DVDs: „19 Ringe im Vergleich“, Teil 3/4


Nach dem zweiten Teil hier nun der dritte Teil des großen Ring-Vergleichs.


9.) Valencia: La Fura dels Baus/Zubin Metha / 2010, Naxos – CMajor

Ein Techno-Ring nicht nur für Technikfreaks.

Der Flug des Wanderers über Eisgebirge zur Wala-Erda ist so beeindruckend und illustrativ, wie ich es nirgends sonst je gesehen habe. Ebenso der Abstieg nach Nibelheim durch Feuerströme und Höllenschlunde, auch der Walkürenritt, das ist Theaterzauber vom Feinsten und Großartigsten. Auch die Rheinfahrt ist eine vollendet passende Illustration von Wagners Vorstellungen mit Phantasie und ganz starken Bildern. Immer wieder strahlt und verglüht eine Erde, Regenbogen blenden in grellen Farben, Meereswogen rollen über die Bühne, und der Blick wird von Zauberwelten geblendet. Das begeistert wohl jeden, der das Mystisch-Mythische im Ring schätzt und den Bühnenzauber Wagners immer wieder vermissen musste, vermissen zugunsten der nüchtern langweiligen Sachlichkeit, wie sie heute leider üblich ist. Überaus herrlich auch der in allen Seelenfarben des gerade Geschehenden schillernde Baum im 1. Akt Walküre. Oder im 2. Akt, die im unendlichen All frei schwebenden Götter. Das sind Visionen, wie sie wohl Wagner vorgeschwebt haben könnten. Und erst jetzt gibt es endlich die nötige Bühnentechnik zur phantasievollen Erfüllung. Aber auch für mich sind es endlich wahr gewordenen Bühnenträume, wie ich sie mir seit Jahrzehnten auch in meinen Wagnerbildern voraus erdacht und gemalt hatte. Mein Glück schien mir vollkommen. Doch leider war ja nicht nur der geniale Videophantast Franc Aleu am Werk! Und so blieb meine Begeisterung nicht lange ungetrübt: Warum, so frage ich mich, verfiel man immer wieder ins plump Realistische, wenn solche überwältigende digitale Bilderwelten hergezaubert werden können? So zum Beispiel, wenn die armen Rheintöchter in engen Aquarien in echtem Wasser quälend unbeweglich eingesperrt sind oder Wotan kleinlich ein mageres echtes Kerzenfeuerchen entfachen muss, statt die ganze Bühne mit einem grandiosen digitalen Feuerzauber auszufüllen? Und welcher Stümper dachte sich diese abscheulich hässlichen Kostüme nur aus? So den entsetzlichen Plastikbusen für die arme Brünnhilde? Oder den chinesischen Bart für Wotan, der ihn zu einem germanischen Laotse macht? Die ekligen Auswüchse im Gesicht des armen Mime (soll das ein primitiver Wink mit dem Holzhammer sein, aufgepasst: der Mime, das ist ein Böser?) Hinzu kommt, dass der Rausch der Technik bald zu uninspiriertem Einsatz verführt: Welcher unmusische Technokrat kam nur auf die Idee mit den dämlichen Gabelstaplern, auf denen die Götter in sinnloser Kurverei irgendwo herumrollen müssen. Wie desillusionierend ist es doch, bis sie diese Verladekranen bestiegen und sich umständlich festgeschnallt haben. Da geht jede Spontaneität total verloren. Und die Nähe zu den Handelnden und ihrem Schicksal verdorrt in technischem Gehabe. Und weiter: Eine sinnvolle Personenregie wurde daraufhin wohl auch