München: „Aida“, Giuseppe Verdi

Zu einem in jeder Beziehung hochkarätigen Opernabend geriet die Aufführung von Verdis Aida an der Bayerischen Staatsoper. Das begann schon bei der gelungenen Inszenierung. Regisseur Damiano Michieletto hat in Zusammenarbeit mit Paolo Fantin (Bühnenbild) und Carla Teti (Kostüme) aus seiner Regiearbeit sämtliche ägyptische Zutaten eliminiert und siedelt das Ganze in einem ganz und gar modernen Ambiente an. Das bekam dem Stück gut.

© Geoffroy Schied

Im Zentrum der Produktion steht der Krieg. Dabei interessieren Michieletto in erster Linie die Folgen von Krieg und Gewalt für die Figuren, die Handelnden, wie er im Programmbuch auf S. 53 betont. Er siedelt das Geschehen in einer kriegsbeschädigten Turnhalle an, in deren Decke die Bomben eingeschlagen haben. Manchmal regnet es Asche. Im zweiten Teil der Vorstellung hat sich auf dem rechten Teil der Bühne ein riesiger Aschehaufen gebildet, der im letzten Akt das Gefängnis von Radamès bildet. Einst ein Platz der Freude hat sich die Turnhalle zu einem Ort gewandelt, an dem die Menschen jetzt Zuflucht vor den Schrecken des Krieges suchen. Der Krieg ist in Michielettos Interpretation ein Bürgerkrieg. Hier kämpfen also nicht zwei miteinander verfeindete Nationen, sondern Angehörige desselben Landes gegeneinander. Dabei verortet der Regisseur die Handlung auch nicht in Ägypten, sondern in einem neutralen Rahmen, der für jedes Land stehen kann. Die Geschichte, die er erzählt, kann an jedem beliebigen Ort spielen. Die verheerenden Folgen des Krieges sind immer dieselben. Aida und Amonasro gehören mithin demselben Land an wie Radamès und Amneris, nur einer anderen Volksschicht. Gut und Böse spielt keine Rolle mehr. Hier gibt es keine offenkundig Guten und Bösen. Die einen wie die anderen pochen auf ihre Machtansprüche und führen so ihr Volk ins Verderben (Programmbuch S. 54). Das kann man so machen. Dieser Ansatzpunkt der Regie ist durchaus überzeugend.

Der Bürgerkrieg hat die auf ihn nicht vorbereiteten Menschen mit aller Gewalt getroffen. Tod und Verderben machen sich breit. Der Tod ist stets präsent und verschont sogar Kinder nicht. Einer der stärksten Bilder der Produktion ist die Szene, in der im ersten Akt der Bote die Leiche eines Kindes auf die Bühne trägt, das im Folgenden von Statisten in einen kleinen Sarg gebettet wird. Die verzweifelte Mutter trauert an der Leiche ihres Kindes. In der aufkeimenden Kriegsbegeisterung beachtet sie fast niemand. Nur Aida schenkt der Frau Aufmerksamkeit. Sie denkt an ihre eigene Situation, auch sie hat durch den Krieg fast ihre gesamte Familie verloren. Die von ihr besungene Heimat ist hier kein fassbarer Ort, sondern ein Zustand. Versinnbildlicht wird dieser durch eine Vision der Titelfigur von ihren glücklichen Kindertagen. Hier sieht man eine kleine Aida, ihre Mutter sowie Amonasro, der sich seiner damals noch heilen Familie erfreut. Dies ist ebenfalls ein gelungener Regieeinfall.

© Geoffroy Schied

Insgesamt spielt die Psychologie bei Michieletto eine große Rolle. So gerät der Triumphmarsch im zweiten Akt zur reinen Makulatur. Hier wirft der Regisseur vielmehr einen eindringlichen Blick auf die schlimmen Folgen, die der Krieg auf die Privatpersonen hat. Dies führt er gekonnt an der Figur des Radamès vor. Dieser ist froh und heiter in den Krieg gezogen, kehrt aber gänzlich desillusioniert zurück. Die Verbrechen  des Krieges haben ihre Spuren bei ihm hinterlassen. Er leidet unter einem schlimmen Trauma, das er nicht bewältigen kann. Auf eine heruntergelassene Leinwand werden jubelnde Menschenmassen projiziert, die den siegreichen Helden willkommen heißen. Zu triumphieren ist Radamès indes nicht möglich, zu sehr hat sein Inneres gelitten. Einsam kauert er an der Bühnenrampe und lässt die Huldigungen des Volkes an sich vorbeiziehen. Der Sieg ist nur äußerlich, auch dem Sieger bringt er Niederlage und Verzweiflung. Den ausgelassenen Feierlichkeiten kann er sich nicht anschließen.

