DVDs: „19 Ringe im Vergleich“, Teil 4/4


Nach dem dritten Teil hier nun der abschließende vierte Teil des großen Ring-Vergleichs.


14.) Barcelona, Teatro de Liceu: de Billy / Kupfer, 2003/04, Opus Arte

Hier für Kupfer eine Goldmedaille, für die Musik aber nur schwaches Kupfer.

Inzwischen ist es ja fast die Regel, dass Inszenierungen gewinnbringend an mehrere Bühnen verkauft werden. Das konnte Harry Kupfer auch in den neunziger Jahren schon. Kaum war der Ring nämlich in Bayreuth beendet, ging‘s an der Staatsoper in Berlin weiter und dann gleich in Barcelona. Gerechterweise muss gesagt werden: jedes Mal mit etwas veränderten Aussagen. Und dieses Mal im Gegensatz zu Bayreuth inhaltlich korrekter: denn wenn Wotan jetzt in der GD seinen Speer in den Abgrund wirft, ist er schon zerbrochenen, wie es sich ja auch gehört.

Die Inszenierung selbst wurde von Mal zu Mal immer düsterer, aber auch prägnanter. Auch das Bühnenbild ist anders, obwohl wieder von Hans Schavernoch genial gestaltet, und es ist bestimmt nicht weniger großartig als in Bayreuth. Natürlich gab‘s auch ein anderes Ensemble, das aber leider nicht ebenso großartig war wie damals. Und leider stand auch kein Barenboim in Barcelona am Pult. Aber der Reihe nach: Das neue Konzept zeigt den Niedergang der Natur. Dargestellt als Zerstörung der Weltesche durch die Technik. So ist schon im Rheingold ein Riesenbaum der Schauplatz, die Rheintöchter planschen um seine Wurzeln herum, die Götter wohnen in der Krone. In der Walküre steht die Esche natürlich in Hundings Hütte, aber schon schwer beschädigt. Auf einen der abgebrochenen Äste liegt Brünnhilde, wenn sie im 3. Akt in ihren tiefen Schlaf versetzt wird. Im Siegfried dann ist der arme Baum nur noch als Ruine da, von technischem Gerät total überwuchert. Während in Bayreuth eine Straße als Hauptspielort die Waagrechte betonte, ist hier also die Esche als senkrechte Achse bestimmend. Ihr Zusammenbruch in der Götterdämmerung zeigt dann nicht nur die kaputte Natur, sondern auch den Niedergang der Menschheit. Am Ende stehen zwei Kinder auf der Bühne. Aber nicht, wie damals in Bayreuth, als Zeichen der Hoffnung, sondern als Ausdruck größter Hoffnungslosigkeit. Verzweifelt klammern sie sich aneinander, neben ihnen drohend Alberich, der einzige andere Überlebende. Das verheißt nichts Gutes für die Zukunft. Die düstere Stimmung ist, optisch meist in Blautönen, bewundernswert bedrückend eingefangen. Für mich eine der gelungensten Inszenierungen des Rings überhaupt. Leider gilt das aber nicht für die musikalische Umsetzung. Bertrand de Billy, als Mozartdirigent hochgeschätzt, scheint mit der Wagner-Partitur nicht so viel anfangen zu können. Ist es nur das Neuland oder liegt ihm diese Musik nicht so? Ich vermisse nicht nur die persönliche Note, sondern auch den Schwung oder „Drive“, um es neudeutsch zu sagen. Ich glaube, deshalb kommen auch die Sänger nicht so gut rüber, wie ich es sonst von ihnen gewöhnt war und natürlich auch hier erwartet habe. Die meisten habe ich schon mal live gehört und damals recht gut gefunden. Was aber ist nun hier los? Liegt es doch am Dirigenten? Falk Struckmann als Göttervater und Gunther war anderswo stimmlich souveräner und darstellerisch fesselnder als hier, in der Tiefe kaum hörbar. Der sonst so eindrucksvolle John Treleaven als Siegfried gestaltete auch hier sehr gut, hielt auch bewundernswert durch, aber ich verstand kaum ein Wort von ihm. Linda Watson sang zwar eine recht gute Sieglinde, ist aber wie ihre Großmutter hergerichtet. Auch dem Siegmund Richard Berkeley-Steeles macht die Regie das Leben schwer. So wird ihm die Todverkündigung total vermasselt: schmiert doch Brünnhilde, während er singt, sein Gesicht mit weißem Kleister zu. Was soll das nun wieder? Dass er dabei noch gute Töne zu produzieren vermag, ist fast schon wieder ein Wunder der Selbstbeherrschung und Gesangstechnik. Deborah Polaski war als Brünnhilde wirklich überzeugend, nervte mich aber mit ihrem durchdringenden Tremolo in der Höhe. Lioba Brauns Fricka dagegen fand ich eindrucksvoll, und zwar sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Und natürlich auch der großartige, wohl total unverwüstliche und als Hagen in fast allen Inszenierungen allgegenwärtige Matti Salminen. Kwanchul Youn hat eine große Stimme als Fasolt und singt außerdem auch noch sehr einfühlsam. Ähnlich bedrohlich als Hunding und Siegfried-Fafner ist der gewaltige Eric Halfvarson. Günter von Kannen und Graham Clark als Alberich und Loge sind von Bayreuth übernommen, charakterisieren sehr gut, schienen mir aber dort noch besser gewesen zu sein.