gar nicht mehr versucht. Dabei ist sie doch die beste Errungenschaft des modernen Regietheaters. Von Valentina Carrasco konnte man sie ja auch nicht erwarten, wie sich dann später bei dem Ringverschnitt in Bueno Aires wieder erwies. Wenn die Götter also nicht gerade herumrollten, dann standen sie halt irgendwo irgendwie herum. So erstickten diese technischen Spielereien für meine Begriffe das tiefere Geschehen. Zum Killer wird diese Methode am armen Loge, der zwar ordentlich sang, aber darstellerisch auch alles seiner Rolle schuldig bleiben musste. Dramaturgisch interessant wurde es immer nur dann, wenn keiner mit den Gabelstaplern herumkreisen musste. So im wunderbar dichten ersten Akt von Walküre und von Siegfried oder im fast vollkommenen 3. Akt der Götterdämmerung. Da konnten die Sänger auch persönliche Regungen zeigen und Beziehungen zu den anderen aufbauen, wenn sie denn daran interessiert waren. Gefreut hat mich allerdings, dass hervorragend gesungen wurde. Allen voran von Juha Uusilato, dessen grandioser und stimmmächtiger Göttervater, sicher von sich heraus, auch mit einer herrlich trockenen Mimik agierte. Und Gerhard Siegel, der schon an der Met so hervorragende Mime. Er liefert eine ergreifende Charakterstudie, auch stimmlich großartig und großstimmig. Ich habe ihn ja sogar schon als Heldentenor erlebt (Siegmund). Lance Ryan kämpft, wie in Mailand, tapfer gegen die Probleme der Monsterpartie an, die ihm aber das Fürchten keineswegs lehren konnte. Im 3. Akt der Götterdämmerung wagt er sogar beeindruckend das fakultative hohe C! Jennifer Wilson als Brünnhilde mit wunderbar ausladender Höhe und gewaltiger Stimme. Leider auch mit einen ebenso gewaltigen Plastikbusen, den man ihr blödsinnigerweise umgeschnallt hatte. Ebenso lächerlich wie hässlich. Matti Salminen orgelte schon als Hunding mit herrlich schwarzem Bass und fieser Optik. Als Hagen hatten sie ihm dann noch schwarze böse Runen ins Gesicht geschmiert. Schon wieder einmal mit dem Holzhammer inszeniert, Motto: Merkt ihr Deppen im Publikum auch: „das ist ein Böser!“ Peter Seiffert sang den Siegmund routiniert und sensibel, einschließlich der rekordverdächtigen langen Wälserufe. Bloß als Zwillingsbruder der jungen Sieglinde müsste er wohl einige Jährchen vor seiner Zwillingsschwester zur Welt gekommen sein. Die sang und spielte Petra-Maria Schnitzer sehr überzeugend, obwohl sie dauernd an einer Hundeleine herumkriechen musste. Wieder der Regie-Holzhammer: Aufgepasst, die wird hier gefangen gehalten! Die tüchtige Turnerriege baute beachtliche Menschentürme auf, sehr dekorativ, aber ohne viel auszusagen, Zubin Metha ließ sich viel Zeit für alle Feinheiten der Partitur, wunderbar, aber auch etwas phlegmatisch, dennoch musikalisch sehr überzeugend. Ohne die technischen Spielereien mit den Gabelstaplern und der oft erdrückenden Bilderflut wäre es eine sehr eindrucksvolle Aufführung, die versucht neue Wege zu gehen. Und die viele Inszenierungsideen des guten alten Wagner auch erstaunlich verwirklicht.

