Gelungene Inszenierung
Besuchte Aufführung: 30.8.2022 (Premiere: 5.8.2022)
Der Ring ist die Tochter von Siegfried und Brünnhilde
Kaum war im Festspielhaus Bayreuth der letzte Ton von Wagners Götterdämmerung verklungen, erhob sich ein massives Buh-Konzert. Das Publikum machte seinem Unmut über die Inszenierung von Valentin Schwarz in dem Bühnenbild von Andrea Cozzi und Andy Besuch s Kostümen lautstark Luft. Nicht zu überhören waren indes einige vehemente Bravo-Rufe. Es scheint also doch auch Besucher im Auditorium gegeben zu haben, denen das Gesehene gefallen hat. Dem schließe ich mich voll und ganz an. Was das Regieteam an diesem Abend auf die Bühne gebracht hat, war in hohem Maße ansprechend. Wieder einmal wurde deutlich, dass es gerade die am stärksten ausgebuhten Produktionen sind, die wirklich gut sind. Da stellt diese Götterdämmerung von Valentin Schwarz keine Ausnahme dar. Er hat das Werk trefflich durchdacht, mit viel Neuem aufgewartet und die Personen hervorragend zu führen verstanden. Langweilig wurde es wahrlich an keiner Stelle. Und das ist schon viel. Nein, misslungen ist diese Inszenierung wirklich nicht. Man muss sie nur verstehen. Und das ist nicht allzu schwer. Ganz essentiell ist auch die Bereitschaft, sich auf Neues, Modernes, Ungewöhnliches und sogar Provokantes einzulassen. Diese vermisst man aber bei dem größtenteils konventionell eingestellten Bayreuther Publikum. Um es vorwegzunehmen: Diese Götterdämmerung hat gut gefallen!
Seit dem Ende des Siegfried sind einige Jahre vergangen. Siegfried und Brünnhilde haben inzwischen eine Tochter, die Schwarz gekonnt mit dem Ring identifiziert. Auch hier nimmt er erneut eine Personalisierung des Rings vor, die durchaus Sinn macht. Kinder symbolisieren die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, und genau darum geht es hier. Dieser überzeugende Ansatzpunkt aus dem Rheingold wird von dem Regisseur gekonnt weitergesponnen. Der von der Regie wiederrum als Mensch vorgeführte, stark gealterte Grane lebt ebenfalls bei der Familie. Ein gefälliger Regieeinfall ist der Fakt, dass diese in dem einstigen Kinderzimmer von Siegmund und Sieglinde, das man bereits aus der Walküre kennt, ein hübsches Domizil gefunden hat. Glücklich ist man hier allerdings nicht. Schwarz verweigert dem einstigen Hohen Paar eine traute Familienidylle. Siegfried und Brünnhilde haben sich längst auseinander gelebt und scheinen sich nicht mehr sonderlich gut zu verstehen. Der Held bricht zusammen mit Grane nur deshalb zu neuen Taten auf, weil er es bei der ehemaligen Walküre nicht mehr länger aushält. Da kann ihn auch seine sich verzweifelt an sein Bein klammernde Tochter nicht mehr aufhalten. Diese hatte zu Beginn des Vorspiels einen Alptraum, in dem sie die Dämonen ihrer Vergangenheit in Gestalt der drei Nornen heraufbeschwor. Aus Angst vor diesen unheimlich wirkenden Spukgestalten wurde das Kind zur Bettnässerin. Dieses Bild machte einen starken Eindruck. Ein feines Gespür für Tschechow’sche Elemente bewies Schwarz zum wiederholten Male, indem er auch hier Alberich auftreten, die Szene neugierig beobachten und schließlich eine Spielzeugpistole stehlen ließ. Das Böse ist allgegenwärtig.
