München: „Pelléas et Mélisande“, Claude Debussy

Psychologischer Tiefgang

Die Opernfestspiele 2024 warteten im Prinzregentheater mit einer beachtlichen Neuinszenierung des Drame lyrique Pelléas et Mélisande in fünf Akten von Claude Debussy auf. Regie führte Jetske Mijnssen, die vor kurzem noch einen interessanten „Roberto Devereux“ in Amsterdam in Szene gesetzt hatte. In einer schlichten Inszenierung mir Bühnenbildern und Kostümen von Ben Baur im Licht von Bernd Purkrabek sowie dramaturgischer Unterstützung von Ariane Bliss wendet sie ihre ganze Aufmerksamkeit den Menschen und ihren Beziehungen in einer Art Familienaufstellung zu. Das geschieht auf einem hellen Parkettboden, der auf einer Wasserfläche schwebt und mit sorgfältig platziertem Mobiliar bestückt ist, was etwas an die Ästhetik eines Lars von Trier erinnert.

© Wilfried Hoesl

Darin finden in den einzelnen Szenen zum Teil drastische familiäre Auseinandersetzungen und intensive Liebesbekundungen statt, im Kontext einer entsprechend fein ausgefeilten Personenregie. Das Ganze kommt in etwa dem gleich, was man unter dem Terminus „Familienaufstellung“ versteht. Psychologie und Tiefenpsychologie, ohnehin mit diesem Stück eng verbunden, kommen in diesen Bildern besonders stark und dramaturgisch ebenso dezent wie geschickt gemacht zum Ausdruck.

Christian Gerhaher gibt eine stimmlich wie darstellerisch äußerst intensive Rollenstudie des Golaud. Hier konnte er eindrücklich vor Augen führen, dass er neben einem hervorragenden Liedgesang auch Oper kann, was als Wolfram im Münchner „Tannhäuser“ nicht so augenfällig war. Ben Bliss ist ein vokal etwas eintöniger aber intensiv spielender Pelléas mit guter Bühnenpräsenz. Sabine Devieilhe singt eine wundervolle, introvertierte Mélisande mit viel mädchenhaftem Charme, aber auch einer zur Thematik passenden tragischen Aura. Sophie Koch ist eine zurückhaltende Geneviève, die noch am Abend zuvor eine ganz und gar anders agierende Lisa in „Die Passagierin“ am Nationaltheater gab – eine ungemein wandlungsfähige Künstlerin! Franz-Josef Selig ist eine Altersautorität als Arkel mit profundem Bass. Felix Hofbauer (Solist des Tölzer Knabenchors) gibt einen emotional mitnehmenden Yniold. Martin Snell ist ein überzeugender Arzt und Pawel Horodyski ein Hirt.

© Wilfried Hoesl

Hannu Lintu, GMD der Finnischen Nationaloper Helsinki, wo er vor kurzem noch einen hervorragenden „Ring des Nibelungen“ dirigiert hat, schafft es, mit dem Bayerischen Staatsorchester einen guten Spannungsbogen über die äußere Nummernhaftigkeit der Oper zu halten und musikalisch reizvolle und Emotionen verstärkende Akzente zu setzen. Franz Obermair hatte den guten Chor einstudiert. Eine großartige Aufführung dieser schwer zu inszenierenden Oper Debussys bei den Münchner Opernfestspielen 2024!

Klaus Billand, 25. August 2024


Pelléas et Mélisande
Claude Debussy

Bayerische Staatsoper

Besuchte Vorstellung: 17. Juli 2024

Musikalische Leitung: Hannu Lintu
Bayerisches Staatsorchester

Direkt-Kritik des Autors nach der Aufführung im Video-Podcast:

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