CD: „1. Sinfonie“, Hans Rott – der bessere Mahler?

Eine spannende CD-Neuveröffentlichung ist dieser Tage dem Premium Label Deutsche Grammophon zu danken. Drei sehr unterschiedliche Werke werden präsentiert, die einen unmittelbaren Bezug zueinander erkennen lassen.

Leider immer noch eine Rarität ist die einzige Sinfonie Nr. 1 von Hans Rott, entstanden in den Jahren 1878 – 1880. Das kurze Leben von Hans Rott währte kaum 26 Lebensjahre, bevor die Tuberkulose zu früh sein Leben beendete. Hinzu kam der wachsende Wahnsinn, der in den letzten Lebensjahren dazu führte, dass Rott zahlreiche seiner Werke vernichtete. Rotts Studienkollege Gustav Mahler war tief von seinen Fähigkeiten beeindruckt und rief in Rott den neuen Symphoniker der Zukunft aus.

Rotts Sinfonie steht hörbar unter dem Einfluss Anton Bruckners, dessen Lieblingsschüler er war. Der kundige Mahler Hörer staunt nicht schlecht, wie überreichlich Gustav Mahler Rotts Musik in seinen ersten beiden Sinfonien verarbeitete. Da war Rott bereits viele Jahre verstorben und Tote können sich nicht wehren.

Ähnlich wie Mahler beschreibt Rott in seiner Musik Naturidylle und auch gewaltige orchestrale Aufwallungen, die Bruckner und Wagner Referenz erweisen. Die Spannungsbögen sind überzeugend und mitreißend komponiert, ebenso die Themengegensätze. Ein instrumentales Detail ist in Rotts Sinfonie markant: der überreiche Gebrauch der Triangel. In keiner Sinfonie dieser Epoche kommt dieses so prägnante Instrument derart intensiv zum Einsatz!

Hans Rott macht es dem Zuhörer leicht, seine Musikwelt zu betreten. Die Streicher flirren und eröffnen mit einem exponierten Solo der Trompete einen breiten Horizont. Innige Ruhepunkte in den Holzbläsern und im starken Kontrast dazu wiederkehrende Blechbläser Choralthemen. Letztere und prägnante Fugen gemahnen immer wieder an Anton Bruckner. Aber bei Rott ist es keine Kopie, sondern kompositorische Inspiration. Im langen Finalsatz gibt es vielerlei Reminiszenz an Brahms erste Sinfonie und doch fehlt es vor allem hier an prägnanten Themen, die diesem Werk eine stärkere Markanz und thematische Wiedererkennung hätte verleihen können. So bleibt dennoch ein spannender Solitär mit kleineren Ecken und Kanten. In jedem Fall verdient diese Komposition einen wiederkehrenden Platz in den Konzertprogrammen.

Jakub Hrůša, der in einem persönlichen Vorwort berührend beschreibt, wann und wie er auf Rotts Werk stieß, ist hörbar innig damit verbunden. Er kostet mit seinen Bamberger Symphonikern alle Effekte und dynamischen Entwicklungen großartig aus. Mit viel Liebe zum Detail und klaren Vorstellungen strukturieren Dirigent und Orchester das Werk. Die Höhepunkte werden wunderbar organisch herausgearbeitet und zugleich ausgekostet, wie beispielsweise am Ende des ersten Satzes. Mit langem Atem wird der zweite Satz nobel ausformuliert und dann heftig kontrastiert durch das lebensfrohe Scherzo, aus welchem Gustav Mahler reichlich stibitzt hat. Höhepunkt ist der herausragende, mit größter Emphase vorgetragene Schlusssatz. Hrůša agiert vehement und mit klanglicher Offensive, lässt die Pauke rhythmisch knackige Akzente setzen, immer wieder sind auch Schroffheiten zu vernehmen und schlussendlich löst Hrůša mit perfektem Timing alles in edler Klangkultur auf. Rott und Hrůša, das wird in dieser so eindrücklichen Aufnahme zu unwiderstehlichen Bekenntnismusik!

