Zu Unrecht bestehender schlechter Ruf!
Besuchte Aufführung: 25.8.2022 (Premiere: 31.7.2022)
Das personalisierte Rheingold ist durchaus eindrucksvoll
Er hat einen denkbar schlechten Ruf, der neue Bayreuther Ring des Nibelungen von Richard Wagner in der Regie von Valentin Schwarz, dem Bühnenbild Andrea Cozzi s und den Kostümen von Andy Besuch. Die bisherigen Kritiken fielen fast alle ausgesprochen negativ aus. Das Publikum schimpfte auf die Produktion. Desto größer war die Neugierde, mit der man jetzt in dieses viel gescholtene Rheingold ging. Ist der Vorabend des neuen Rings wirklich so mäßig, wie seitens der Kritik und großer Teile des Auditoriums behauptet wird? Die Antwort lautet indes deutlich nein! Es gab zwar beim Schlussapplaus zugegebenermaßen einige Missfallenskundgebungen, aber auch ein paar deutliche Bravo-Rufe, die unter den wenigen Buhs durchaus nicht untergingen. Dieses Rheingold von Schwarz hat seine Qualitäten und weist so manchen ganz brauchbaren Regieeinfall auf, der nicht zu verachten ist. Wesentlich ist allerdings, dass man modernen Inszenierungen gegenüber aufgeschlossen ist – ein Faktum, das ich für mich voll und ganz in Anspruch nehme. Diese Aufgeschlossenheit und Vorurteilsfreiheit gegenüber nicht konventionellen, anders als gewohnt gearteten und provokanten Inszenierungen ist das A und O für einen gefälligen Eindruck des Gesehenen. Schlecht war dieses Rheingold jedenfalls nicht! Es enthielt viel Neues und zeichnete sich obendrein durch eine stringente Personenregie aus. Was Schwarz und sein Team da auf die Bühne des Festspielhauses gebracht haben, war recht ansprechend. Langweilig wurde es wahrlich an keiner Stelle. Hier hatten wir es mit ansprechendem modernem Musiktheater zu tun.
Im Vorfeld ließ Valentin Schwarz verlauten, er wolle die Tetralogie als Netflix-Familienserie inszenieren. Warum nicht, das kann man machen. Darüber hinaus spielen mythische Fabelwesen wie Götter, Zwerge, Riesen und Nixen bei Schwarz keine Rolle. Er stellt lediglich Menschen auf die Bühne. Hand in Hand damit geht die Eliminierung sämtlicher mythischer Requisiten. Wotans Speer, der Tarnhelm, der Hort und sogar der Ring spielen keine Rolle mehr bzw. werden vom Regisseur rigoros umgedeutet. Auch das ist legitim und entspricht dem modernen Zeitgeschmack. Näheres dazu später. Walhall wird durch eine in einem Glasbehälter aufbewahrte kleine Pyramide symbolisiert.
Wotan ist in Schwarz‘ Deutung der Chef eines neureichen, erstarkten Familienunternehmens, das eine luxuriöse Villa sein eigen nennt. Der fesche Göttervater erscheint im Sportlook und legt erst im dritten Bild einen Anzug an. Der in Jeans, Westernstiefeln und Lederjacke erscheinende Alberich und er sind hier Zwillingsbrüder. Das wird bereits ganz am Anfang deutlich, wenn beide in einer Video-Projektion noch ungeboren im Mutterleib gezeigt werden. Bereits hier kommt der Konflikt zwischen den im Fruchtwasser schwimmenden Kontrahenten in aller Deutlichkeit zum Tragen. Alberich schlägt Wotan ein Auge aus. Dieser rächt sich auf der Stelle und tritt seinem Bruder ins Geschlecht. Dem Verlust des einen Auges bei Wotan korrespondiert der Verlust der Manneskraft bei Alberich. Diese erste Impression war bereits sehr eindrucksvoll.
Nachhaltig zeigt Andrea Cozzi unterschiedliche Räume innerhalb des Herrenhauses der Unternehmerdynastie Wotan auf. Es ist eine recht bunte Menschenmischung, die hier wohnt. Fricka ist die Frau des Clan-Führers und Freia die Tochter. Loge wird von der Regie als ein ganz ausgekochter, in gutbürgerlichem Anzug, aber mit fettigen Haaren daherkommender Winkeladvokat vorgeführt, der in jeder noch so verzwickten Lage Rat weiß. Donner schlägt bei Schwarz nicht mit einem Hammer um sich, sondern benutzt einen Golfschläger. Beim Gewitterzauber fährt es ihm dabei einmal ganz schön ins Kreuz – ein heiterer Augenblick. Auf der linken Seite der Bühne befindet sich eine Garage, in der die beiden jungen, nicht unsympathisch wirkenden Bauunternehmer Fasolt und Fafner ihre Luxuslimousine parken. Auf der Kühlerhaube derselbigen wird Fafner am Ende seinen Bruder ermorden.
