DVD: „Rappresentatione di Anima et di Corpo“, Emilio de’ Cavalieri

Live vom Theater an der Wien kommt ein Mitschnitt von Emilio de‘ Cavalieris Oper Rappresentatione di Anima et di Corpo. Mitgeschnitten wurde eine Aufführung vom September 2021. Hier haben wir es, das sei vorweggenommen, mit einer beachtlichen Angelegenheit zu tun. Die Wiener Aufführung stellte vor zwei Jahren einen echten Coup de théatre dar, der weit über die Grenzen Österreichs hinweg Aufsehen erregte. Es war die erste Neuproduktion der Rappresentatione seit langem. Jahrhundertelang war das Werk in der Versenkung verschwunden, bis sich schließlich Ende der 1960er Jahre Bernhard Paumgartner seiner annahm und es auf den Spielplan der Salzburger Festspiele setzte. Nach dem Tod seines Wiederentdeckers 1971 schwand leider das Interesse an dieser Oper schnell. Die letzte Vorstellung fand im Jahre 1973 statt. Und wieder wurde es für fast fünfzig Jahre still um das Werk, bis es vor einigen Jahren die Aufmerksamkeit des damaligen Intendanten des Theaters an der Wien Roland Geyer erregte. Die von ihm initiierte Neuinszenierung des Stückes war der Höhepunkt der Spielzeit 2021/22. Und es ist sehr verdienstvoll von dem Label Naxos, diese Rarität nun auf DVD herausgebracht zu haben.

Dieses Werk Cavalieris entstand auf dem Höhepunkt der Gegenreformation. Uraufgeführt wurde es im Jahre 1600. Das Libretto verfasste Agostino Manni, der sich im Umkreis der Kongregation des später heilig gesprochenen Filippo Neri bewegte. Es wird viel diskutiert, ob die Rappresentatione eine Oper oder ein Oratorium ist. Tatsache ist, dass sie in einer katholischen Kirche aus der Taufe gehoben wurde. Insoweit kann man das Stück als eine Kirchenoper bezeichnen. Da sie acht Monate vor Peris Oper Euridice und sieben Jahre vor Monteverdis Orfeo herauskam, kann man sie ruhig als erste Oper bezeichnen. Zu Recht wird Cavalieri als Erfinder dieser neuen Kunstform, die Text und Musik in einer dramatischen Form zusammenbrachte (vgl. Booklet) verehrt. Dieses erste Stück Musiktheater ist in hohem Maße repertoiretauglich und hätte einen größeren Bekanntheitsgrad verdient. Die Partitur hat ihre Stärken. Erwähnenswert ist, dass der Klangteppich der Rappresentatione von der Instrumentation her an die Werke Monteverdis erinnert. Da gibt es einige Ähnlichkeiten, obwohl die Partituren von Monteverdi orchestral etwas fülliger gehalten sind. Das Orchester der Rappresentatione ist eher minimal besetzt, weist aber eine hohe Emotionalität auf. Die Anweisungen Cavalieris in der Partitur sind ebenfalls etwas spärlich, werden hier aber von Giovanni Antonini und dem trefflich disponierten Orchester genau beachtet. Die Spannung wird vom Dirigenten und den Musikern gut gehalten und auch der gefühlsmäßige Faktor kommt nicht zu kurz. Das einmal gewählte Tempo wird konsequent durchgehalten.

Die Figuren sind größtenteils Allegorien. Lediglich bei Anima (Seele) und Corpo (Körper) handelt es sich um echte Menschen, die mehrmals von Mondo (Welt), Piacere (Vergnügen) und Vita modana (Weltliches Leben) in Versuchung geführt werden, den Reizen des irdischen Lebens nachzugeben. Corpo ist diesen Verlockungen gegenüber durchaus aufgeschlossen, während Anima standhaft bleibt und nach höheren Werten strebt. Hilfe erhalten sie von dem Schutzengel Angelo custode, der sie schließlich von den Segnungen des Himmels überzeugen kann und sie dazu bringt, den Angeboten der Hölle eine Absage zu erteilen.