Die Bamberger Symphoniker sind bei dieser Aufnahme in Bestform und verwöhnen mit wunderbar fein differenziertem Orchesterspiel. Selbst in den größten Kulminationen bleibt die Transparenz gewahrt. Die viel geforderten Blechbläser werden ihren intensiven Anforderungen bestens gerecht, der Klang der Streicher ist satt und im langsamen Satz schimmernd hell, die Holzbläser sorgen für kantable Wonnemomente und der Triangel Spieler darf sich über prominente Aufmerksamkeit freuen.

Gustav Mahler hatte seine erste Sinfonie ursprünglich fünfsätzig komponiert mit und mit einem Programm versehen. Nach den Misserfolgen der ersten Aufführungen widerrief er das Programm und zogden ursprünglichen zweiten Satz „Blumine“ zurück.

Gerade mit diesem Satz war die damalige Kritik sehr unbarmherzig und bespöttelte die „Schlichtheit“. Ja, Mahler selbst tat sich keinen Gefallen damit, später das Werk als „Jugendeselei“ zu bezeichnen. Im Jahr 1896 legte er dann die viersätzige Form seiner ersten Sinfonie endgültig fest. Seither wurde es still um die „Blumine“. Nur selten wurde dieser Satz innerhalb der Sinfonie noch aufgeführt, meistens als eher separater Programmpunkt. Dies ist bedauerlich.

Thematisch bezieht sich der Finalsatz der ersten Sinfonie auf die „Blumine“. Und das anmutige Trompetensolo zeigt in Mahlers Zukunft und nimmt Anklänge seiner zweiten und dritten Sinfonie vorweg.

Es ist und bleibt ein reizvoller, zauberhafter Satz, der in seiner Kontemplation einen deutlichen Sog entwickelt.

Auch hier zeigt Dirigent Jakub Hrůša seine Meisterschaft in der kantablen Ausgestaltung der Themen und sein mustergültiges Timing. Die Bamberger Symphoniker zelebrieren dieses musikalische Kleinod mit viel Akkuratesse und solistischer Meisterschaft, vor allem Trompete, Horn und Oboe. Wunderbar.

Eine besondere Rarität erwartet den Zuhörer mit der knappen Komposition „Symphonisches Präludium in c-moll“ von Anton Bruckner. Und hier wird es rätselhaft. Der Wiener Komponist Hans Tschuppig entdeckte nach dem zweiten Weltkrieg im Nachlass seines komponierenden Onkels Rudolf Kryzanowski ein Partitur Manuskript dieses Werkes. Kryzanowski war Bruckners Schüler und auf der letzten Seite des Manuskriptes stand „von Anton Bruckner“. Es entstanden Zweifel, könnte es sich nicht bei diesem effektvollen Kurz Werk nicht auch um eine Frühkomposition von Gustav Mahler handeln? Es sollten viele Jahre vergehen, bis die Musikwissenschaft sich 1985 festlegte und beschied, das Werk sei von Anton Bruckner. In der Musikpraxis wurde diese neue Faktenlage weithin ignoriert und das Werk blieb vielfach oft Gustav Mahler zugeschrieben.

Einmal mehr begeistern die Bamberger Symphonikern mit edlem symphonischem Klang und famoser Klangkultur. Auch hier wirkt die Musik vielschichtig gestaltet und erzählerisch vorgetragen. Jakub Hrůša dirigiert mit Verve und großer klanglicher Geste dieses kleine Schmuckstück für Orchester.

Eine wichtige Veröffentlichung in klanglich und interpretatorisch begeisternder Umsetzung. Gerade im Falle von Hans Rott dürfte dieser Neuaufnahme Referenzstatus zukommen.

Dirk 18. Mai 2023 Schauß