CD: „Siegmund von Hausegger“, Das vollständige symphonische Werk

1872 wurde der Grazer Siegmund von Hausegger geboren. Wohl behütet und intensiv gefördert wuchs er auf und wurde von seinem fanatischen Wagner begeisterten Vater entsprechend erzogen. Wagner sollte zeitlebens einen zentralen Einfluss auf das Leben des heranwachsenden Siegmunds nehmen. Hausegger studierte in Graz Literatur, Philosophie, Geschichte und Kunstwissenschaft. Seine musikalische Bildung absolvierte er ebenfalls in seiner Geburtsstadt. Schon früh machte sich Hausegger einen Namen als herausragender Dirigent, insbesondere bei Bruckner und Wagner. Zu seinen späteren bekanntesten Schülern zählte u.a. Eugen Jochum. Als Komponist sah er sich in engster Gefolgschaft zu Bruckner und Wagner. Seine beiden Opern blieb der Erfolg verwehrt. Daher widmete sich Hausegger dann vor allem der Tondichtung und der programmatischen Sinfonik. Das Tonmalerischere fand in seinem Wirken zentralen Ausdruck in seiner „Natursinfonie“, die sich vom narrativen Ansatz mit der „Alpensinfonie“ vergleichen lässt.

Beim Label cpo ist nun erstmals eine Gesamtausgabe aller symphonischen Werke veröffentlicht worden. Mit großer Pracht und Erhabenheit spürt von Hausegger in der „Natursinfonie“ mit der ihm eigenen philosophischen Suche den großen Wahrheiten des Lebens nach. Auf den Hörer strömt überreiche, nie bombastische Spätromantik ein. Das Orchester ist üppig besetzt, mit Orgel und großem finalen Chor. Wer dächte dabei nicht an Mahler? Es sind viele Farben anderer Meister zu erleben, auch Tschaikowsky oder die Oranmentik von Zemlinsky lassen sich heraushören. Auf wessen Spuren wandelte von Hausegger? Nun, dieses Werk ist kein epigonales Konstrukt. Hausegger hat einen eigenen kompositorischen Klang. Ein besonderer Ruhepunkt ist der von Streichern geprägte zweite Satz. Wie danach von Hausegger alle Kräfte mobilisiert und zu einem überwältigenden Finale mit dem Chor führt, ist atemberaubend. Der stimmenstarke WDR Rundfunkchor und das wunderbar volltönende WDR Sinfonieorchester werden von Dirigent Ari Rasilainen mit beeindruckender Werkkenntnis und klarer Souveränität geleitet.

Die zweite CD beginnt mit dem Variationswerk „Aufklänge – Variationen für Orchester über ein Kinderlied“. Aus einem Thema und acht Variationen besteht es. Nach den gewaltigen Klangballungen seiner „Natursinfonie“ gibt es hier viel Geheimnisvolles in vielen leisen Schattierungen. Die Musik ist abwechslungsreich und eröffnet vielerlei Assoziationsmomente. Die „Dionysischen Fantasie“ entfesselt bei von Hausegger einen gigantischen Orchesterklang, durchaus auch bombastisch, aber schlussendlich überzeugend in den Proportionen. In der Tondichtung „Wieland der Schmied“ wird der Kantabilität deutlich mehr Raum gegeben, was sich auch in dem besonderen Solo der Violine zeigt. Am Pult der wunderbar aufspielenden Bamberger Symphoniker steht der Niederländer Antony Hermus. Er zeigt ein gutes Einfühlungsvermögen in diese komplexe Musik. Hermus arbeitet mit Klarheit die Kontraste und Höhepunkte heraus, sodass für die Zuhörer ein spannender Höreindruck gewährleistet ist. Die stilistische Bandbreite der Bamberger Symphoniker ist immens und es zeigt sich einmal mehr, wie wohl der Klangkörper sich in Werken der Spätromantik fühlt.

„Barbarossa“, eine sinfonische Dichtung, war zu Lebzeiten Hauseggers besonders erfolgreich. Die musikalische Erzählung ist in drei Sätze untergliedert: I: Die Not des Volkes, II: Der Zauberberg und III: Erwachen. Viel Bildmaterial für die Fantasie des Zuhörers und offenkundig auch für Siegmund von Hausegger, der sich zuweilen in seiner eigenen Komposition womöglich etwas verloren hat. Manche Themen mäandern recht ausführlich umher und würden geraffter, pointierter wirken. Es handelt sich bei „Barbarossa“ um ein Werk aus der frühen Schaffensperiode, was so manche Unvollkommenheit und deutlichen Überpathos erklären mag. Dennoch ist auch hier festzuhalten, dieses musikalische Geschehen ist kurzweilig und fesselnd.

Abgeschlossen wird die dritte CD mit „Drei Hymnen an die Nacht“ für Gesang und Orchester, die auf Gedichte von Gottfried Keller basieren. Diese Einspielung ist sicherlich als Höhepunkt der dritten CD einzustufen. Dies liegt maßgeblich an dem hinreißenden Vortrag durch Bariton Hans Christoph Begemann. Sein Gesang gibt den Worten Kellers großen Sinngehalt, welcher den Zuhörer vor allem durch Begemanns vorzügliche Textverständlichkeit erreicht. Bei nobler Tongebung gestaltet Begemann sehr expressiv, mit herrlichem Legato und voll tönendem Gesang die drei Hymnen betont individuell. Mit dieser Darbietung verweist er so manchen „Star-Sänger“ der heutigen Zeit auf hinteren Plätze. Begleitet wird er dabei sensibel und vorbildlich durch das aufmerksame Norrköping Symphony Orchestra unter der Leitung von Antony Hermus. Das schwedische Orchester gibt zuvor bei den schwierigen Anforderungen der „Barbarossa“ Tondichtung alles und wird dabei bis an die Grenze gefordert. Insgesamt kann es mit seinem selbstsicheren Vortrag und seinem hörbaren Engagement gelegentliche Limitierungen überspielen.

Das Beiheft informiert bestens über das Leben und die Werke des Grazer Komponisten. Auch die Klangqualität ist bei allen drei CDs vorbildlich geraten. Dieser Veröffentlichung ist musikhistorisch so wichtig, weil sie somit auch künftigen Generationen ermöglicht, diese besondere Musik in gelungenen Interpretationen kennenzulernen.

Dirk Schauß, 16. April 2023


cpo 555 606-2