Gelungen ist die moderne Inszenierung von Robert Carsen, der zusammen mit Luis Carvalho ebenfalls für das Bühnenbild verantwortlich zeichnete. Herr Carvalho schuf auch die Kostüme. Mit Blick auf den Ort der Uraufführung siedeln sie die Handlung in einem dunkel ausgeleuchteten, kargen Kirchenraum an. Den ursprünglich von Cavalieri stammenden Prolog hat Carsen neu geschrieben. In deutscher Sprache sinniert eine Anzahl modern gekleideter und mit Koffern ausgestatteter Reisender darüber, was am Leben gut und was schlecht ist. In diese Gemeinschaft passen die zeitgenössisch in Jeans auftretenden Protagonisten Anima und Corpo ausgezeichnet hinein. Sie bilden ein Paar, das aufgrund ihrer Liebe zu einer Person verschmilzt. Die anderen Personen stellen die sie umgebenden Allegorien dar, die Robert Carsen trefflich zu zeichnen versteht. So hängt Tempo (Zeit) an der Flasche. Intelletto (Verstand) liest gerne in Dantes Göttlicher Komödie, was sehr passend ist. Mondo (Welt) und Vita Mondana (Weltliches Leben) erscheinen im zweiten Akt in prächtigen goldenen Anzügen, bevor sie ihre Maske schließlich fallen lassen und sich in aller ihrer Hässlichkeit halbnackt präsentieren. Indes tragen sie Nacktkostüme, was bei der Schar von ebenfalls fast nackten, aber recht ästhetisch anzusehenden Männern und Frauen, die im dritten Akt immer wieder an Seilen vom Himmel zur Hölle, d.h. von oben nach unten, und wieder zurück gezogen werden, nicht der Fall ist. Da blinken auch mal einige echte weibliche Busen auf. Diese Szene ist der Höhepunkt der Inszenierung, die zudem eine stringente Personenregie aufweist. Langweilig wird es wahrlich nie. Die von Carsen gefundenen Bilder sind im Einklang mit den ebenfalls von ihm verantworteten Lichteffekten ausgesprochen beeindruckend. Carsens Quintessenz des Ganzen besteht darin, dass man sich nicht aus Angst vor der Hölle zu den himmlischen Werten bekennen soll, sondern aus freiem Willen. Es geht darum, seine eigene Wahrheit zu finden und nicht einer irgendwie gearteten Ignoranz zu erliegen. Das ist der Hauptpunkt von Carsens in hohem Maße gelungener Regiearbeit.

Zum größten Teil zufrieden sein kann man auch mit den gesanglichen Leistungen. Anett Fritsch ist eine wunderbar samtig und getragen, dabei warm und emotional singende Anima. In der Höhe blüht ihr gut fokussierter Sopran schön auf. Auch ihre Linienführung ist sehr ansprechend. Neben ihr bewährt sich der über einen voll und rund klingenden, hellen Bariton verfügende Daniel Schmutzhard in der Rolle des Corpo. Sein Stimmfachkollege Georg Nigl gefällt mit ebenmäßigem Stimmklang in den Partien von Tempo, Mondo und Anima dannata (Verdammte Seele). Mit einem angenehmen hellen Bass-Bariton stattet Florian Boesch den Consiglio (Guten Rat) aus. Besser als man es von seiner Stimmgattung sonst gewohnt ist, schneidet der prägnant intonierende Countertenor Carlo Vistoli in der Partie des Angelo custode ab. Ein profunder Altstimmenklang zeichnet die Piacere von Margherita Maria Sala aus. Ihre beiden Begleiter geben nicht sehr auffällig Michael Marhold und Matus Simko. Nicht zu überzeugen vermag Cyril Auvity, der den Intelletto ausgesprochen maskig und gänzlich ohne die erforderliche Körperstütze seines Tenors singt. Giuseppina Bridellis solide Vita modana und Anima beata (Glückliche Seele) runden das homogene Ensemble ab. Einen guten Eindruck hinterlässt der von Erwin Ortner einstudierte Arnold Schoenberg Chor.

Fazit: Eine echte Rarität, deren Anschaffung jedem Opernfreund dringendst empfohlen wird!

Ludwig Steinbach, 8. März 2023


DVD: „Rappresentatione di Anima et di Corpo“

Emilio de‘ Cavalieri

Theater an der Wien 2021

Inszenierung: Robert Carsen

NAXOS 2023

Best.Nr.: 2.110750

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