Joachim Raff, geboren im Jahr 1822, war ein Komponist von bemerkenswerter Vielseitigkeit und Kreativität. Sein umfangreiches Werk umfasst nicht weniger als elf Sinfonien sowie eine beeindruckende Sammlung von Klavierstücken, Kammermusikwerken, Liedern und sogar Opern. Trotz seiner breiten musikalischen Palette und Produktivität ist Raff heute eher ein Geheimtipp in der klassischen Musikwelt. Umso erfreulicher ist es, dass Naxos sich der Wiederveröffentlichung seiner Sinfonie Nr. 5 „Lenore“ angenommen hat, ein Werk, das Raffs Talent für die Komposition programmatischer Sinfonien eindrucksvoll zur Schau stellt.
Raff lebte in verschiedenen europäischen Städten, darunter Hamburg, Wien, Weimar und schließlich Frankfurt, wo er 1882 verstarb. Während seiner Zeit als Komponist erlangte er einige Berühmtheit, jedoch geriet seine Musik nach seinem Tod weitgehend in Vergessenheit. Die Wiederveröffentlichung seiner Werke durch Labels wie Naxos ermöglicht es, sein beeindruckendes Schaffen neu zu entdecken.
Die Sinfonie Nr. 5 „Lenore“ von Joachim Raff ist ein faszinierendes Beispiel für seine Fähigkeit, musikalische Erzählungen zu schaffen. Das Werk basiert auf Gottfried August Burgers literarischem Werk „Lenore“ und umfasst drei Sätze, die den Themen „Liebesglück“, „Trennung“ und „Wiedervereinigung im Tod“ entsprechen.
Der erste Satz, der den geliebten Wilhelm, einen Soldaten, darstellt, beeindruckt durch seine lebhafte und ansteckende Ausgelassenheit. Unter der sensiblen Leitung des Dirigenten Urs Schneider und mit dem hoch engagierten Orchester der slowakischen Staatsphilharmonie aus Košice wird dieses musikalische Porträt von Wilhelm mit Durchsetzungsvermögen, Männlichkeit und Selbstvertrauen dargestellt. Schneider versteht es, den Charakter des Satzes mit Stilsicherheit und Einfühlungsvermögen zu präsentieren.
Im zweiten Satz wird die Liebe zwischen Lenore und Wilhelm auf herzzerreißende Weise dargestellt. Hier zeigen sich Raffs meisterhafte Fähigkeiten in der Instrumentation, insbesondere im berührenden Zusammenspiel der Violin- und Cellogruppen. Schneider und das Orchester erwecken diese leidenschaftliche Liebesgeschichte zum Leben und Verleihen ihr eine eindringliche Emotionalität.
Der dritte Satz, ein schwungvoller und energischer Marsch, stellt Wilhelm dar, der sich auf den Aufmarsch in die Schlacht vorbereitet. Die musikalische Energie und Spannung werden unter Schneiders Leitung eindrucksvoll ausgestaltet. Das Orchester zeigt sich hier von seiner dynamischsten Seite und überzeugt mit Präzision und Leidenschaft.
Das Finale der Sinfonie offenbart Lenores Trauer, als ihr bewusst wird, dass Wilhelm nicht zurückkehren wird. Raff schafft hier eine atmosphärische und gespenstische Stimmung, die unter Schneiders Dirigat eindringlich zur Geltung kommt. Man kann förmlich spüren, wie der Geist Lenore zu einem tragischen Nachtritt zu Pferd verführt. Die musikalische Darstellung ist hier besonders hervorragend.
Die letzte Musik des Werkes, eine wunderschöne Hymne, erinnert ein wenig an Tschaikowskys Manfred-Sinfonie. Hier erreicht die Interpretation von Schneider und seinem Orchester ihren Höhepunkt, und es entsteht das Gefühl, dass die beiden Liebenden, wenn auch nur im Tod, wieder zueinander finden. Urs Schneider und die slowakische Staatsphilharmonie aus Košice liefern eine sensible und ansprechend projizierte Lesart, die von einem weichen und ausgewogenen aufgenommenen Klang bestimmt ist. Schneiders Stilsicherheit und sein Einfühlungsvermögen in die musikalische Erzählung von Raff sind fabelhaft. Das Orchester zeigt sich engagiert und geht mit Präzision auf die Anforderungen der Musik ein. Die dynamischen Kontraste werden effektvoll ausgestaltet, ebenso wie die sanfteren und klareren Orchesterstrukturen.
Die Ouvertüre „Ein feste Burg ist unser Gott“ ist ein bemerkenswertes Werk, das in vielerlei Hinsicht Raffs künstlerische Tiefe und sein Können als Komponist unterstreicht. Das Werk ist musikalisch eng mit Martin Luthers Hymne „Ein feste Burg ist unser Gott“ verbunden, einem zentralen Werk der Reformation. Raffs Interpretation dieser Hymne in orchestraler Form ist eine Hommage an die Bedeutung und die historische Tragweite dieser Hymne.
Musikwissenschaftlich betrachtet, ist Raffs Ouvertüre ein hervorragendes Beispiel für seine Fähigkeit, traditionelle Formen mit innovativen Ideen zu verbinden. Die Ouvertüre zeigt Raffs gelungene Verwendung von Themenentwicklung und Orchestrierung. Seine Fähigkeit, das musikalische Erbe der Reformation in eine orchestrale Sprache zu übersetzen, zeugt von seinem tiefen Verständnis für die historische und kulturelle Bedeutung des Werks.
Der Vortrag der Ausführenden auf dieser CD ist von erfreulicher Qualität. Unter der sensiblen und kenntnisreichen Leitung von Urs Schneider wird die Ouvertüre „Ein feste Burg ist unser Gott“ mit Respekt und Hingabe dargeboten. Schneider versteht es, die musikalische Struktur und die emotionale Tiefe des Werks gekonnt herauszuarbeiten. Das Orchester der slowakischen Staatsphilharmonie aus Košice zeigt sich in dieser Aufführung von seiner besten Seite. Dem Orchester gelingt es ansprechend, die tiefe spirituelle Bedeutung der Ouvertüre zu vermitteln.
Diese Wiederveröffentlichung ist nicht nur eine Hommage an einen oft übersehenen Komponisten, sondern auch ein Zeugnis für das Engagement von Naxos, seltene und bedeutende Werke der klassischen Musik zu präsentieren. Liebhaber klassischer Musik werden von dieser CD begeistert sein, und sie sollte in keiner Sammlung fehlen. Die Aufnahmequalität auf dieser CD hat den Orchesterklang und weiträumig eingefangen, was die Hörer in die musikalische Welt von Raff eintauchen lässt.
Dirk Schauß, 22. September 2023
Joachim Raff
Sinfonie Nr. 5
Ouvertüre „Ein feste Burg ist unser Gott“
Slowakische Staatsphilharmonie Košice
Urs Schneider, Leitung
Naxos 8.555541