Banales, ja exzessiv profanes Regietheater
Die mit Spannung erwartete Neuinszenierung des „Rheingold“ von Richard Wagner als Start der Neuproduktion seines „Ring des Nibelungen“ an der Bayerischen Staatsoper durch Tobias Kratzer hinterlässt einen äußerst zwiespältigen Eindruck. Eine Tendenz zu extremer Trivialität und Banalität der völlig mythologiefrei gebotenen Geschichte als ein weitgehend banales Gaunerstück stößt sich mit einem dann doch noch auf Größeres verweisenden Ende, einem prachtvoll-goldenen neugotischen Hochaltar einer verlassenen Kirche, auf dem die Götter im Finale thronen und von Menschen aus den Kirchenbänken angehimmelt werden. Warum eigentlich?!
Denn zuvor gerät die Rheintöchter-Szene trotz des tiefgründigen Nietzsche-Zitats „Gott ist tot“ mit dem Sandler – oder auf gut Deutsch – Penner Alberich, der sich zunächst per Kopfschuss umbringen möchte, zur Slapstick-Komödie, bis er einen unscheinbaren weiß leuchtenden Plastiksack als Rheingold aus dem Boden zieht und bei seinem Abgang noch Flosshilde ins Bein schießt. Er mutiert in Nibelheim zu einem Sammler von Feuerwaffen in einer Garage, in der sein Bruder Mime mit Hund am Tarnhelm bastelt. Beim Raub des Nibelungenhorts, ein ungeordneter Stapel von Metall- und schwarzen Lederkoffern und Taschen mit Euro-Noten, die permanent in Bündeln herausfallen, inklusive blutigem Verlust des brutal amputierten Ring-Fingers durch Wotan, muss der Albe fast 20 Minuten in völliger Nacktheit agieren und wirkt mit seiner Körperfülle wie ein Schwein vor der Schlachtung. Diese Optik ist zwar Ausdruck tiefster Demütigung durch Wotan und Loge, überschreitet aber alle Grenzen selbst verrücktester regietheatralischer Geschmacklosigkeiten. Zu allem Überfluss pinkelt der Albe dann beim Abgang noch kurz an einen Kirchenpfeiler. Nichts ist Kratzer offenbar zu schade, seine auch sexuell ausschweifenden Ideen mit aller optischen Härte durchzusetzen, ähnliche wie Stefan Herheim mit seinen 35 Unterwäsche-bekleideten Statisten in seinem Berliner „Ring“ and der Deutschen Oper.
Man muss sich angesichts solcher Inszenierungsexzesse wirklich einmal fragen, ob die Regietheater-Regisseure überhaupt erkennen oder es erkennen wollen, was an entsprechenden Aussagen in Wagners Text und Musik bereits enthalten ist. Der Eindruck drängt sich gerade auch bei diesem „Rheingold“ von Kratzer auf, dass er völlig losgelöst von Text und Partitur (Regieanweisungen sowieso) inszeniert, wie viele andere seiner Zunft. In seiner sogenannten „Kultproduktion“ des „Tannhäuser“ in Bayreuth lässt er die Venus mal eben vorsätzlich einen Polizisten totfahren, ohne dass sich irgendjemand in Publikum oder Kritik daran gestört hätte – bis heute übrigens, während es über den durch einen Messerangriff im Juni 2024 ums Leben gekommenen Polizisten in Mannheim langanhaltende Bestürzung gab bis heute gibt – Gott sei Dank!). Ob damit dem Werk und Wagners so klar postuliertem Gesamtkunstwerk etwas Sinnvolles und eventuell sogar Erkenntniserweiterndes hinzugefügt wird, bleibt bestenfalls dahingestellt, um es diplomatisch zu sagen.
An diesem Abend, an dem auch häufig der Kultivierung der Hässlichkeit gefrönt wurde und die meiste Zeit vor einem fast bis an den Souffleurkasten reichenden, das Auge ebenso ermüdenden wie Langweile erzeugenden Bühnenbild aus Aluminiumstangen und grauen Plastikplanen, der allzu tristen Baustelle an der Hinterwand des besagten Altars agiert wurde, stellte sich beides nicht ein. Vor dieser Wand kauern die „Götter“ auf einer abgenutzten Schaumstoffmatratze, die man bestenfalls in einem mittelständischen Wohngebiet am Tag der Sperrmüllabholung finden kann. Der „Abgang“ nach Nibelheim durch die Schwefelkluft findet per Flugzeug in einem relativ überflüssigen und die Musik konterkarierenden Video (ohne das geht es ja gar nicht mehr) statt, wo man in New York landet und beim Rückflug eine kleine Kröte in der Lunchbox mitnimmt, die beim Zoll Aufsehen erregt!! Aber Loge regelt auch das… Stattdessen kein Rhein, die „Rheintöchter“ sehen aus wie aus der Schule oder dem Fitness-Center kommende pubertäre Mädels mit Alltagsklamotten, Turnschuhen und Rucksack. Keine Nibelungen, kein Gold, nur cash, obwohl die Musik etwas VÖLLIG anderes sagt und was noch nicht alles… Zumindest immer nicht das, was im Text bei Wagner zu hören ist, aber regelrecht konterkariert wird.