Fazit: Oft richtig überwältigendes Illusionstheater, über das sich auch Wagner freuen würde, wenn, ja wenn nur die vielen technischen Spielereien nicht immer wieder vom sehr guten musikalischen Gelingen ablenken würden. Personenregie nur in homöopathischen Dosen feststellbar.

10.) Scala Milano: Barenboim / Cassier, 2012, Arthaus Musik

Versuchter Kompromiss zwischen Alt und Neu.

In der Mailänder-Scala-Inszenierung von 2015 geht Guy Cassier einen gut gemeinten Mittelweg: Da sind zunächst die sehr schönen Projektionen von Enrico Bagnoli, die den Romantiker erfreuen, der ja sonst bei den modernen Inszenierungen mit politischer Ausrichtung stets zu kurz kommt. Und sie überrollen den Zuschauer nicht derart mit Bildeindrücken, dass die Musik kaum mehr Beachtung finden kann. Sie geben aber auch dem Intellektuellen, der seinen Wagner gerne grübelnd betrachtet, mit ihrem philosophisch-psychologisch durchdachten Hintergrund viel Stoff zum Nachdenken. Außerdem stellt die Inszenierung mit ihrer auch handwerklich perfekten Personenführung den Theatermenschen in uns zufrieden. Aber auch musikalisch gibt es viel Positives zu melden. Da wäre zum ersten die sehr gefühlsbetonte Auslegung unter Barenboim, die mir sehr gut gefällt. Bei den Sängern überzeugte mich in erster Linie die sehr liebevoll und fast mädchenhaft scheue Darstellung der Brünnhilde durch die auch stimmlich großartige Nina Stemme. Leider wird sie in der Götterdämmerung durch Irene Theorin ersetzt, die zwar sehr großstimmig und mit erstaunlichem Totaleinsatz singt, aber die Einheit der Person ist eben nicht mehr gegeben. Das ist umso störender, weil auch gleich drei Wotane aufgeboten werden. Das ist umso ärgerlicher, weil sie leider auch qualitativ sehr unterschiedlich sind. Im Rheingold kann man mit Rene Pape vor allem stimmlich ja recht zufrieden sein, wenn er auch darstellerisch etwas blass bleibt. In der Walküre ist Vitalij Kowaljow stimmlich ein Traum-Wotan, wie man ihn seit George London vermisste, aber als Darsteller dafür so gut wie gar nicht vorhanden. Im Siegfried geht es mir mit dem Wanderer Terje Stensvold genau umgekehrt: der beste Darsteller der drei Götterväter, aber stimmlich vor allem in der Tiefe nicht so ganz auf gleichem Niveau. Lance Ryan singt und spielt, mangels besserer Alternativen einen zurzeit sicher ganz brauchbaren Siegfried, lässt mich aber weder Kollo oder Jerusalemund schon gar nicht die noch älteren Kämpen (Windgassen, Hopf, Beirer) vergessen. Hervorragend und mal ganz anders der fast philosophische Alberich von Johannes Martin Kränzle. Leider wurde Mime schon wieder „zweigeteilt“, wobei allerdings beide Besetzungen sehr gut sind. Auch der Loge von Stephan Rügamer lässt keinen Wunsch offen, im Gegensatz zum Hagen Mikhail Petrenkos, dem nicht nur die schwarze Stimme, sondern auch die bedrohliche Ausstrahlung fehlt. Aufgewertet wird der sonst so fade Gunther stimmlich und darstellerisch von Gerd Grochowski. Und aufmerken ließ mich auch Anna Samuil gleich in zwei Rollen, nämlich als Freia und Gutrune. Das gäbe nun wiederum Stoff zum Nachdenken, wenn es denn mit Absicht geschehen sein sollte und nicht aus Besetzungsproblemen heraus. Großartig auch Simon O‘Neill, dessen Timbre für den Siegmund geradezu ideal ist, klingt er doch gebrochener und nicht so strahlend gesund wie etwa Jonas Kaufmann. Bei John Tomlinson (Hunding) und der wie immer überwältigenden Waltraud Meier (Sieglinde) findet man das altgewohnte Superniveau. Ebenso bei der so wunderbaren Doris Soffel als Fricka im Rheingold, die aber in der Walküre schon wieder durch die allerding sehr akzeptable Ekaterina Guberova ersetzt worden war. Umso erfreulicher, dass wenigstens die Erda Anna Larssons im Siegfried wiederkehren durfte und nicht auch zweigeteilt wurde. Ein Theater wie die Scala sollte doch vermeiden können, dass die Besetzung gleich in fünf (!) wichtigen Rollern verändert wird, so dachte ich in meiner Einfalt!

Fazit: Als Kompromiss durchaus weiterzuempfehlen, musikalisch erste Wahl, störend die dauernden Umbesetzungen in Hauptrollen.

11.) Stuttgart: Zagrosek /Schlömer/ Nel/ Wieler/ Konwitschny, 2002, Euro-Arts

Das Drama vom gevierteilten Wagner.

Viele Köche verderben jeden Brei, wie seit alters her überall bekannt ist. Nur im Schwabenlande offenbar nicht. Und da genügten dann schon vier Köche, will sagen vier Regisseure. So entstand ein nicht zusammenpassendes, schizoides Gewirr von Regiedetails, die jede große Entwicklung verhinderten und jeden engen Zusammenhang zerstörten. Die Feuilletons fanden es wieder einmal „ein hoch interessantes Experiment“, und so werden wohl demnächst geltungssüchtige Intendanten für jeden Akt einen eigenen Regisseur holen oder gar für jede Arie. Was einige Ignoranten immer noch nicht begriffen haben, ist, dass der Ring ein Musikdrama ist, eben von 17 Stunden Dauer. In Erl hat man ihn ja mal in einem Stück gebracht. Einige hartgesottene Wagnerianer sollen es sogar überlebt haben. Im Stuttgarter gevierteilten Ring blieb nun als einzig verbindendes Element die Musik. Nur sie allein vermittelte Entwicklungen und Zusammenhänge über vier Abende. Und dem grandiosen Lothar Zagrosek und seinem ebenso grandiosen Orchester ist für die Rettung des Rings zu danken. Das funkelte und bot mit nie nachlassendem Drive ganz neue und wunderschöne Klangerlebnisse. Als CD wäre es so wenigstens eine akustische Sensation geworden.

Im Rheingold reduziert Joachim Schlömer das Optische nüchtern auf die allernötigsten Handlungsstränge. Wagners Werke leben aber auch von der szenischen Opulenz. So fehlt hier das sinnliche Erleben total. Außerdem muss das arme Hirn dauernd rätseln, was denn wohl gerade überhaupt und wo vor sich gehen mag. Denn die Reduktion auf ein Einheitsbühnenbild ist hier geradezu sinnstörend, denn im Rheingold gibt es eben drei total verschiedene Handlungsorte. Hier muss man sich nun Nibelheim mal oben und mal unten vorstellen und den Rhein als Springbrunnen in Wotans Burg, der aber auch in Nibelheim plätschert! Das Rheingold ist, man staune, bloß ein alter Spiegel. Warum der so wichtig ist, wird zur spannenden Rätselfrage, spannender als das Geschehen auf der Bühne. Das Nachdenken darüber trägt mich wieder durch eine halbe Stunde szenischer Langeweile auf der Bühne. Recht schnell ermüdet so jede emotionale Teilnahme. Zumal mir auch bei der Personenregie der nötige Biss fehlt. Nur der hervorragende Alberich (Essa Ruuttunen) fesselt. Loge wird zu einem freundlichen Typ ohne jede Stringenz. Und ich verlor sehr schnell das Interesse an dem ebenso faden wie banalen und recht unklaren Geschehen. Im Beiheft faselte einer von „Strindbergschem Zuschnitt“. Oh Gott, da tut er ja gleich beiden bitteres Unrecht: Wagner und Strindberg. Und ich erkannte wieder mal, dass man Wagner eben nicht ungestraft ins Handwerk pfuschen darf.

Die Walküre von Christoph Nel weckte bei mir trauererfüllte Sehnsucht nach dem alten Bühnenzauber. Was war es doch früher einst für eine überwältigende Szene, wenn die Tür aufsprang und der Mond hereinleuchtete, ein wenig Glückszauber für das arme Zwillingspaar ausstrahlte. Und ein beglückender Moment für den Zuschauer, den die Erinnerung daran noch durch den Alltag der nächsten Woche trug! Heute und hier ist alles in grämliches Grau gehüllt, ein Duschvorhang ist die Szene! Aus lauter Angst, irgendein gefühlloser Idiot könnte „Kitsch“ schreien. So armselig ist dann auch der Schluss, wenn Brünnhilde an einem wackligen Tischchen entschlummert und fünf flackernde Kerzenstummel den ganzen Feuerzauber darstellen! Und für diese „wabernde Lohe“ wird extra der Loge bemüht! Aber dann, zwischen der Walküre und dem Siegfried, ereignet sich wohl doch noch ein Wunder: Der Schlafenden ist die gebotene Location wohl doch zu kärglich geworden und so sie zieht sie, vermutlich schlafwandelnd, in ein elegantes Schleiflackzimmer um. Dort erweckt sie dann ein Prolet in verschmutztem T-Shirt. Der „Feuerwall“ mit den fünf Kerzenstummeln schreckte doch wohl keinen „Zagen“ ab, so wie es Wotan gedacht hatte, und auch keinen Prolo, an den Wagner bestimmt nicht gedacht hatte. Die Personenführung dagegen ist im Regietheater wie meistens ganz hervorragend, wirklich gekonnt, spannend und psychologisch durchdacht. Und Angela Denoke als Sieglinde schafft mit ihrer Ausdrucksintensität dann doch noch die sonst streng vermiedene Faszination.