Einer der interessantesten Figuren der Inszenierung ist Ramfis. Der Regisseur deutet ihn nicht als Oberpriester, sondern als Berater des Königs. In seiner Funktion eines skrupellosen Machtpolitikers ist er es, der die Fäden in der Hand hält und das politsche Schicksal des Landes lenkt. Er stellt den eigentlichen Herrscher dar, der Pharao ist unter seiner Ägide praktisch nur noch eine Marionette. Am Ende heiratet Ramfis Amneris. Indem er der Widerstrebenden einen Ring an den Finger steckt, legitimiert er sich als Nachfolger des Königs, der nicht fähig ist, die Umtriebe seines Beraters zu durchschauen. Während auf diese Weise die Nachfolge des Pharaos geregelt wird, erleben Radamès und Aida ihre Vereinigung im Tode gleichsam als Hochzeit. Aida erscheint im Hochzeitskleid. Eine Hochzeitsgesellschaft mit Amonasro, der vorher noch von Ramfis erschossen wurde, Aidas Mutter und vielen mit Luftballons ausgestatteten Statisten feiert ein Hochzeitsfest. Hier wird eindringlich die Vision einer anders gearteten Zukunft aufgezeigt, die hätte eintreten können, wenn die Verhältnisse nicht so geartet wären, wie sie sind, nämlich tragisch. Dieser Schluss ist ausgesprochen ansprechend. Beachtlich ist zudem, dass der Regisseur in seiner Deutung René Girards historischer Theorie des Sündenbocks huldigt, was die sowieso schon hohe Qualität seiner Inszenierung noch zusätzlich steigert. Aida und Radamès werden zu Sündenböcken, dies allerdings voll bewusst. Insgesamt haben wir es hier mit einer vollauf gelungenen, spannenden und von einer abwechslungsreichen Personenregie geprägten Produktion zu tun.

Am Pult entlockte Francesco Ivan Ciampa dem beherzt und klangschön aufspielenden Bayerischen Staatsorchester Töne von großer Intensität. Sein von ebenmäßigen Tempi geprägtes Dirigat zeichnete sich zudem durch eine gute Italianita und viele spezifische Coleurs aus.

© Geoffroy Schied

Hervorragend waren die gesanglichen Leistungen. Durchweg wurde schön im Körper gesungen. Elena Stikhina verstand es vorzüglich, der Aida mit ihrem bestens fokussierten, gefühlvollen und bis zu den Spitzentönen der Partie strahlkräftigen Sopran ihren ganz persönlichen Stempel aufzudrücken. Einen herrlichen, schön baritonal fundierten und kraftvollen Spinto-Tenor brachte Arsen Soghomonyan in die Rolle des Radamès ein. Eine ausgezeichnete Leistung ist Elina Garanca zu bescheinigen, die die Amneris mit einem in jeder Lage intensiv sowie voll und rund klingendem Mezzosopran ausstattete. Mit kernigem, wohlklingendem Bariton sang Amartuvshin Enkhbat einen guten Amonasro. Der Ramfis von Erwin Schrott zeichnete sich durch sonore Bassfülle und eindringliche Tongebung aus. Ein stimmlich souveräner König war Alexander Köpeczi. Von Elene Gvritishvilis tadellos singender Priesterin hätte man gerne mehr gehört. Solide gab Zachary Rioux den Boten. Auf hohem Niveau bewegte sich der von Christoph Heil einstudierte Bayerische Staatsopernchor.

Ludwig Steinbach, 11. Dezember 2024


Aida
Giuseppe Verdi

Bayerische Staatsoper

Premiere: 15. Mai 2023
Besuchte Aufführung: 8. Dezember 2024 (abends)

Inszenierung: Damiano Michieletto
Musikalische Leitung: Francesco Ivan Ciampa
Bayerisches Staatsorchester