Reichtum prägt das gesamte Anwesen. Im ersten Bild sieht man einen Swimmingpool, in dem eine Reihe Kinder planschen. Die Aufsicht führen drei Kindermädchen, die ursprünglich einmal die Rheintöchter waren. Das Rheingold ist hier ein kleiner, gelb gekleideter Knabe mit einer Baseballmütze, den Alberich am Ende der Szene entführt. Dieser Junge ist Hagen. Ähnlich ist es im dritten Bild um den Nibelungenhort bestellt, der gleich dem Rheingold und dem Ring ebenfalls nicht gegenständlich gezeigt, sondern als ein aus acht kleinen Mädchen bestehender Kinderhort dargestellt wird, der von dem kleinen Hagen stark drangsaliert wird.
Man merkt deutlich, dass Alberich ihn ganz nach seinem Gutdünken erzogen hat. Sofern man hier von einer Erziehung, noch dazu einer guten, überhaupt noch sprechen kann. Eher nicht. Der kleine Mann ist ganz schön gewalttätig. Mime fungiert als Erzieher. Das Gold, mit dem Freia später ausgelöst wird, besteht aus einem jungen Mädchen, das von der aus der Familie ausgestoßenen, die wahren Umstände klar erkennenden Erda zum Schluss mit sich genommen wird. Hier handelt es sich wohl um eine der Nornen. Diese Personalisierungen von Ring und Gold machen durchaus Sinn. Kinder sind schließlich unserer aller Hoffnung. Und Hoffnung ist die Voraussetzung für eine gute Zukunft. Und genau um diese beiden Aspekte geht es in dieser Inszenierung.
Dieser Ansatzpunkt des Regisseurs ist voll überzeugend.
Man merkt, dass er sich über das Werk treffliche Gedanken gemacht hat. Ein ansprechender, indes nicht mehr neuer Regieeinfall war es auch, die bei Fasolts Ermordung entsetzt aufschreiende Freia unter einem Stockholm-Syndrom leiden zu lassen.
An dieser Stelle merkt man, dass die Tochter des Hauses Wotan für ihren Entführer viel übrig hatte. Es sind schon ausgesprochen ernste Inhalte, die von Schwarz hier aufgezeigt werden. Aber auch eher lustige und komische Elemente fehlen nicht. Neben dem bereits oben erwähnten Hexenschuss Donners schmunzelte man insbesondere an der Stelle, an der Alberich den Ring in Unterwäsche verfluchte. Die Götter haben ihn nach seiner Gefangennahme offenbar zum Zwecke der Demütigung seiner Oberkleidung entledigt. Auch mit Tschechow’ schen Elementen vermag der Regisseur umzugehen, so wenn er Erda lange vor ihrem eigentlichen Auftritt über die Bühne wandeln lässt. Da sie ein zuerst noch akzeptiertes Familienmitglied ist, macht diese Idee sicher Sinn. Insgesamt ist Schwarz eine durchaus ansprechende Inszenierung zu bescheinigen, die von Kurzweile und Spannung geprägt wird und die ihren schlechten Ruf gänzlich zu Unrecht genießt.
Am Pult stand der Stuttgarter GMD Cornelius Meister, der kurz vor der Premiere für den an Corona erkrankten Pietari Inkinen eingesprungen war und demzufolge nur ganz wenig Probezeit hatte. Davon war indes wenig zu merken. In dieser dritten Aufführung des Rheingolds hatte Meister die Fäden straff in den Händen und animierte das gut disponierte Festspielorchester zu einem imposanten, spannungsgeladenen Spiel. Gegenüber seiner Herangehensweise an das Werk in Stuttgart vergangene Spielzeit hatte er das Tempo merklich gesteigert, gleichzeitig aber auch mit einer vorbildlichen Transparenz aufgewartet. Da wurden einige Einzelheiten durchhörbar. Auch die Farbpallette, die Meister Wagners Partitur angedeihen ließ, war vorbildlich.
Ebenfalls auf hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. An erster Stelle ist Olafur Sigurdarson zu nennen, der den Alberich mit der Eleganz eines hell timbrierten italienischen Baritons überaus prächtig sang. Ganz phantastisch schnitt auch Okka von der Damerau ab, die der Erda mit voll und rund klingendem, dabei ebenfalls bestens italienisch geschultem Mezzosopran erhebliches vokales Gewicht verlieh. Egils Silins war ein sehr sonor und ausdrucksstark singender Wotan. Mit bestens fokussierten, kraftvollen heldentenoralen Tönen stattete Daniel Kirch den Loge aus. Mit warmem, geschmeidigem und hellem Bass gab Jens-Erik Aasbo den Fasolt. Auch der sehr geradlinig und markant singende Fafner von Wilhelm Schwinghammer gefiel phantastisch. Einen beachtlichen jugendlich-dramatischen Sopran brachte Elisabeth Teige in die Partie der Freia ein. Die Fricka von Christa Mayer zeichnete sich durch eine dunkle, voluminöse Mezzosopran-Stimme aus. Mit hervorragend gestütztem, klangvollem Tenor wertete Attilio Glaser die kleine Rolle des Froh auf. Solide, indes nicht außergewöhnlich klang Raimund Nolte s Donner. Arnold Bezuyen war ein ordentlich im Körper singender Mime. Bei den Rheintöchtern gefielen die klangvoll singenden Lea-ann Dunbar (Woglinde) und Stephanie Houtzeel (Wellgunde) besser als die nicht gerade schöne singende Katie Stevenson (Floßhilde).
Ludwig Steinbach, 26.8.2022
(c) Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath