Buchkritik: „Cosima Wagner – Ein widersprüchliches Leben“, Sabine Zurmühl

„Widersprüchlich“ ist das Wort im Untertitel von Sabine Zurmühls Cosima-Wagner-Biographie, das das Interesse an seiner Lektüre wachruft, und es ist dasjenige, dem man widersprechen möchte, wenn man seine Lektüre beendet hat. Nachvollziehbar ist immerhin, dass als Widerspruch zur bedingungslosen Anbetung des musikalischen Genies die Emanzipation der von einer hochadligen Mutter abstammenden Katholikin, die aus einer Ehe ohne Liebe ausbricht und Jahre lang in wilder Ehe mit einem Bürgerlichen lebt, gesehen wird. Auch ihre souveräne Leitung der Bayreuther Festspiele nach Richard Wagners Tod spricht für ihre tatsächliche Emanzipation, wobei das Widersprüchliche immerhin darin gesehen werden könnte, dass sie die Emanzipationsbestrebungen der Frauen in ihrer Zeit eher ironisch kommentierte, statt sie zu unterstützen.
Das Buch erweckt zunächst den Anschein, wie eine Oper gegliedert zu sein, beginnend mit der Ouvertüre, aus den Kosenamen Wagners für seine zweite Frau bestehend. Das wird aber nicht durchgehalten, es folgen Kapitelüberschriften, meistens nur aus einem Wort bestehend, so „Schreiben“, „Kindersorge“ oder „Gesundheit“, innerhalb derer chronologisch vorgegangen wird. Souverän werden umfangreiche Zitate aus Briefen, Tagebüchern, Aussagen von Zeit- und Weggenossen mit den Kommentaren der Verfasserin ineinander verschränkt. Und auch Träume sind es wert, von Cosima dargestellt und von der Verfasserin in ihren Text aufgenommen zu werden. Das „atemlose Leben“ der Cosima scheint über weite Strecken eine Atemlosigkeit der Sprache der Autorin zu provozieren, ein Aufeinandertürmen von Gegensätzen, leidenschaftliche Formulierungen wie „ja, sie war“- und es folgen die Vorwürfe, die man der unehelich geborenen, gar nicht hübschen, später zu Karikaturen provozierenden Liszt-Tochter machte.
Einfühlsam beschreibt Zurmühl die Zerrissenheit zwischen Französisch- und Deutschsein, später eine bedingungslose Hinwendung zum eigentlich „nur“ zweiten Heimatland. Nicht ganz verleugnet wird die feministische Grundstimmung der Verfasserin, aber diese führt nie dazu, die bedingungslose Hingabe, ja Selbstaufopferung ihres Forschungsgegenstands ins Lächerliche zu ziehen. Man gewinnt stattdessen zunehmend mit dem Fortschreiten in der Lektüre den Eindruck, noch nie zuvor habe sich eine Biographin Cosima Wagners ihrem Forschungsgegenstand gegenüber so fair verhalten, so fern von Schönfärberei wie von Verunglimpfung. Sympathisch müssen der Autorin die vielen Freundschaften gewesen sein, die Cosima (Nach einigen Skrupeln nennt sie sie durchgehend so und nicht, wie es den Männern zugestanden wird, mit ihrem Familiennamen.) in einem reichen Briefwechsel pflegte.
Zwei Wagner-Partien spielten für Cosima und damit auch für Zurmühl eine besondere Rolle: Fricka und Kundry. Einmal war es die Faszination des Gegensatzes zwischen Regelbruch, wie ihn Wotan verkörpert, und Prinzipientreue, für die Fricka steht, der Cosima interessierte und nicht minder die Autorin, zum anderen der Weg Kundrys, der im Dienen Ziel und Ende findet.
Anschaulich berichtet Zurmühl von der Gestaltung von Festen, so des Cosima-Geburtstags mit Aufführung des Siegfried-Idylls, der Selbstinszenierung, in der auch die Kleidung eine wichtige Rolle spielt. Es bleibt nicht bei einer Darstellung, einer Beschreibung, sondern es werden Schlüsse gezogen wie der, dass Cosima das apollinische, Richard das dionysische Prinzip verkörpere.
An anderer Stelle kommt Zurmühl zum überzeugenden Fazit:“Cosima gehört damit zu den nicht seltenen Frauen der Oberschicht, die tagespolitisches Engagement für Frauenfragen strikt ablehnen, in ihrer Lebensrealität aber das Rollenmodell selbst verkörperten, das die Frauenbewegung für die Masse der Frauen erst fordern musste“. Wenn Cosima Rechte wahrnahm, so waren noch viel zahlreicher die Pflichten, denen sie sich freiwillig unterwarf und die die Autorin eindrucksvoll schildert. Dazu gehörte die Erziehung und Bildung der fünf Kinder, die Führung des Haushalts, die Beherbergung zahlreicher Gäste, darunter auch des Vaters Franz Liszt, die Vorbereitung von häufigen Reisen und Umzügen, das Notenschreiben , die Pflege von Verwandten und Gästen, das Heranschaffen von Sponsoren und vieles mehr. Nach Wagners Tod kam noch die Führung der Bayreuther Festspiele dazu, wo sie Regie führte, sich um Bühnenbilder, Technik und alles weitere kümmerte.
Ambivalent ist ihr Verhältnis zu den Juden. Tendenziell ist sie Antisemitin, bedauert aber die Schrift Wagners gegen das Judentum, pflegt durchaus auch herzliche, vorbehaltlose Kontakte mit einzelnen Juden. „Ich habe die besten Freunde unter Juden“, ist von ihr überliefert. Besonders interessant und von Zurmühl detail- und kenntnisreich dargestellt ist die Beziehung zum Parsifal-Dirigenten Levi, ausführlicher Betrachtung wert die zum Schwiegersohn Chamberlain.
Natürlich muss der Zorn Zurmühls Felix Weingartner treffen, der sich in hässlicher Überheblichkeit über Cosima äußert. Der Verfasserin hingegen kann man bescheinigen, dass ihr völlig das Bestreben abgeht, Cosima von der hohen Warte der besserwissenden Spätgeborenen her zu beurteilen. So enthält sie sich auch im Unterschied zu anderen Biographen jeglicher Spekulation darüber, wie Cosima zu Hitler stand. Und so kann es geschehen, dass man nach dem Lesen des Buches, das von Fakten und Quellen ausgeht und nicht von einer vorgefassten, zu bestätigenden Meinung, zu einem sehr viel positiveren Urteil über die Heldin des Werks bereit ist, als es vorher der Fall war.
Ein Nachwort von Monika Beer, dazu ein nochmal 55 Seiten umfassender Anhang vervollständigen neben vielen interessanten Fotos das Buch.

Ingrid Wanja, 6. Februar 2023


Sabine Zurmühl: „Cosima Wagner-Ein widersprüchliches Leben“

360 Seiten Böhlau Verlag

Wien 2022

978 3 205 21501 1