Siegfried scheint mir der Tiefpunkt des schizophrenen Rings zu sein: Wieler/Morabito sehen natürlich alles total anders als Wagner: Der Wald ist bei ihnen kaputt, darum hat Wagner über ihn im Waldweben wohl die schönsten Melodien geschrieben? Der Waldvogel ist hier ein blinder Knabe, darum lässt ihn Wagner wohl auch so lustig pfeifen? Siegfried und Brünnhilde sind ein fettes Proletenpaar, darum hat Wagner für sie wohl auch das gewaltigste Liebesduett der ganzen Opernwelt komponiert oder? Warum nur, so frage ich, lassen die beiden Regisseure sich nicht von einem jungen Komponisten eine Oper nach ihrem Gusto schreiben? Da könnten sie dann so inszenieren, wie sie wollen. Und können meinetwegen alle Sänger dauernd onanieren lassen, so wie hier den bedauernswerten Mime. Aber sie wissen wohl, dass ohne Wagner kein Mensch sich dafür interessieren dürfte.

Die Götterdämmerung beginnt Konwitschny mit einem Germanenulk: Kulisse und Kostüm wohl von 1876. Aber der dritte Akt gelingt ihm dann wirklich ergreifend und ganz großartig, das kann er ja auch, wenn er will. Leider wollte er aber nur bis zum Schlussgesang. Denn dann geht das Licht im Zuschauerraum an und im nüchtern kalten Raum trägt Brünnhilde, im schicken roten Kostüm(!), eine Art Bundestagsrede vor. Luana de Vol macht das ganz großartig und ergreifend.

Die Sänger im ganzen Ring gaben übrigens ihr Bestes, hatten es aber schwer, auch in diesen Locations und Verkleidungen ihr gewohntes Niveau zu finden. Herausragend fand ich neben Luana de Vol und Angela Denoke, Roland Bracht als gewaltigen Hagen und Fasold, den stimmstarken Frederick West als S.- Siegfried und dem wandlungsfähigen Albert Bonnema, leider mit schwacher Wortverständlichkeit, als GD.- Siegfried.

Nun heißt es ja, man lerne aus seinen Fehlern. Stuttgart offenbar nicht! Denn soeben hat man dort schon wieder einen „gevierteilten“ Ring heraus gebracht, stopp, nein einen „sechsgeteilten“ Ring, mit ganzen 6 (!) Regisseuren „verbrochen“! Denn in der Walküre ist doch tatsächlich für jeden Akt ein anderer zuständig! Hab ich es nicht anfangs schon geunkt? Man kann keine Satire mehr schreiben, schon machen sie es nach!

Fazit: Eine von Richard Wagner persönlich missbilligte Produktion, wie er mir neulich sagte, die nur anzuraten ist für unheilbar hartnäckige Fans von werkzerstörerischen Aufführungen. Warnung an alle anderen: Ihre Freude an der Oper kann schweren Schaden nehmen. Fragen sie im Zweifel unbedingt Ihren Arzt oder Apotheker. Musikalisch wäre es ansonsten ja wirklich super.

12.) Frankfurt, Weigle / Nemirova, Oehms Classic, 2013

Gekonnte große Oper ganz ohne den erwarteten Aufreger.