So wird Freia an einem Baukran aufgehängt, wobei der Kommentar Fasolts zu „Holdas Haar“ zur dramaturgischen Absurdität wird. Gleich drauf wird er von Fafner rücklings abgeknallt. Wotan trägt unterdessen immer wieder mal den Flügelhelm, ein im Freien hängendes Zitat an die Rezeptionsgeschichte, und er freut sich wie ein naives Kind über Tonfiguren seiner vermeintlichen Göttlichkeit. Am Ende nimmt er mit Speer und Flügelhelm im Altar Platz, zusammen mit den anderen „Göttern“. Das ist zumindest das einzige wirklich eindrucksvolle Bild des Abends. Warum allerdings die in die Kirchenbänke strömenden Menschen diese „Götter“ anhimmeln, bleibt angesichts der konfusen und nicht wirklich stringent ausgearbeiteten Thematik von Gottlosigkeit à la Nietzsche und Religion ein Rätsel. Aber das wird sicher dann in der „Walküre“ noch ausgearbeitet. Mit Siegmund und Sieglinde ?! Man kann gespannt sein, wie…
Vladimir Jurowski dirigierte das Bayerische Staatsorchester mit viel Liebe zum Detail und einer relativ analytischen Interpretation, die jedoch die innere Dynamik des Stücks nie außer Acht ließ und ein gutes Herausarbeiten der Leitmotive mit sich brachte. Er setzte gute Akzente an den entsprechenden Stellen. Das Vorspiel, auf das Wagner im Verhältnis zur Gesamtkomposition des Vorabends unverhältnismäßig viel Zeit verwandt hatte, gelang Jurowski und den Wagner-erfahrenen Musikern mit mystischer Verklärung nahezu perfekt, koppelte sich damit aber vom allzu realen Bühnengeschehen völlig ab. Die Sänger waren gut, aber nicht so gut wie drei Tage zuvor bei der „Rheingold“-Premiere an der Mailänder Scala. Nicholas Brownlee sang einen prägnanten Wotan mit einem gut geführten und wortdeutlichen Heldenbariton, der allerdings für die Walküre“ mehr Tiefe bedürfte. Markus Brück gab den Alberich mit dieser bizarren Rollengestaltung und eher mit einer parlierenden als gesanglich orientierten Stimme, gleichwohl ausdrucksstark. Sean Panikkar, der ja bei den Salzburger Festspielen den Spieler bei Dostojewski sang, bestach als intellektueller, immer wieder mal teilnahmslos agierender und Zigaretten rauchender Loge mit gutem Tenor. Matthias Klink, der sehr gute Loge aus Zürich, war ein stimmlich erstklassiger Mime. Wiebke Lehmkuhl war eine ganz ausgezeichnet dunkel raunende Urmutter, die zeitweise mit Wotans Ring spielte – eine interessante Idee. Natürlich sah sie aus wie ein altes Hausmütterchen, sicher Wotan nicht zu elementarem Fremdgehen ermunternd.
Aber bei Kratzer muss es ja auf jeden Fall mindestens hässlich und nach Möglichkeit auch binär unerotisch sein, was sich auch in der Ausstattung der Rheintöchter zeigte. Wobei die noch sehr jungen Sarah Brady als Woglinde, Verity Wingade als Wellgunde und Yajie Zhang als Flosshilde gut, aber doch noch etwas leichtgewichtig sangen. Ekaterina Gubanova war wieder die bewährt gute Fricka. Matthew Rose als Fasolt und Timo Riihonen als Fafner sangen gut, kamen aber als degenerierte Pfarrer daher und blieben von der Regie weitgehend vernachlässigt. Ian Koziara war mit einer zu rauen und fahlen Stimme fast ein Totalausfall als Froh während Miljan Siljanov als Donner gefallen konnte und sich für größere Aufgaben empfahl. Mirjam Mesak war eine eher unauffällige Freia. Weißt du, was daraus wird?
Klaus Billand, 4. November 2024
Das Rheingold
Richard Wagner
Bayerische Staatsoper, München
Premiere: 27. Oktober 2024
Besuchte Vorstellung: 31. Oktober 2024
Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Bayerisches Staatsorchester