Fazit: Eine sehr dunkle, aber werkgerechte Inszenierungen mit höchst beeindruckender, finsterer Bühnengestaltung, die auch die Zerstörung der Natur aktuell einbezieht. Musikalisch war ich nicht so zufrieden. Da gibt es Besseres!

15.) Buenos Aires, Teatro Colon, Paternostro / Carrasco, 2013, C Major

Der kastrierte Wagner oder Richards Fluch“

Man stelle sich mal vor, bei Beethovens „Neunter“ würde einfach der 4. Satz wegelassen, weil sie ja sowieso schon so lang ist. Das Geschrei, das da losginge, und ganz berechtigt, kann ich mir vorstellen. Bei Wagners Hauptwerk dagegen ließ man im „Colon“ in Buenos Aires einfach die Hälfte weg, und die Feuilletons fanden das „sehr interessant“. Und Wagners Urenkelin machte dabei anfangs sogar mit! Dass sie dann absprang, geschah wohl wegen der Probleme bei den Proben und nicht, weil ihr vielleicht doch noch Skrupel gekommen wären. Man glaubt es kaum!

In diesem Rumpfring geschieht nun tatsächlich Sensationelles: Denn die eingesprungene Regisseurin, Valentina Carrasco, bringt in den verbliebenen ca. 6 Stunden doch glatt noch mehr Regie-Unfug unter als mancher ihrer Kollegen in den 17 Stunden eines vollständigen Rings. Respekt! Das beginnt schon mit den Rheintöchtern, die Kartoffeln (?) oder so was schälen. Offensichtlich glaubt da jemand im Regieteam, dass diese profane Tätigkeit Nachtalben in sexuelle Raserei versetze. Das Rheingold sind dann Kinder. Zunächst naheliegend: Kinder als wertvollstes Gut für die Zukunft. Aber spätestens, wenn diese Kinder den lüsternen Riesen als Ersatzsexobjekte für die arme Freia angeboten werden, hätten doch sämtliche Alarmglocken laut warnend erklingen müssen! Aber nicht nur hier: Die Kinder sind von der argentinischen Militärdiktatur entführt worden. Was hat das mit Wagner zu tun? So wird der Ring hier verramscht zu einer Art Geschichtsstunde über die Vergangenheit Argentiniens. Wotan und Fricka sind wohl die Perons, die Walküren sind Falkland-Soldaten, der Rhein mutiert zu Fitzcarraldos Amazonas und so geht der Ring-Missbrauch nach vollzogener Amputation lustig weiter. Wichtige Figuren fehlen total, so Donner, Erda und Waltraute. Eine Goldmedaille für Werkzerstörung wäre da schon verdient! Musikalisch fand ich einiges doch ganz gut gelungen, was sicher dem erfahrenen Dirigenten Roberto Paternostro zu verdanken war und vor allem den tapferen Sängern, die den Mut nicht verloren hatten, obwohl ja angeblich sogar auch noch ein Notenchaos geherrscht haben soll. Gefallen hat mir die jugendliche Sieglinde von Marion Amman, die mir auch schon im Lübecker Ring auffiel, natürlich die alles überragende Linda Watson als Brünnhilde. Eine genauere Besprechung der Sänger wäre aber bei den verstümmelten Szenen und dem unsicheren Begleit-Orchester nicht fair. Eine interessante Erfahrung aber ist, dass der amputierte Ring weniger spannend ist als das doppelt so lange Original! Der Zauberer Wagner wusste schon, was er tat. Dass heutzutage immer wieder überhebliche Leute glauben, klüger zu sein als ein einmaliges Jahrhundertgenie! Sein Fluch möge sie treffen!