Als ich den Namen der Regisseurin las, bin ich zunächst tüchtig erschrocken, hatte mich Vera Nemirova doch schon so manches Mal gehörig verschreckt. Ich fürchtete Schlimmes. Und nun erst recht im Jubiläumsjahr 2013, in dem ehrgeizige Intendanten sich doch gegenseitig übertreffen wollten mit möglichst spektakulären Inszenierungen. Um halt Aufmerksamkeit zu erregen mit provokanten Produktionen. Doch dann war ich schnell beruhigt, denn Frankfurt machte da eine erfreuliche Ausnahme. Sein Ring hält sich eng an Wagners Vorgaben, wofür ich der Regisseurin von Herzen dankbar war. Nur einige Albernheiten steuert sie bei, im Regietheater wohl unabdingbare Pflicht, um ernst genommen zu werden? So halt immer wieder die banalen Straßenanzüge der Mannen, die dann völlig unzeitgemäß auf Hagens Speerspitze schwören müssen! Und dieser Firlefanz zur gewaltigen Musik und dem Wagnerschen Pathos! Neu ist dagegen ein nackter Mann als Waldvögelein, Gottseidank singt er nicht mit vielleicht dröhnendem Bass, sondern mit geliehener Sopranstimme. Aber die Nemirova versteht wirklich ihr Handwerk, kann Personen führen und Spannung erzeugen. Die Inszenierung ist zeitgemäß und modern, ohne deren Botschaft inhaltlich zu verfälschen. Den großen provozierenden Aufreger gab es also Gott sei Dank hier nicht. Sehr überzeugend ist auch das optisch moderne sehr gut gelungene Bühnenbild von Jens Kilian, nämlich eine kreisrunde Scheibe, wenn die auch nicht neu ist, sondern schon vor 50 Jahren von Wieland Wagner erdacht wurde. Aber es ist halt eine überzeugende Lösung, drum wird sie ja immer wieder gerne übernommen. Hier sieht man sie noch in Ringe zerschnitten, was eine vage Vorstellung von dreidimensionalen Räumen gibt. Farblich ansprechend und stimmungsvoll, dem gewaltigen Geschehen durchaus adäquat! So zum Beispiel beim Feuerzauber. Bloß dass der Wotan in spießigen Hosenträgern herumläuft, das störte mich! Soll er so ein Spießer sein? Sebastian Weigle wurde als Dirigent wegen seiner mäßigen Tempi und weitgehend lyrischen Auffassung viel gescholten. Die Sänger dagegen dankten es ihm sicher und die noch nicht vom Lärm geschädigte Ohren der Zuschauer auch. Und auch der selige Wagner. Hat er in seinen Partituren doch viel öfter ppp stehen und nur ganz selten mal ein fff. Heute meine ich dagegen, viel öfter sogar 4 ffff zu hören, weil so mancher Taktstockschwinger Lautstärke mit Dramatik verwechselt. Das homogen gute Sängerensemble sorgt für gleichmäßig hohes Niveau, und so ist es mir lieber, als wenn ein Superstar als Zugpferd heraussticht. Frank van Aaken, mir aus Meiningen noch in bester Erinnerung, braucht als Siegmund keinen Vergleich zu scheuen, ebenso seine Sieglinde Amber Wagner. Im Trailer ist die „Bräutliche Schwester“ übrigens seine Ehefrau Eva Maria Westbroek, was einen besonderen Reiz hat. Sie sang schon im Ring an der Met die Sieglinde auf DVD und durfte sie vermutlich deshalb nicht auch noch woanders einspielen. Ain Anger besticht mit seinem schönen Bass als Hunding, Terje Stensvold ist auch ohne Riesenröhre, vor allem schauspielerisch, ein grandioser Wotan/Wanderer. Lance Ryan, der Siegfried vom Dienst, auch in Valencia und Mailand vertreten, mit bewundernswerter Durchhaltekraft und jugendlicher Beweglichkeit. Ihm vor allem aber kam die zurückhaltende Art des Dirigenten aber sehr zu Gute. Susan Bullock ist eine gefühlvolle ordentliche Brünnhilde. Aber auch die nur aus Platzgründen nicht Genannten trugen viel dazu bei, die fast unmenschlichen Ansprüche des Rings zu erfüllen, und das ist ja schon eine Superleistung. Den Bären ersetzt übrigens sein stets gern getragenes Fell.

