Nach einjähriger Pause wieder mit 50 Freunden unterwegs nach Baden. Dann der erste Schreck, mein Anfang letzten Jahres gebuchtes Hotel teilte mir in diesem Februar mit, dass es geschlossen werden muss. Verzweifelte Suche nach Ersatz gipfelte schließlich darin, dass uns das Hotel „At the Park“ aufnahm, tolles Hotel, klasse Zimmer, super Essen und wenige Schritte von der Sommerarena entfernt. Die Fahrt war gerettet. Keine Einschränkungen (durch Corona) mehr, lediglich das Wetter ließ etwas zu wünschen übrig, aber es gibt ja kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Der einzige Wermutstropfen war, dass das Dach der Sommerarena an beiden Vorstellungen leider geschlossen bleiben musste. Aber dies war zu verschmerzen, man hofft auf nächstes Jahr. Gespielt wird in der wunderschönen, frisch renovierten Sommerarena, die nun in strahlendem Weiß brilliert, neue Probenräume, neue Toiletten, vieles ist neu und auch eine Drehbühne gibt es diesmal auch. Leider nur für diese Saison, hier sollte man sich wirklich überlegen, diesem herrlichen Haus eine solche ganz zu spendieren. Ich habe schon öfter von diesem Prunkstück Sommerarena geschwärmt, einem Haus, welches 1906 gebaut wurde, mit Finessen, die man der damaligen Zeit gar nicht zugetraut hätte. Und dies in einer Kleistadt von gerade einmal über 27.000 Einwohnern. Eine wirklich reizende, wunderschöne Kurstadt mit langer Tradition, die schon auf die alten Römer zurückgeht. Diese liebten schon die heißen Schwefelquellen und auch der Adel und später verschiedene Kaiser kamen auch aus diesem Grunde gerne nach Baden. Und es beeindruckt wirklich, was eine solche, doch recht kleine Stadt zum Beispiel im Theaterbereich auf die Beine stellt. Neben der Sommerarena sind es das Stadttheater und das Max-Reinhardt-Foyer, die Operette, Oper, Musical, Ballett und Schauspiel über das ganze Jahr mit großem Erfolg aufführen.
Die erste Aufführung, die wir erleben, ist die bekannte Operette „Der Graf von Luxemburg“ von Franz Lehár. Und Baden hält die Operette nach wie vor hoch, wenn man woanders nur noch Musicals aufführt. Die Kunstgattung der Operette wird in Baden gepflegt wie ein kleines Pflänzchen und zum vollen Erblühen gebracht. Thomas Smolej hat die Operette, die 1909 (also drei Jahre nach der Errichtung der Sommerarena) komponiert wurde und nicht zu den Lieblingsoperetten des Komponisten zählte, dafür umso mehr für sein Publikum, auf die Bretter, die die Welt bedeuten gestellt. Der junge Regisseur hat keine großen Experimente gemacht, sondern die Operette so aufgeführt, wie sie geschrieben worden war. Eine kleine Überarbeitung des Librettos, eine Bühne, die ohne großen Firlefanz auskommt. Im Programmheft schreibt Smolej unter anderem: „Im Ganzen haben wir an einer flotten, natürlichen und witzigen Variante gearbeitet“. Und genauso kommt das Stück auf die Bühne, sehr unterhaltsam und – wie in Baden üblich – mit hervorragenden Sängern.