Richtig spannend ist dagegen die Doku über die Entstehungsprobleme: der Dirigent am Rande des Zusammenbruchs, Musiker proben den Aufstand, genervte Sänger, die Noten stimmen nicht, Katharina reist ab und kommt wieder mit juristischem Begleitschutz, erstaunlich dass überhaupt etwas zustande gekommen ist. Das hat besten Unterhaltungswert: https://www.dw.com/de/der-col%C3%B3n-ring/s-31784

Fazit: Gäbe es eine „Olympiade der Opernzertrümmerer“, würde für diese Leistung zweifellos eine Goldmedaille verliehen. Ist es doch der bisher einzige Fall (?), in dem auch in die Musik eingegriffen wurde.

16.) Mannheim: Ettinger / Freyer, 2010 ARThaus, jetzt: Monarda

Achim Freyers Ring als rätselhaftes Panoptikum, nur die Musik ist von Wagner.

Der 1. Akt der Walküre beginnt so: Zu der bekannten, jagend schnellen, atemlosen Musik dreht sich in ganz, ganz langsamer Zeitlupe eine Scheibe. Auf der stehen einige reglose Figuren mit verrenkt ausgestreckten Armen. Zwei freundliche Hunde laufen langsam über die Bühne, einiges Gerät fliegt durch die Luft. Plötzlich singt eine der total weiß und schwarz zugeschminkten Figuren, ohne sich zu bewegen „Wes Herd dies auch sei, hier muss ich rasten!“. Eine andere, ähnlich unkenntlich verunstaltet, singt ebenso reglos: „Ein fremder Mann, ihn muss ich fragen!“. Beim wiederholten Anschauen rate ich, dass die anderen zwei Figuren Wotan (mit total schwarzem Kürbiskopf und Gesicht) und Fricka sein könnten. Das alles spielt sich völlig ohne Bezug auf Handlung und Musik geradezu autistisch in einer anderen Welt ab. So geht das zu und bescherte mir die langweiligste und ärgerlichste Walküre meines Lebens. Achim Freyer hat sich hier, wie eigentlich immer, wieder sein eigenes Panoptikum zusammengebastelt. Mit aberwitzigen Ideen und irren Assoziationen, die kaum nachzuvollziehen sind, schon gleich gar nicht mit Nachdenken. Manchmal erkenne ich wenigstens einen Sinn, so wenn Siegfried als grell geschminkter Clown, als bunte Version des Pierrot, todernst leidet. Oder als er, von Hagens Speer getroffen, an einer Wand zusammensinkt, mit lachend geschminktem Mund voll Grauen fassungslos ins Leere starrt. Das ist fast ergreifender als manche herkömmlich ausgespielte Sterbeszene und geht richtig ans Herz! Oder der staunende Siegfried vor der ins Unermessliche gewachsenen Brünnhilde, die er nur mit einem Treppengestell erreicht. Das sind schon poetische Bilder von großem Reiz! Aber was soll es, wenn der fürchterliche Hagen mit kurzen Dackelbeinen daher watschelt? Ich nehme an, weil er ja der Sohn des Alberichzwerges ist, oder? Aber warum erscheint die Fricka mit diesem schwarzen Baguette (?) auf dem Kopf und die Walküren mit albernem Kopfschmuck, der aus Nähmaschinen, großen Scheren und Küchengeräten besteht! Und was sollen die riesigen, kindlich gezeichneten Köpfe der Gibichungen? Wie singt man wohl unter diesen gesichtsdeckenden Masken? Ihr ausdrucksloses Gestarre langweilt vor allem während halbstündiger Monologe, keinerlei Mimik oder Gefühlsäußerung! Da fehlt jede emotionale Nähe zu den dargestellten Figuren und leider auch zu den Sängern, denn jede Unmittelbarkeit geht so verloren. Vielleicht kann ich ja auch deshalb über die Sänger nicht viel sagen: denn jede persönliche Note geht unter den starren Masken und in der rätselhaften Bilderflut verloren. Auch Ansätze zu einer speziellen Personenregie entdeckte ich nirgends. Da schlägt Freyers Manie geradezu tödlich zurück. So ist mir, trotz mehrfachen Hörens, kaum eine Sängerleistung in ganz genauer Erinnerung. Die Augen rauben halt den Ohren ihre Chance. Siegfried ist der mir aus Meiningen bekannte Jürgen Müller, der tapfer mit der Riesenrolle kämpft und auf Grund seiner professionellen Gesangskunst dann doch Sieger bleibt, obwohl die nicht gerade große Stimme im großen Theater schon ihre Mühe hat. Keine Wünsche ließ er aber als Loge offen. Judith Nemeth ist mir als Brünnhilde etwas zu höhenschrill. Der Alberich von Karsten Mewes gefiel mir dagegen voll und ganz. Ein recht lyrischer Wotan/Wanderer ist Thomas Jesatko. Zu Dan Ettingers etwas lautem und adynamischem Orchester passte er aber nicht so gut, was nicht gegen den Sänger spricht. Der ehemalige Würzburger Haustenor Endrik Wottrich singt Siegmund, rau und grob, ohne gesangliche Feinheiten. Freilich: sein total ausdruckslos geschminktes Gesicht macht jede ohnehin Gefühlsregung unsichtbar.