Fazit: Modern, spannend, großzügig und auch noch werkgerecht. Den großen Aufreger gab es hier nicht, und das ist gut so!

13.) München, Nationaltheater: 1987, Sawallisch/Lehnhoff, früher EMI und auf YouTube.

Der „Krieg der Sterne“ in der Oper und besser nicht viel Nachdenken

Überwältigend sind die grandiosen Projektionen von Erich Wonder manchmal schon. Das Vorspiel zum 3. Akt Siegfried zum Beispiel, wenn der Wanderer durch Science-Fiction-Welten unglaublichen Ausmaßes wandert, oder wenn Siegfried endlich zum Felsen der schlafenden Tante geht: eine gigantische Schreckenswelt an phantastischen Albträumen. Aber da geht’s schon ärgerlich los: der von Wagner ja einkomponierte Feuerwall ist nicht dabei! Der Feuerzauber war ebenfalls enttäuschend: eher ein schmutzig schwefelgelber Nebel, der durch Dachluken hereinquillt. Imposant dann wieder das Weltraumschiff, in dem Wotan hoch über dem Erdenball residiert. In seinen Ruinen erwacht die schlafende Brünnhilde dann auch 20 Jahre später. Allerdings auch hier schon wieder ein ABER! Denn „sonnige Höhn“ gibt’s hier keine! Sie erwacht stattdessen in einem finster schauerlichen All mit einem finsteren, riesigen Erdball im Hintergrund. Grauslich! Da hätte sie besser weitergeschlafen, fuhr Miras durch den Kopf! Außerdem stimmt‘s ja schon wieder nicht! Denn „über den Wolken wohnen die Götter“ erklärte der Wanderer dem Mime. Seine geliebte Tochter aber ist keine Göttin mehr, er küsste doch „die Gottheit von Dir“. Was tut sie dann da oben im Götterhimmel, statt auf der Erde auf den furchtlosen Helden zu warten, wie es sich gehört? Äußerst eindrucksvoll auch Siegfrieds Rheinfahrt. Er schwebt aus fernen Himmelswelten über Planeten und Berge zur Erde. Aber er kommt doch eben vom Fels seiner Tante? Und der steht doch auf der Erde! Genauer, wenn man der Edda glaubt, in Island! Also schon wieder falsch! Über ein liebliches Tal fliegt er dann zu einer New York ähnelnden Riesenstadt. Dort leben die Gibichungen offenbar auch in einer Art kaputtem Raumschiff. Naja. Aber, selbst wenn einem Wagner Wurst ist, müsste es doch einen Unterschied geben zwischen Göttern und Menschen, die einen oben, die anderen unten, oder so, und nicht alle in Raumschiffen, sonst wird‘s unlogisch und die Dramaturgie ist zum Teufel! Schöne Bilder ohne Aussage allein tun‘s halt auch nicht.

