Gustav Mahler, einer der bedeutendsten Komponisten der Spätromantik, bezeichnete seine dritte Sinfonie als sein „Werk, in welchem sich in der Tat die ganze Welt spiegelt.“ Diese Aussage wird nicht nur durch die große Anlage der Sinfonie mit sechs Sätzen und einer riesigen Besetzung des Orchesters mit Chor und Alt unterstrichen, sondern auch durch die vielschichtige und fesselnde Musik, die uns in der vorliegenden Einspielung der Essener Philharmoniker mit der dritten Sinfonie Mahlers unter der Leitung von Tomáš Netopil präsentiert, ja geradezu intensiv erzählt wird.
Die Uraufführung der Sinfonie fand am 9. Juni 1902 unter der Leitung von Gustav Mahler in Krefeld statt. Seitdem hat sich das Werk als ein Meisterwerk der sinfonischen Literatur etabliert und begeistert Musikliebhaber auf der ganzen Welt. Die musikalische Reise der Sinfonie spiegelt eine Vielzahl von Stimmungen wider, von der urwüchsigen Kraft der Natur des ersten Satzes bis zum kraftvollen und dramatischen Hymnus des finalen Satzes. Mahlers dritte Sinfonie ist ein Werk, das in seiner Größe und Komplexität fasziniert.
Tomáš Netopil, der Dirigent dieser Aufnahme, versteht es, die Noblesse und Komplexität von Mahlers dritte Sinfonie zu erfassen und zu präsentieren. Sein Dirigat zeigt ein tiefes Verständnis für die musikalischen Strukturen und die Fähigkeit, die verschiedenen Stimmungen und Nuancen des Werks erzählerisch zum Ausdruck zu bringen. Netopil vermeidet es, in eine rein technische Interpretation abzudriften, sondern lässt die Musik atmen, was zu einer organischen und nuancierten Darbietung führt. Bereits die einleitende Fanfare der Horngruppe gelingt atemberaubend voller Kraft und Glanz. Klar arbeitet er das Doppelbödige der Musik heraus, die, gerade im ersten Satz, zuweilen so seltsam und bedrohlich anmutet. Furios und geradezu fetzig werden die vielen Marschthemen gespielt. Ein intensives Kaleidoskop an Eindrücken. Lyrisch anmutend im deutlichsten Kontrast wird das Menuett des zweiten Satzes gegeben und doch sind es hier auch die thematischen Brechungen, die Netopil sehr gut erfasst, die diesen leicht beiläufig wirkenden Satz mit viel Spannung versehen. Hinreichend skurril und voller Farben entfaltet sich das faszinierende Scherzo. Netopil arbeitet in diesem polyfonen Stimmengeflecht viele Details heraus, die oft im Orchestergetümmel untergehen. Dazu darf das Orchester geradezu lautmalerisch agieren. Das wunderbar entfernt tönende Posthornsolo, gespielt von László Kunkli, ist ein weiterer Höhepunkt dieser Aufnahme. Sein anmutiges Spiel bringt eine innige Klangfarbe und Atmosphäre in das Werk. Das finale Adagio der Liebe wird aus einer berührenden, kammermusikalischen Schlichtheit aufgebaut und zur hymnischen Größe entwickelt. Netopil hält diesen so zentralen Satz im ruhigen Fluss, ohne zu schleppen. Netopil hört genau in den Verlauf der Nebenstimmen, sodass auch in diesem Finale manche sonst untergehende Details zu vernehmen sind. Die finalen Steigerungen wirken in ihrer Monumentalität ganz selbstverständlich, entwickelt und natürlich. Einzig die finalen Pauken ertönen all zu weich und abgedämpft, was die Schlusswirkung merklich verkleinert, wozu auch der bedauerlicherweise zu kurze Finalakkord beiträgt. Schade. Mahler forderte hier ein „langes Aushalten“. Hinzu kommen auch Ungenauigkeiten im Schlagzeug in den Finali der Sätze eins und drei. Hier fehlen die notierten Beckenschläge, die Netopil lediglich auf einem hängenden Becken schlagen lässt, was in beiden Fällen die Wirkung schmälert. Kleine Wermutstropfen, die diese ansonsten gelungene Aufnahme zum Glück nicht zu sehr beeinträchtigen.
Ein besonderes Highlight dieser Aufnahme sind die verschiedenen Chöre und die Altistin, die in Mahlers dritter Sinfonie zum Einsatz kommen. Bettina Ranch als Alt-Solistin bringt einen satt tönenden Stimmklang und eine authentische Ausdruckskraft in ihr Solo. Ihre Textverständlichkeit ist mustergültig, sodass dieser Satz eine tiefe Eindringlichkeit erfährt. Der Aalto Kinderchor, der Kinderchor der Deutschen Oper Berlin und die Damen des Philharmonischen Chores Essen fügen sich nahtlos in das Gesamtbild ein und verleihen den Chorpassagen eine zusätzliche Dimension. Auch hier ist die gute Textverständlichkeit und der homogene Gesamtklang der Chorkollektive zu loben.
Das Orchesterspiel der Essener Philharmoniker ist in dieser Aufnahme absolut herausragend. Die Musikerinnen und Musiker lassen die musikalischen Farben und Emotionen von Mahlers Komposition aufleben. Von den leisen, zarten Passagen bis hin zu den dramatischen, kraftvollen Momenten des Werks sind sie in der Lage, die Spannung und Intensität zu bewahren und dem Hörer eine mitreißende Erfahrung zu bieten. Die Klangqualität der Aufnahme ist exzellent und verleiht den verschiedenen Instrumentengruppen des Orchesters den Raum, den sie benötigen, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Die vorliegende Einspielung der Essener Philharmoniker mit Tomáš Netopil am Pult ist eine gelungene Interpretation, die die Erhabenheit und Vielfalt dieses Werks gelungen zum Ausdruck bringt. Das überaus packende Orchesterspiel, das aufmerksame Dirigat und die herausragenden Orchestersolisten und Chöre machen diese Aufnahme zu einem musikalischen Erlebnis, das Mahlers Vision einer Spiegelung der ganzen Welt gerecht wird. Vor allem ist diese Einspielung ein beeindruckendes Zeugnis für die vorzügliche orchestrale Qualität der Essener Philharmoniker. Hörenswert!
Dirk Schauß, 15. Juni 2023
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 3 d-moll
Aalto Kinderchor
Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Damen des Philharmonischen Chores Essen
Bettina Ranch, Alt
Tomáš Netopil, Leitung
Oehms, OC 1718
28,65 Euro im Plattenversandhandel
20 Euro in den Essener Vorverkaufsstellen oder an der Kasse