Gefallen hat mir allerdings, dass der Ring hier einmal gerade nicht politisch erzieherisch gesehen wird, sondern völlig zeitlos und manchmal mit einem Schuss aberwitzigen Humors. Aber kann man den Ring auf ein verrätseltes Spektakel reduzieren, das zu enträtseln meist erfolglos ist und nur von der Musik ablenkt?

Fazit: Ein Panoptikum ebenso phantasievoller wie unverständlicher Assoziationen läuft geradezu autistisch in einer Parallelwelt meist beziehungslos neben der Oper ab. Wen das nicht stört, mag zufrieden sein. Wagners Ring kann es nichts anhaben.

Freyer zeigte diesen Ring schon in Los Angeles, dann in Mannheim und seit 2018 in Seoul. Aber über das Rheingold sind sie aber dort bislang nicht herausgekommen. Ich meine, es ist ein Glück für Südkorea! Denn für das mit Wagner noch unerfahrene Südostasien hätte das einen allzu irreführenden Einstand gegeben. Und so gesehen ist es dann auch ein Glück für Wagner.

Interessant ist die DVD zur Entstehung dieser Inszenierung. Zeigt sie doch den Regisseur als liebenswürdigen Feuerkopf (Bestellnummer: 4058407092889).

17.) Deutsche Oper Berlin: Runnicles / Herheim, 2022, Naxos

Eine Glosse: Ein Werbefilm für Feinrippwäsche!

Neulich beim Kinderfest war es etwas langweilig, da entdeckten die Kids eine DVD mit „Siegfried“ und weil sie was von einem Drachen gehört hatten, wollten sie es unbedingt sehen. Nun war es aber der Ring von Herheim, nicht der von Wagner. Dass das etwas anderes ist, wussten die Kids ja nicht. Denn da kam kein Drache vor, sondern ein dicker Mann, der dauernd in Feinrippunterhosen herumlief. Das sorgte allein schon für gute Stimmung. Der brauchte nur auf die Bühne zu kommen und die Kids schüttelten sich schon aus vor Lachen. Da fiel mir ein, dass in primitiven Klamauk-Komödien ja auch bloß einer in Unterhosen über die Bühne laufen muss und schon herrscht Hochstimmung. Ob sich der Herheim davon hat inspirieren lassen? Nun ist der Ring ja eigentlich keine Klamauk-Klamotte. Aber vielleicht weiß der Herheim das nicht. Das hätte ihm vielleicht mal jemand sagen müssen. Von allein ist er wohl nicht drauf gekommen! Und so ging es lustig weiter: Immer mehr Leute kamen in Feinrippwäsche auf die Bühne, was bei den unbedarften Kids jedes Mal wieder für neue Lachsalven sorgte. Besonders belacht wurde, dass sie nicht durch eine Türe herein kamen, die Dicken in den Unterhosen, nein sie kamen aus einem Flügel gekrochen. War das ein Vergnügen! Auch ein wunderbarer Gag für die Kinder, und sie zählten lautstark mit, wie viele in so ein Instrument passten. Bloß der Drachenkampf, na ja, das war dann eine riesige Enttäuschung! Schlug doch der dicke Mann im Feinripp dabei nur mit seinem Schwert auf Blasinstrumente ein. Kein Drache weit und breit! Das war richtig blöd, fanden sie, lachten aber dann doch wieder, weil die ganze Bühne voller dicker Leute in Unterhosen war. Nur die Musik, meinten die Kids, die passte so gar nicht zum lustigen Stück. Die war viel zu ernst und das störte sie sehr. Da waren meine Kids doch viel sensibler als der Regisseur, denn den hat das wohl nicht gestört. Sonst hätte er es ja anders gemacht. Ganz unfassbar, dass er 2012 in Bayreuth einen so großartigen Parsifal geschaffen hat! Damals war der alte Wagner im Komponistenhimmel richtig begeistert. Jetzt weint er sicher bitterlich darüber, was ihm derselbe Wunderregisseur nun angetan hat.