Hagen ist inzwischen älter geworden und hat sich zum eigentlichen Chef des Gibichungen-Clans entwickelt. Der blonde, langhaarige Gunther leidet augenscheinlich unter ADHS, Gutrune erscheint als elegante Salondame, die vor dem Eintreffen Siegfrieds noch schnell ein wenig Koks nimmt. Ein von den Gibichungen gern gepflegtes Vergnügen scheint die Großwildjagd in Afrika zu sein. Jedenfalls zeigt ein an der Wand hängendes Bild die drei (Halb-) Geschwister über einem erlegten Zebra. Und mitten auf der Bühne liegt ein erlegter kleiner Elefant. Weihnachten scheint gerade vorbei zu sein. Der immer noch blinkende Christbaum wird entsorgt. Gunther scheint das Fest der Liebe kalt gelassen zu haben. Er lümmelt sich lieber auf einem Sofa herum. Siegfried erfährt von den Gibichungen einen herzlichen Empfang, Grane dagegen wird von ihnen gefoltert und schließlich sogar geköpft. Blutsbrüderschaft wurde von Siegfried und Gunther mit Granes Blut getrunken. Eines Zaubertrankes, der Siegfried Brünnhilde vergessen und sich Gutrune zuwenden lässt, bedarf es in Schwarz‘ Interpretation nicht. Der Held leert eine grüne Flüssigkeit einfach über Granes Kopf aus. Trinken tut er sie nicht. Er wird der ehemaligen Walküre aus freien Stücken untreu, was ihn nicht gerade sympathisch erscheinen lässt. Das war eine recht aufregende Szene. Ebenfalls sehr einprägsam war die Neudeutung, die der Regisseur der Waltraute zukommen ließ. Bei ihm ist die ein wenig wahnsinnig wirkende Walküre aus einer Anstalt entflohen und sucht Brünnhilde nur aus dem einen Grund auf, weil auch sie das Ring-Kind haben, es entführen will, was ihr aber nicht gelingt. Der Höhepunkt des ersten Aufzuges, ja der ganzen Aufführung, war die Überwältigung Brünnhildes durch den falschen Gunther. Hier ist es Gunther, der bei Siegfrieds Frau erscheint und die Lippen synchron zu den Worten bewegt, die der Sänger des Siegfried aus dem Off singt. Brutal stößt er die ehemalige Walküre an die Wand und fesselt das Ring-Kind, das die ganze Szene schockiert beobachten muss, an einen Stuhl. Diese Idee war zwar nicht mehr ganz neu – das hat Tobias Kratzer in Karlsruhe ähnlich gemacht -, aber ungemein effektiv und hoch spannend umgesetzt. Diese Szene ging wirklich unter die Haut. Hierfür gebührt Schwarz ein großes Lob.
Im zweiten Aufzug sitzt Hagen auf einem Stuhl in einem großen leeren Raum, der lediglich von einem Box-Sack gesäumt wird. Auf diesen schlägt der Nibelungensohn auch einmal ein. Der die im Vorspiel entwendete Kinderpistole zurückbringende Alberich gefällt sich ebenfalls im Boxen. In diesem Bild sieht man zwei verpfuschte Menschen, die den Sinn des Lebens nur darin sehen, andere in den Abgrund zu ziehen. Einen unheimlichen Eindruck hinterließ der Mannen-Chor. Die roten Masken sind allesamt den Protagonisten Wotan, Brünnhilde und Siegfried der Bayreuther Uraufführung der Götterdämmerung nachempfunden. Während Hagen den Choristen seine Anweisungen gibt, sucht das entführte Ring-Kind nach seinem Stoff-Pferd. Die Schwur-Szene bildete in Sachen Personenregie einen Höhepunkt der Produktion. Auch Hagens, Brünnhildes und Gunthers Entschluss, Siegfried zu töten, war eindringlich auf die Bühne gebracht.
Im dritten Aufzug ist der bereits vom Beginn des Rheingolds bekannte Swimmingpool zu sehen. Seine einstige Pracht hat er jetzt verloren, wirkt schmutzig und heruntergekommen. In einer Pfütze auf dem Grund des Schwimmbeckens angeln Siegfried und seine Tochter. Dabei genehmigt sich der Held ein Bier nach dem anderen. Die Rheintöchter sind sichtlich gealtert. Ihre Kostüme erinnern an die der Walküren. Hagen ersticht Siegfried mit einem Messer. Während des Trauermarsches versucht das Ring-Kind, seinen Vater ins Leben zurückzuholen – ein Versuch, der naturgemäß zum Scheitern verurteilt ist. Hagen, Gunther und Gutrune überleben in Schwarz‘ Interpretation. Die ihr Unrecht einsehende Gutrune robbt langsam von der Bühne. Gunther steigt in den Swimmingpool hinab und wirft eine Tüte mit Granes Kopf auf den Boden. Mit diesem beginnt Brünnhilde stark zu schmusen. Nachhaltig fühlt man sich bei diesem Bild an Salome und den Kopf des Jochanaan erinnert. Brünnhilde ist fähig, loszulassen und einen Schlussstrich unter das Ganze zu ziehen. Die alte Welt soll nicht mehr in die neue hineinragen. Daraus erklärt sich auch der Tod ihrer Tochter, die unter dem Einfluss der Rheintochter am oberen Rand des Swimmingpools ihr Leben aushaucht. Der noch einmal zurückkehrende Hagen erblicht die kleine Leiche, ruft sein Zurück von Ring aus und stürzt wieder davon. Zum Schluss erblickt man erneut die Projektion von zwei Embryonen im Mutterleib. Dieses Bild kennt man schon vom Beginn des Rheingolds her. Hier verletzen sie sich allerdings nicht gegenseitig, sondern umarmen sich – ein sehr einfühlsames Bild, das einen trefflichen Eindruck hinterließ. Am Ende steht die Liebe. Diese zutreffende, in jeder Beziehung überzeugende Quintessenz des Regisseurs setzte einen überzeugenden Schlussstrich unter eine insgesamt gut gelungene Inszenierung.
