München: „Spartacus“

Nachdem die Bayerische Staatsoper kürzlich mit Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ eines der wichtigsten in der Sowjetunion entstandenen Opernwerke zur Aufführung gebracht hatte, zeigte nun das Bayerische Staatsballett in seiner ersten Premiere unter Direktor Igor Zelensky einen Meilenstein sowjetischer Ballettgeschichte: „Spartacus“ in der Choreographie von Yuri Grigorovich zur Musik von Aram Chatschaturjan. Nach seiner Erstaufführung im Jahr 1968 wurde das Stück in der Fassung von Yuri Grigorovich und seinem bevorzugten Bühnen- und Kostümbildner Simon Virsaladze schnell zum Markenzeichen des Moskauer Bolshoi-Balletts, sowohl in Russland als auch weltweit. In jeder Generation interpretierten die bedeutendsten Tänzerpersönlichkeiten der Company die Rolle des Spartacus und begründeten nicht selten gerade mit dieser Partie ihren internationalen Ruhm, so beispielsweise Vladimir Vasiliev, Irek Mukhamedov oder Ivan Vasiliev. Die Frage war nun, ob dieses Stück, das einerseits so sehr mit einer bestimmten Company verknüpft ist und andererseits von seiner Ausgestaltung her auch deutlich von der sozialistischen Ideologie des Kampfes der rechtschaffenen Arbeiter gegen die Dekadenz der alten Eliten geprägt ist, auch von einer westeuropäischen Company erfolgreich aufgeführt werden könnte und vom Publikum angenommen werden würde. Die Antwort fällt nach der Deutschen Erstaufführung beim Bayerischen Staatsballett eindeutig aus: Ja! Denn zum einen verfügen die kraftvolle, expressive Choreographie und die glühende, sowohl heroische als auch romantische Musik über eine so große, unmittelbar gefangen nehmende emotionale Kraft, dass die ideologischen Elemente in den Hintergrund treten. Zum anderen stehen dem Bayerischen Staatsballett derzeit herausragende Tänzerpersönlichkeiten zur Verfügung, die das Publikum mit ihrer technischen Virtuosität und ihrer schauspielerischen Intensität zu begeistern wissen.

In der Premiere am 22.12. verkörperte der erst 24-jährige Kubaner Osiel Gouneo die Titelpartie. Die Leichtigkeit, mit der er eine der anspruchsvollsten Rollen des Ballettrepertoires tanzte, versetzte das Publikum in beinahe ungläubiges Staunen. Bei seinen hohen, raumgreifenden Sprüngen war ihm keinerlei Anstrengung anzumerken. Auch in den schwierigen Pas de deux meisterte er all die spektakulären Hebefiguren hochsouverän und erwies sich als einfühlsamer Partner. Seine exotische, leidenschaftliche Ausstrahlung passte perfekt zum expressiven, glutvollen Charakter der gesamten Choreographie. Seine Partnerin als Phrygia war Ivy Amista, die in dieser Partie all ihre Stärken, wie ihre brillante, risikofreudige Technik und ihr ausdrucksstarkes Spiel, voll zur Geltung bringen konnte. In der zweiten Vorstellung am 23.12. wurden Spartacus und Phrygia von Vladimir Shklyarov und Maria Shirinkina verkörpert. Auch sie boten eine überragende Leistung. Im Vergleich zu Osiel Gouneo und Ivy Amista am Abend zuvor betonten sie eher die romantische Seite des Balletts. Höhepunkt ihrer Vorstellung war der wunderbar innig getanzte Pas de deux des dritten Aktes.

Shklyarovs Spartacus war ein jugendlich strahlender Held mit großer Überzeugungskraft. Technisch bot er eine ebenso herausragende Leistung wie am Abend zuvor Osiel Gouneo. Insbesondere in der großen Szene am Ende des ersten Aktes schien er bei seinen Sprüngen geradezu zu fliegen. Die Gegenspieler von Spartacus und Phrygia, der römische Konsul Crassus und seine Mätresse Aegina, wurden am 22.12. von Sergej Polunin und Natalia Osipova getanzt, am 23.12. verkörperten Jonah Cook und Ksenia Ryzhkova diese Partien. Polunins machtbewusster, brutaler und lüsterner Crassus verfügte über ein schier beängstigendes Selbstbewusstsein, das in jedem seiner markigen, energiegeladenen Sprünge und Gesten zum Ausdruck kam. Jonah Cooks Crassus war dagegen ein junger, schöner und eleganter Aristokrat, dem das Selbstbewusstsein und das natürliche Überlegenheitsgefühl der römischen Elite quasi angeboren sind, so dass er einfach darüber verfügt und es nicht dauernd zur Schau stellen muss. Eine sehr interessante und intelligente Interpretation.

Natalia Osipovas Aegina war eine temperamentvolle, durchtriebene und schillernde Persönlichkeit. Tänzerisch brannte sie mit ihren schnellen Pirouetten, ihren hohen, leichten Sprüngen und ihrer flinken virtuosen Fußarbeit ein wahres Tanzfeuerwerk ab. Ksenia Ryzhkova war eher eine kühl elegante, etwas distanzierte, aber auch sehr verführerische Aegina. Auch ihr bereitete die technisch anspruchsvolle Partie keinerlei Schwierigkeiten. Das Corps de ballet, insbesondere das der Männer, tanzte die dynamisch kraftvolle Choreographie mit Verve, Leidenschaft und Athletik. Das Bayerische Staatsorchester unter dem armenischen Dirigenten Karen Durgaryan spielte Chatschaturjans mitreißende Musik mit Temperament, aber auch Sinn für Nuancen und Details.

Am Ende beider Vorstellungen gab es langanhaltenden, jubelnden Applaus sowohl für die Tänzer als auch für den für die letzten Proben angereisten, fast 90 jährigen Yuri Grigorovich und seine Ballettmeister Ruslan Pronin und Oxana Tsvetnitskaya, die bei der Einstudierung des Stückes großartige Arbeit geleistet haben. Ein Besuch einer der weitern Vorstellungen in dieser Saison ist dringend zu empfehlen!

Bilder (c) Staatsballett / Hösel

Gisela Schmöger 27.12.2016

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