Übrigens: Gerechterweise muss ich einräumen, dass die Musik wirklich sehr gut dargeboten wurde. Die Sänger könnten kaum besser sein. Das heißt, sie singen so gut, wie man eben in Feinrippenunterhosen überhaupt singen kann. Meine Hochachtung vor allen, die das alles mitmachen mussten! Und mein Mitleid für den armen Sängerknaben, der mit seinem schönen Stimmchen als Waldvogel keine Chancen gegen Wagners Klangmassen hatte, was ja jedem von Anfang an hätte klar sein müssen.

Fazit: Die Produktion ist als Werbefilm für Feinrippunterwäsche sehr empfehlenswert. Auch als Spaßeinlage zu Kindergeburtstagen hat sie sich bewährt. Weniger geeignet, um Wagners Ring kennen zu lernen.

Anmerkung: Welch ein Glück für mich aber, dass die andere Berliner Ringkatastrophe, die von Tscherniakoff in der Staatsoper, nicht auf DVDs erschienen ist! Sonst hätte ich sie auch noch besprechen müssen und dabei mit Sicherheit ernsthaften gesundheitlichen Schaden erlitten.

18.)  New York, Met: Levine / Luisi / Lepage, 2011, DGG

Eine Maschine als Hauptdarstellerin.

„Heute hat das „damned Thing“ endlich mal geklappt“, soll der Bühnenmeister bei der x-ten Wiederholungsaufführung des Rings an der Met gestöhnt haben. Gemeint war die gigantische Bühnenmaschinerie, die „machine“. 16 Millionen Dollar soll sie gekostet haben, 45 Tonnen ist sie schwer, so schwer, dass der Bühnenboden verstärkt werden musste und so gefährlich, dass die Sänger verkrampft darauf herum kletterten, weil selbst Götter als auch Helden Angst hatten, herunterzufallen. So blieb die Schauspielerei ein wenig sehr auf der Strecke. Sicher auch, weil für eine Personenregie wohl keine Zeit mehr geblieben war. Zumindest merkte ich nicht die geringste Spur davon. Die Optik bei der Aufführung aber, die war dann schon gigantisch und oft überwältigend. Und sie ist der großräumigen Götterlandschaft und Gedankenwelt Wagners durchaus angemessen. Die aber braucht das gewaltige Werk halt, um überzeugend zu wirken. Das abstrakte Bühnenbild ist auch sehr geeignet, um die Zeitlosigkeit des Geschehens zu betonen. Die Inszenierung insgesamt fand ich allerdings im Verlauf der vier langen Abende immer öfter recht oberflächlich, und auch die Wirkung der „machine“ verpuffte allmählich. Ein amerikanischer Kritiker nannte das Ganze zutreffend „it‘s boring“. Ja, die Sache mit der Maschine von Carl Fillion langweilte auf die Dauer schon ein wenig, wie der Kritiker zu Recht meinte. Er nannte das Ergebnis auch zutreffend „Naturalismus, technologisch umgesetzt mit rein illustrativer Optik“. Einfacher ausgedrückt: Das Auge wurde halt viel mehr gefordert als das Hirn. Hier bei uns dagegen leiden viele Produktionen genau am Gegenteil! Robert Lepage abervernachlässigt die Gedankenarbeit viel zu sehr. So sehr, dass selbst kleine Spuren eines Regiekonzeptes nirgends festzustellen waren. Sogar eine persönliche interpretatorische Note fehlt. Doch eine schöne Idee wenigstens zu Beginn des Siegfried bleibt mir im Gedächtnis: Da tritt Mime nicht nur als Geburtshelfer auf, sondern spaziert mit dem kleinen Bürschchen auch durch den Wald davon.