Der Inhalt ist schnell erzählt. Der reiche Fürst Basil Basilowitsch ist, trotz seines hohen Alters, unsterblich in die Sängerin Angéle Didier verliebt und möchte sie unbedingt zu seiner Frau machen. Da sie sich dem Fürsten verpflichtet sieht, stimmt sie zu. Jedoch ein Fürst mit einer Sängerin ist nicht unbedingt standesgemäß. Deshalb will der Fürst sie mit dem verarmten René, dem Grafen von Luxemburg verheiraten, ohne dass die beiden sich sehen, also eine Art Scheinehe und nach kurzer Zeit sollen sie wieder geschieden werden und eine geschiedene Gräfin ist dem Fürsten dann ebenbürtig und einer weiteren Heirat mit ihm steht nichts im Wege. Dafür bezahlt er den Grafen fürstlich. Doch hier hat sich der Fürst getäuscht. René erinnert sich an den Duft und die Hand seiner Gemahlin und nach einigen Verwickelungen erkennen sie, dass sie sich wahrlich lieben, der Fürst muss sich mit der Gräfin Stasa zufriedengeben, die schon lange ein Auge auf ihn geworfen hat und der Freund Renés, der Maler Armand Brissard verliebt sich in Juliette Vermont und am Ende stehen drei Ehepaare auf der Bühne, zweimal freudig und einmal mit zusammengebissenen Zähnen. Und das Ganze ist geschmückt mit den herrlichsten Melodien Franz Lehárs. Das Bühnenbild stammt von Marcus Ganser, schnörkellos, die Andeutung eines großen Hotels auf die Bühne gestellt, leichte Dekorationen, alles zweckmäßig und ohne allzu großen Aufwand. Das lenkt auch nicht vom Geschehen auf der Bühne ab. Die Kostüme stammen von der in Vojvodina im ehemaligen Jugoslawien geborenen Ágnes Hamfass, sind bunt, schön anzusehen, viel Rot und Glitzer auf der Bühne, insgesamt eine augendienliche Kostümierung, die Spaß macht. Die stimmige Choreografie von Daniel Feik ist ohne Fehl und Tadel. Alles ist gut aufeinander abgestimmt, die Chorszenen und Chorauftritte, die Balletteinlagen, insgesamt gesehen ist kein Kritikpunkt erkennbar.
Das Orchester der Bühne Baden ist auch an diesem Abend sehr gut eingestellt, eigentlich war es die letzten Jahre immer so, ich kann mich an keinen einzigen Ausfall erinnern. Die Musiker lassen unter der zupackenden Hand des Dirigenten Marius Burkert die herrlichen Melodien Lehárs richtig fließen und umschmeicheln damit die gebannt zuhörenden Zuschauer. Burkert geht auch auf die Sänger ein, dort wo es notwendig erscheint und drosselt die Wogen des Orchesters, damit darin keiner der Protagonisten darin untergeht. Wo es erforderlich ist, lässt er die Musik jedoch auch strömen und leidenschaftlich die Operette begleiten. Die Musik Lehárs, die von manchem Kritiker als zu süß, zu kitschig bezeichnet wird, durchströmt richtiggehend das ganze Theater. Nein, dem Publikum gefallen die einschmeichelnden Melodien und dem Dirigenten merkt man seine Liebe zur Musik Franz Lehárs richtiggehend an, voller Leidenschaft wirft er sich in die musikalischen Fluten der Aufführung und seine Musiker sind mit Leib und Seele dabei, was ich selbst, in der ersten Reihe sitzend, beobachten kann.
Nun zu den für mich wichtigsten Darstellern auf der Operettenbühne, den Sängern der Aufführung, sie sind das Tüpfelchen auf dem i und viele Aufführungen stehen oder fallen mit ihren Leistungen. Hier in Baden gibt es eigentlich in den Jahren, in denen ich die Bühne begleiten darf, eigentlich nie einen Komplettausfall, leichte Anmerkungen bei der ein oder anderen Gesangsleistung, aber nichts, was das Gesamtwerk beeinträchtigen kann. Und auch heute an diesem Abend sind die Rollen überwiegend rollendeckend besetzt. Die Sänger sind durch die Bank gut aufgelegt, geben ihr Bestes und sind vor allem mit Leib und Seele dabei. Man spürt im Publikum richtig, wie sich jeder mit seiner Rolle identifiziert, sich mit aller Leidenschaft hineinwirft und dem Publikum sein Bestes zeigen will. Das Publikum gibt diesem Einsatz das zurück, was man als Brot des Künstlers bezeichnet, nämlich den Applaus – und dies in üppigem Umfang.