Die Idee, den Ring als Science-Fiction-Story zu bringen, liegt ja eigentlich nahe. Doch weder wird sie vom Leitungsteam Lehnhoff/Wonder konsequent durchgeführt, noch ist sie mit einem erkennbaren neuen Regiekonzept verbunden. Und nichts geschieht konsequent: So stehen in Hundings Hütte in einer Baumkrone schöne alte Biedermeiermöbel. Vielleicht ist der grimme Mann ja gar ein verkannter nostalgischer Schöngeist. Mimes Höhle ist auch wieder schizophren, denn ein entnervend blinkender Computer und eine Schmiedewerkstatt aus Olims Zeiten teilen sich recht anachronistisch den finsteren Raum. Auch schleppen sich die Zukunftshelden und Götter immer noch mit Speer oder Schwert ab, weil sie halt im Verlauf der Handlung noch gebraucht werden. Verblüffenderweise auch in einem gigantischen Industriehangar, in dem Hagen im modischen Zweireiher SS-Gauner in Ledermäntel kommandiert. Dann sollte er doch folgerichtig den armen Siegfried wenigsten mit einem MG killen. Dauernd überdimensionale, kaputte Raumschiffe in einer zertrümmerten Welt, wie nach einer großen galaktischen Katastrophe. Aber die gibt’s doch erst am Ende der Götterdämmerung. Wozu das ganze Drama, wenn in der Walküre schon alles hin ist? Enttäuschend auch das Ende der Götterdämmerung: Die drei vergammelten Landstreicherinnen, es sollen wohl die Rheintöchter sein, erhalten den Ring nicht. Und warum nicht? Und was geschieht dann mit dem blöden Ring, der uns 16 Stunden lang beschäftigt hat? Alberich kriegt ihn auch nicht, er zerschlägt eine alte LP und geht ab. Vorhang zu. Wie bitte? Das soll’s jetzt gewesen sein? Und wieder erscheint das blödsinnige „es war einmal.“, das der Loge zu Beginn des Rheingolds an eine Wand kritzelte. Also eine neue, erhellende Wagner-Deutung ist das wohl nicht. Eher eine Unverschämtheit.

Es bleibt die Musik. Behrens, Kollo, Sawallisch und Varady, zum einzigen Mal vereint auf DVDs, das war der Hauptgrund, warum ich diese Aufnahme mit hereinnahm, obwohl sie inzwischen offiziell ja wohl nicht mehr so leicht zu beschaffen ist. Hat sich‘s gelohnt? Dieser so zuverlässige Dirigent, dem ich in München so manches musikalische Erlebnis verdankte, ist vielleicht der letzte ganz große Kapellmeister der alten Schule gewesen. Und das meine ich nicht im Geringsten geringschätzig. Er garantierte eigentlich immer einen grundsoliden, seriösen Abend. Er enttäuscht auch hier nicht, obwohl es Kollegen gibt, die das Ganze packender, feuriger und auch „frecher“ angehen. Doch das lässt sich heute auch über den großen alten Böhm sagen oder über Solti und Karajan. Einen guten, werkgerechten Eindruck garantiert er immer noch. Die einzigartige Julia Varady, die durch unglaubliche Identifikation und Ausdrucksvielfalt schon immer begeisterte, wird als Sieglinde bis heute wohl kaum erreicht. Hildegard Behrens war damals das neue Ereignis im hochdramatischen Fach, nach dem Stimmwunder wie Birgit Nilsson abgetreten waren. Auch sie ist darstellerisch mitreißend hingebungsvoll und kultiviert. Und Rene Kollo ist meiner Meinung nach neben Siegfried Jerusalem von keinem seiner Nachfolger als Siegfried erreicht, geschweige denn übertroffen worden. Meines Wissens ist er als Siegfried sonst auf keiner anderen legalen DVD zu erleben. Matti Salminen als immer wieder gewaltig finsterer Hagen, Robert Hale als großartiger Obergott, ganz zu Unrecht im Schatten von James Morris stehend, den man für die Premiere geholt hatte. Waltraud Meier ist eine wunderschöne Waltraute. Und Robert Schunk, der den großartigen James King, den damaligen Heldentenor vom Dienst, nur recht mühselig ersetzen konnte.

Fazit: Musikalisch konnte man ja mehr als zufrieden sein. Über die bildgewaltige Inszenierung darf man halt nicht zu viel nachdenken. Und am besten den alten Wagner vergessen.

Peter Klier, 27. Oktober 2023


Weiter geht es hier mit Teil 4.


Übersicht:

Teil 1: Weimar, Lübeck, Bayreuth 1992, Amsterdam

Teil 2: Sofia, Kopenhagen, Bayreuth 1976/80, New York 1988/90

Teil 3: Valencia, Mailand, Stuttgart, Frankfurt, München 1987

Teil 4: Barcelona, Buenos Aires, Mannheim, Deutsche Oper Berlin 2022, New York 2011, Marionettentheater Salzburg