Musikalisch ist das meiste „aufs Best bestellt“. Dafür sorgt James Levine mit leidenschaftlicher Verve und praktischer Ringerfahrung. Ab Siegfried dann Fabio Luisi, zwar ebenso kompetent, aber mit viel geringerer Emphase. Interessant ist, dass die Uraufführung 1876 in Bayreuth 14.29 Stunden dauerte. Dieses Team brauchte dagegen 1994 mehr als eine volle Stunde länger, nämlich 15.36 Stunden! Es liebt halt einen breiteren, üppigeren Stil. Bei den Sängern begeisterte mich vor allem Gerhard Siegel als hervorragend charakterisierender Mime, mit einer exzellenten singschauspielerischen Leistung. Bravo! Ich vermute, dass er sein Konzept schon mitgebracht hat, da ja eine Personenregie bei dieser Produktion nirgends auszumachen ist. Bestimmt haben das auch andere Sänger, so der großartig singende Jonas Kaufmann als intensiv spielender Siegmund. In der Olympiade der längsten Wälse-Rufe hätte er sicher die Goldmedaille verdient. Ich habe es gestoppt: ganze 12 Sekunden! So lange schaffte es der selige Wolfgang Windgassen zwar bei weitem nicht, aber an verzweifelter Intensität übertraf er alle Stimmband-Olympioniken von heute bei weitem. Seine Schwester und Braut, Eva Maria Westbroek, ist ihm an Einsatzfreudigkeit und schöner Stimme durchaus ebenbürtig. Eine echte Superleistung! Obwohl Bryn Terfel alsWotan/Wanderer schon mit seiner grandiosen Stimme beeindruckt, ist er nicht so ganz meine Idealbesetzung. Vielleicht liegt es auch an den dauernden Großaufnahmen. Da sehe ich bildschirmfüllend ein stets unrasiertes volles Gesicht, das überhaupt nicht meinen optischen Vorstellungen von einem Göttervater entspricht.Ein ganz großes Problem ist für mich Deborah Voigt als Brünnhilde. Sie scheint außer einigen Pfunden wohl auch leider einiges an stimmlicher Substanz losgeworden zu sein. Vor allem die Höhe klingt schon arg scharf. Auch hätte sie sich diese schwierige Rolle wohl erst einmal mit einem guten Regisseur erarbeiten sollen. So kommt sie mir wie die amerikanische Version einer taffen Wotanstochter vor. Meistens freundlich grinsend, im Stile von „she is a very good girl!“. Bei ihr merke ich besonders, dass hier die Personenregie total vernachlässigt wurde. Bei Wotans Abschied stehen sich dann die beiden Protagonisten recht hilflos gegenüber und jeder macht halt, was er für richtig hält. So wie dereinst in Opas, heute zu Recht, verpönter Stehoper. Geradezu blödsinnig ist noch dazu, dass die arme Brünnhilde während des ganzen Feuerzaubers kopfüber an einer Planke hängt. Jay-Hunter Morris als Siegfried hält die schwierige Rolle des Siegfried durch und geht auch optisch als junger Held, viel besser als sein Kollege bei Chereau. Lyrisch belcantistisch ist der Loge von Richard Croft. Die gestalterische Intensität eines Heinz Zednik erreicht er allerdings bei weitem nicht. Auch da fehlte wohl die Regie. Hans Peter König als erfahrener Hundig, Fafner und Hagen wies außer seiner gewaltigen Stimme nicht gerade darstellerisches Können auf. Wieder rächt sich die fehlende Personenregie. Stephanie Blythe ist eine stimmlich sehr intensiv gestaltende Fricka, aber leider optisch wegen ihrer Korpulenz doch recht gewöhnungsbedürftig. In der Götterdämmerung verblasst übrigens die Wirkung der „machine“ immer mehr. Die einzigartige Waltraud Meier bringt dann auch als Waltraute mehr packende Dramatik ins Spiel, als die ganze gigantische „machine“ in 5 Stunden zu erzeugen vermochte! Und das ganz allein! Was bezüglich der „machine“ zu beweisen war.