Als Sängerin Angelé Didier ist die in Bruck an der Mur geborene Sopranistin Sieglinde Feldhofer zu erleben. Ihr zuzuhören und zuzusehen macht einfach nur Spaß. Ihr gut geführter, weicher und strahlender, heller Sopran, verbunden mit einer großen Portion Charme, bezaubert nicht nur den Grafen und den Fürsten, sondern auch das gesamte Publikum. Leuchtende, klare, reine Spitzentöne, die keine Grenzen zu kennen scheinen, erlauben ihr eine exzellente, mehr als rollendeckende Darstellung der Partie. Dass sie daneben auch eine vorzügliche Darstellerin ist, mit viel Spiellaune und Spielwitz, sei nur am Rande erwähnt. Ihr zur Seite, als René, Graf von Luxemburg, der in Moldawien geborene rumänische Tenor Iurie Ciobanu. Ich habe ihn schon öfter gehört und habe das Gefühl, dass er von Spielzeit zu Spielzeit besser wird. Ciobanu spielt den verarmten Adligen nicht nur, er ist es. Er bringt die Gestalt des verarmten, blasierten, verschwenderischen Lebemanns, der alles mit vollen Händen ausgibt, mehr als rollendeckend auf die Bühne. Sein strahlender Tenor scheint noch kraftvoller geworden zu sein, weich, aber mit metallischen Spitzentönen und strahlender Höhe, die er mehr als effektvoll einsetzt, weiß er Angéle zu verzaubern, aber auch das gespannt lauschende und mitgehende Publikum, welches sich für seine Leistung zu Recht mit tosendem Applaus bedankt. Eine mehr als herausragende Leistung, auch in den Duetten mit Sieglinde Feldhofer. Als Maler Armand Brissard hat der österreichische Bariton Thomas Zisterer wieder einmal eine Paraderolle gefunden. Mit weichem, fülligem, stimmschönem Bariton kann er mehr als gefallen. Spritzig und voller Spiellaune wirbelt er auf der Bühne herum, zusammen mit seiner kongenialen Partnerin als Juliette Vermont, der Wiener Sopranistin Claudia Goebl. Sie hat einen reinen, klaren und beweglichen, perlenden Sopran, der sich auch bei den Duetten voll entfalten kann, eine Spiellaune, die ansteckt und auch mit dem Tanzen geht es wunderbar. Als Fürst Basil Basilowitsch ist der aus Bielsko-Biala in Polen stammende Roman Frankl zu erleben. Für mich ist er in erster Linie ein Schauspieler und zwar ein hervorragender. Seine Operettenarien bringt er gekonnt über die Rampe, immer dabei, immer voller Leidenschaft und vor allem auch immer berührend. Aber ich habe bei den Stücken immer noch einen profunden Bass im Ohr und das ist er halt nun nicht. Aber man muss eingestehen, dass er die Figur mit viel Wärme und hervorragendem Spiel auf die Bühne stellt und er erntet dafür sehr viel Beifall. Dem Publikum gefällts – und das ist die Hauptsache.
Als Gräfin Stasa Kokozowa ist die Wienerin Marika Lichter zu erleben. Und bei ihrem ersten Auftritt hat man ihr keinen Gefallen getan. Bei laut spielendem Orchester muss sie aus dem Zuschauerraum heraus einiges sagen. Leider weiß ich nicht was, denn man konnte überhaupt kein Wort davon verstehen. Das hätte man merken können und wenigstens die Musik nur ganz ganz leise spielen lassen. Sie kann dafür mit Sicherheit nichts. Aber gut, ansonsten gestaltet sie die Rolle schauspielerisch exzellent, beim Couplet gibt sie alles und das Publikum zeigt ihr, warum es sie schon viele Jahre lang liebt. Ein Auftritt, in den sie auch sehr viel Gefühl steckt. In kleineren Rollen sind noch Beppo Binder Notar, Branimir Agovi als Pelegrin, Glenn Desmedt als Pawlowitsch, Erin Marks als Sidonie, Vladimir Polovinchik als Saville, Mario Fancovic als Boulagner und Russi Nikoff als Manager zu erleben. Alle geben ihr Bestes, es ist keinerlei Ausfall festzustellen. Zufrieden verlässt man die Sommerarena, freut sich auf den nächsten Tag auf die Frühjahrsparade und pfeift etliche Lieder der Operette leise vor sich hin. Operette soll unterhalten und ein bisschen von den Alltagsorgen ablenken, dies ist an diesem Abend ausgezeichnet gelungen.
Manfred Drescher, 11. August 2023
Der Graf von Luxemburg
Operette von Franz Lehár
Regie: Thomas Smolej
Musikalische Leitung: Marius Burkert
Orchester, Chor und Ballett der Bühne Baden
Premiere: 16. Juni 2023
Besuchte Vorstellung: 4. August 2023