CD: „An Allem ist Hütchen Schuld!“ von Siegfried Wagner

(c) Marco Polo

2019 kam die Oper dank der Internationalen Siegfried-Wagner-Gesellschaft in Bayreuth, im Markgräflichen Opernhaus auf die Bühne, nun liegt der Mitschnitt auf CD vor. Dass der „Sohn“, wie der Titel der Biographie von Zdenko von Kraft lautet, mit dem Missgeschick auf die Welt kam, der Sprössling eines großen Vaters zu sein: man hört‘s, doch sind die dramatischen und musikalischen Anspielungen an das Werk Wagners d.Ä., die er in seine Märchenoper legte, weniger peinlich als reizvoll. Worum geht’s? Um typische Märchenprüfungen in fantastischen Welten, nach deren Bestehen die beiden füreinander bestimmten Liebenden zueinanderkommen und die scheinbare Naivität und Güte des Mädchens wie der Mut und die Listigkeit ihres Geliebten letzten Endes die Welt aus den Klauen des Bösen, also des Todes, des Teufels, aber auch des titelgebenden „Hütchens“ retten. Dem Librettisten S.W. gelang es souverän, die verschiedensten Motive, den Knüppel aus dem Sack und den Goldesel, die Zaubernuss und die Kröte, den Hans im Glück und das Sternenkind, zu einer Prüfungs- und Erlösungsoper zu bündeln. Dabei wagnert‘s nicht wenig – im parodistischen Sinn, den Daniela Klotz gerade in ihrer profunden Studie zum m Verhältnis der Opern Siegfried Wagners zum „Vaterwerk“ herausgefieselt hat, war der Sohn kein Epigone, sondern ein bewusst-unbewusster Nachschöpfer. Frieder und sein Katherlieschen kämpfen also um ihre Liebe wie Walther und Eva, begegnen sich wie Siegfried und Brünnhilde und erleben Abenteuer wie Tristan und Isolde, bis sie, so will’s das Märchen, schließlich kopuliert werden. Wagner d.J. schrieb sich mit seiner 11. vollendeten Oper nicht nur den guten Text, sondern auch eine schöne Musik zum Stück, in dem er Dutzende von Märchenmotiven verarbeitete. Hört man genau hin, vernimmt man, passend zu Tod und Teufel, einen authentisch „schrägen“ Sound von 1914/15; nach einem harmonisch gemäßigten ersten Akt hört man plötzlich einen zweiten Akt, in dem der Komponist gezeigt hat, dass er ein Zeitgenosse Schönbergs und Schrekers war. Dahinter aber scheint wesentlich mehr zu stecken. Scheint es nicht so, als habe sich Siegfried Wagner hier – in bewusster Auflehnung gegen das ästhetische Diktat der Wahnfried Umwelt seiner „Bayreuther“ – nicht gegen die Zumutung aufgelehnt, immer nur „gemütlich“ und „gemütvoll“, im Sinne der „Bayreuther Blätter“ also „deutsch“ zu komponieren? Siegfried Wagners Musik ist immer „wohltönend“ und, versehen mit den Mitteln der modernen Instrumentationskunst, unkompliziert und bisweilen nervig „lustig“. Interessant aber wird sie erst dort, wo sie sich aufs Dunkle, Schroffe und leicht Bizarre, plötzlich nicht mehr Aufgeregte oder betont Lyrische, wenn auch betörend Einschmeichelnde (die Solo-Violine!) konzentriert: so wie in der großartigen Königssohn Szene (Tristan-und Parsifal-Töne klingen reizvoll und diskret genug an), so wie in der Hölle. Plötzlich gelingen Siegfried Wagner auch in den volkstümlich sein wollenden Sequenzen hinreißende, weil rhythmisch gespannte und melodisch einigermaßen originelle Passagen, deren Nähe zu Dvořák und Smetana den Hörer eher beglückt als befremdet. Wunderbar auch die Szene mit des Teufels „Ellermutter“: ein ins Gemütliche aufgelöster Strawinsky – und witzig Trudes gestelzte Auftrittsmusik, also ihr persönliches Motiv. Die Liebesgesänge und das Erlösungsende, dem der balsamische Beginn des wie immer bei Siegfried Wagner kaum unter 20 Minuten langen Vorspiels mit seinem naiven Katherlieschen-Thema die Weisung gibt, werden schließlich anders gehört, wenn man sie als Umrahmungen der harmonisch avancierten Anderswelt-Musik begreift.

Der Rest ist amüsant, rhythmisch schwungvoll (Siegfried Wagner verstand sich auch auf besonders wienerisch gefärbte Walzer), lyrisch inspiriert und hervorragend instrumentiert. Die Karlsbader Symphoniker spielen, zusammen mit den Solisten und den Choristen des Philharmonischen Chors Nürnberg, unter David Robert Coleman einen sehr sauberen Wagner, begleitet von den Sängern, unter denen neben den beiden Hauptsängern Rebecca Broberg und Hans-Georg Priese besonders Joa Helgesson und Maarja Purge glänzen, um zu belegen, dass es sich lohnt, die selten gespielten Opern des eigenständigen Komponisten, bei dem es zwischen Pathos und Humor, schillerndem Tanz und „treudeutscher“ Seele bunt hin- und herging, zu spielen – ganz abgesehen von der märchenhaften wie psychologisch vertrackten Handlung, von der der Hörer schon deshalb viel mitbekommt, weil’s, da live, stark rummelt und wummelt. Kein Grund, sich nicht die Ersteinspielung der höchst kurzweiligen Oper zuzulegen.

Frank Piontek 10. Dezember 2022


„An Allem ist Hütchen Schuld!“

Siegfried Wagner

Marco Polo

8.2253.78-80

3 Cds