Fazit: Musikalisch sehr gute, aber szenisch stark maschinenlastige Aufführung, mit dennoch oft verblüffenden Raumwirkungen, doch ohne auch nur die geringste Prise einer spürbaren Personenregie.

19.) Marionettentheater Salzburg: Solti/ Maldeghem, 2013, Bel Air

Der „Ring“ zum Schmunzeln oder: Ein Humortest für Wagnerianer.

Eine liebenswerte und geistreiche Persiflage auf Wagners Riesenwerk wird hier von entzückenden Marionetten witzig aufgeführt. Die statt 17 Stunden nur 2 für die Kernhandlung brauchen. Zwei Schauspieler erzählen und kommentieren die Handlung und treten als wahrhaftige Riesen neben den nur 70 cm großen Puppen auf. So wird das Geflecht aus Helden und Göttern heiter auf den Punkt gebracht. Ganz ähnlich, wie es von mir in meinem heiteren Opernführer in Vierzeilern versucht wurde. In einer weniger verpflichtenden Umgebung als den heiligen Opernhallen werden die liebenswerten Stilbrüche mit Schmunzeln aufgenommen, hoffentlich auch von strengen Wagnerianern. Und ich gestehe gerne, dass mich manche Darstellungen hier ebenso berührt haben wie im echten Opernhaus. So zum Beispiel der Feuerzauber, so herrlich, wie ihn sich auf der Opernbühne kaum mehr ein Regisseur zu zeigen traut. Davor Wotans Abschied mit der gewaltigen Stimme Hans Hotters, immer noch unerreicht als imposant leidender Göttervater. Denn der Soundtrack ist die imponierende Aufnahme von Georg Solti. Und da hört man auch einen jugendlich strahlenden, schlank und lyrisch singenden Siegfried, wie es heute keinen mehr gibt. Und das war, man staune, der über 60 jährige Wolfgang Windgassen. Ihn hatte man geholt, da der eigentlich vorgesehene Ernst Kozub das Handtuch geworfen hatte. Zurück zu den witzigen Einfällen: So, wenn Siegmund auf einer Harley Davidson abrauscht, mit seiner Schwester und Braut auf dem Sozius. Das Ross Grane kommt übrigens auch vor und stolpert lustig hinter dem hyperaktiven Siegfried her. Zum Schießen putzig und rührend zugleich. Ach ja, die Fricka fährt pompös mit einem eleganten Auto vor, statt mit dem Widdergespann. Und Wotan sieht wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmitt aus. Na ja. Dass aber der Drache Fafner als „Jabba the Hut“ aus den Star Wars auftritt, das gibt es in Lübeck und Weimar ja tatsächlich schon auf der richtigen Opernbühne. Ich finde die Idee nicht so gut, denn wie sollte einer das Fürchten lernen können, von dem schwabbeligen Dings da? Was mir aber gefällt ist, dass sie hier so frech und witzig sind, nicht, um zu provozieren, sondern, um zu erfreuen und zu verblüffen. Denn das Ganze wird mit liebevoller Hingabe und viel freundlicher Phantasie gemacht. Ein liebenswerter Beitrag, der zeigt, dass auch ein ernstes Thema mal unterhaltsam geboten werden kann. Auf jeden Fall sind zwei heitere und oft auch berührende Stunden garantiert mit dem gigantischen Werk Wagners. Der mochte übrigens Puppentheater und konnte wohl auch über Parodien seiner Werke lachen, im Gegensatz zur strengen Cosima.

Fazit: Eine liebenswerte und witzige Variante zum Ring mit Humor und oft sogar auch mit Tiefgang. Unbedingt ansehen!

Peter Klier 28. Oktober 2023


Übersicht:

Teil 1: Weimar, Lübeck, Bayreuth 1992, Amsterdam

Teil 2: Sofia, Kopenhagen, Bayreuth 1976/80, New York 1988/90

Teil 3: Valencia, Mailand, Stuttgart, Frankfurt, München 1987

Teil 4: Barcelona, Buenos Aires, Mannheim, Deutsche Oper Berlin 2022, New York 2011, Marionettentheater Salzburg