser Zeit noch relativ identischen Erfahrungen, die sie auf ihrem Weg zum Südpool machen. Erst im zweiten Teil, nach Erreichung des Zieles, erhalten Team Scott (Tenöre) und Team Amundsen (Baritone) unterschiedliche klangliche Charakterisierungen. Das rechtfertigt sich aus den verschiedenen Befindlichkeiten des froh heimkehrenden Siegers Amundsen und des auf dem Heimweg sterbenden Verlierers Scott. Hier stehen sich auf einmal zwei ganz gegensätzliche Schicksale gegenüber, die mit unterschiedlichen kompositorischen Mitteln trefflich geschildert werden. Und mit welch großer Brillanz haben GMD Kirill Petrenko, der zum ersten Mal eine Uraufführung dirigierte, und das bestens aufgelegte Bayerische Staatsorchester dieses gewaltige Klangmeer doch umgesetzt! Da wurde hoch konzentriert und mit großem Einfühlungsvermögen eine große atmosphärische Dichte erzeugt und das Eis des Süd-Pools dem Zuhörer fast greifbar gemacht.

Mojca Erdmann (Landlady), Thomas Hampson (Amundsen)

Ganz kongruent mit der Musik lief die Inszenierung von Hans Neuenfels, der zusammen mit Katrin Connan auch für das Bühnenbild verantwortlich zeigte. Ganz in klinisch strengem Weiß und einem im Hintergrund aufragenden schwarzen Kreuz als Versinnbildlichung des Südpools will der Regisseur das Ambiente als nach vorne geöffneten Eisblock verstehen. Die Bühne ist durch einen Querbalken in zwei Teile gespalten. Links agiert das schwarz gekleidete englische, rechts das grau gewandete norwegische Team. Die gelungenen Kostüme stammen von Andrea Schmidt-Futterer. Diese Zweiteilung des Raumes gilt indes nur für den Weg zum Südpool. Am Ziel angelangt ist sie aufgehoben, da dürfen die jeweiligen Teams auch mal die ganze Bühne für sich beanspruchen. Aber auch die Frauen, die als Spiegel der verborgenen Persönlichkeiten ihrer Männer aufzufassen sind, dürfen im zweiten Teil die Bereiche wechseln, nachdem sie sich bereits am Ende des ersten Aktes vorsichtig einander angenähert und bei den Händen gefasst haben. In der Szene der beiden Damen im zweiten Teil wird – das oben genannte Verständnis dieser Figuren als Reflektionsflächen vorausgesetzt -, klar, dass die unterschwelligen Gefühle der beiden Männer letztlich dieselben sind. Mrs. Scott und die Landlady geben ihren Männern praktisch die Chance, jeweils in sich selbst hinein zu schauen. Hier atmet Neuenfels’ Inszenierung große psychologische Tiefgründigkeit. Aber auch sonst gelingen ihm starke Bilder. So zum Beispiel, wenn die beiden Teams ihre von Statisten verkörperten Islandponys und Schlittenhunde töten, wenn ein abgefrorener Fuß eines Expeditionsmitgliedes untersucht wird oder wenn am Ende der siegreiche Amundsen rechts in einem schwarzen Anzug auftaucht, während Scott links sein Leben aushaucht. Das waren Bilder, die teilweise ganz schön unter die Haut gingen.

Von den beiden Kontrahenten hatte eindeutig Rolando Villazon als Scott die Sympathien auf seiner Seite. Er gab ihn als sehr gefühlsbetonten Expeditionsleiter, der zu seinem Team ein gutes Verhältnis pflegt, im Vergleich zu seiner Frau aber eher schwach erscheint. Stimmlich ging er oft an seine Grenzen, obwohl sich die Partie fast ständig in angenehmer Mittellage bewegte. Ihm gegenüber war Thomas Hampson ein ausgemacht strenger, kühler und nicht gerade sympathisch wirkender Amundsen, der seine Leute nicht immer gut behandelt und nur den Sieg im Auge hat. Rein darstellerisch zeigte sich Hampson Villazon überlegen, sang indes mit seiner recht körperlosen Stimme nicht gerade ansprechend. Da war ihm die im weißen Unterkleid und stets mit einem Eimer auftretende, vokal tadellose und sehr höhensichere Mojca Erdmann als Landlady überlegen. Einen guten Eindruck hinterließ auch Tara Erraught, die mit bestens fokussiertem, profundem Mezzosopran die im hochgeschlossenen schwarzen Kleid auftretende Kathleen Scott sang. Während in dem aus Dean Power (Lawrence Oates), Kevin Conners (Edward „Uncle Bill“ Wilson), Matthew Grills (Edgar Evans) und Joshua Owen Mills (Henry „Birdie“ Bowers) bestehenden Tenor-Team Scotts auch dünne Stimmen zu hören waren, vermochte das Bariton-Team um Amundsen, dem Tim Kuypers (Hjalmar Johansen), John Carpenter (Oscar Wisting), Christian Rieger (Helmer Hanssen) und Sean Michael Plumb (Olav Bjaaland) angehörten, mehr für sich einzunehmen.

Fazit: Ein ungewöhnlicher, aber intensiver und insgesamt lohnender Opernabend, dessen Besuch durchaus zu empfehlen ist.

Ludwig Steinbach, 12.2.2016

Die Bilder stammen von Wilfried Hösl