In guter Form zeigte sich Cornelius Meister am Pult des beherzt aufspielenden Festspielorchester s. Der Dirigent schöpfte ganz aus dem Vollen und animierte die Musiker zu einem intensiven, kraftvollen und von großen Spannungsbögen geprägten Spiel. Leider klang der Schluss etwas zu analytisch. Etwas mehr Wärme des Orchesterklangs wäre hier schön gewesen. Dennoch durfte sich Meister über ungetrübten Zuspruch seines des Auditoriums freuen.
Bei den Sängern problematisch erwies sich in erster Linie Iréne Theorin, deren Brünnhilde ein recht unschönes Dauer-Vibrato aufwies. Da war ihr der mit vorbildlicher italienischer Technik, markant und kräftig singende Stephen Gould in der Rolle des Siegfried um einiges überlegen. Albert Dohmen verfügte als Hagen zwar nicht über eine schwarze Stimmfarbe, sang aber mit enormer Intensität und enormer Differenzierungskunst bei untadeliger Gesangstechnik. Mit trefflich gestütztem, hellem Bariton gab Michael Kupfer-Radecky einen grundsoliden Gunther, den er auch ansprechend spielte. Einen wunderbaren, klangvollen und ebenmäßig durch alle Lagen geführten jugendlich-dramatischen Sopran brachte Elisabeth Teige in die Partie der Gutrune ein. Einmal mehr beglückte vokal der sich durch bestens fokussierten italienischen Stimmfluss auszeichnende Alberich von Olafur Sigurdarson. Christa Mayer s Waltraute zeichnete sich durch gefühlvolle Tongebung sowie eine perfekte Linienführung ihres tadellos ansprechenden Mezzosoprans aus. Bei den Rheintöchtern zeigten sich die solide singenden Lea-ann Dunbar (Woglinde) und Stephanie Houtzeel (Wellgunde) der nicht im Körper singenden Katie Stevenson (Floßhilde) stimmlich überlegen. An der nötigen Körperstütze ihres kalten, nicht gerade gefälligen Soprans fehlte es auch der dritten Norn von Kelly God. Auf hohem Niveau bewegten sich dagegen Okka von der Damerau (Erste Norn) und Stéphanie Müther (Zweite Norn). Die stumme Rolle des Grane war Igor Schwab anvertraut. Mächtig ins Zeug legte sich der von Eberhard Friedrich einstudierte Festspielchor.
Gesamt-Fazit zum Schluss: Hier haben wir es mit einem szenisch durchaus gelungenen, trefflich durchdachten und spannend umgesetzten Ring zu tun, der völlig zu Unrecht einen derart schlechten Ruf genießt. Valentin Schwarz hat hier wirklich ansprechende Arbeit geleistet. Ein Vergleich mit Patrice Chéreaus Jahrhundertring drängt sich auf: Dieser wurde im Premierenjahr 1976 von Publikum und Presse gleichermaßen vehement verteufelt, aber als er 1980 das letzte Mal lief, war er unumstößlicher Kult und wurde heftig beklatscht. Es bleibt zu hoffen, dass die Entwicklung von Schwarz‘ Ring ähnlich verlaufen wird. Man kann nur immer wieder nachdrücklich wiederholen: Schlecht war dieser Ring nicht!
Ludwig Steinbach, 1.9.2022
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