Sommerarena Baden, besuchte Premiere am 31.7.
Eine spritzige Verwechslungskomödie in das Wien um 1910 verlegt…
Zum 150. Geburtstag des wohl bedeutendsten Komponisten der Silbernen Operettenära und 100 Jahre nach der Uraufführung der „Blauen Mazur“ im Theater an der Wien (28.5.1920) war es naheliegend dieser beiden Daten in durch eine versuchte Wiederbelebung der sträflich aus dem Repertoire der Bühnen im In- und Ausland verschwundenen „blauen Mazur“ in Baden zu gedenken. Das Libretto dieser Operette in zwei Akten mit einem Zwischenspiel stammte von den jüdischen Librettisten Leo Stein (1861-1921) und Bela Jenbach (1871-1943). Für die in Polen Anfang des 20. Jhd. spielende Operette hat Hausherr und Regisseur Michael Lakner eine eigene, Covid-19 taugliche, pausenlose 105 minütige Fassung ohne Chor und Ballett erstellt. Das Ergebnis war ein kammermusikalisches Lustspiel mit aktuellen Gegenwartsbezügen, ein Tür auf – Tür zu Verwechslungsspiel à la Georges Fedeau. Durch die Handlung führte Oliver Baier als Conférencier, der dann auch immer wieder – aus Personalmangel – in verschiedene Rollen schlüpfen musste…
Die Handlung spielte bei Lakner in der Nähe von Wien in den Jahren um 1910. Man feiert eine jüdische Hochzeit zwischen der Wiener Gräfin Blanka von Lossin mit dem polnischen Grafen Olinski, der in dieser Fassung den klingenden Namen Graf David Szpilmanski erhält, wobei Ähnlichkeiten mit gelebt habenden Personen rein zufällig sind. Als die Braut aber vom Vorleben ihres Bräutigams erfährt, verlässt sie ihn tief gekränkt und findet Schutz und Zuflucht beim Freiherrn von Reiger, in dessen bizarrem Männerhaushalt auch dessen Adoptivsohn Benjamin als braver und angepasster Studiosus sein Dasein fristet um in seinem Alter Ego als "Baruch" im Umfeld seines Freundes David gleichfalls ein Lotterleben zu führen. Unerwartet aber taucht Graf Szpilmanski bei einem Fest auf Reigers Landschloss zu Ehren Blankas auf. Das Doppelleben von Benjamin/Baruch fliegt auf und es gelingt Graf Szpilmanski schlussendlich, seine Gemahlin Blanka bei Sonnenaufgang bei einer "Blauen Mazur" für sich zurückzugewinnen… Nach dem Applaus choreographierte Oliver Baier noch einen geordneten Auszug aus der Badener Arena, bei dem das Publikum seinen Mund-Nasen-Schutz wieder aufsetzen musste.
Der Wiener Tenor Clemens Kerschbaumer glänzte gesanglich und darstellerisch als polnischer Graf jüdischer Herkunft David Szpilmanski. Sieglinde Feldhofer war ihm zur Seite eine leidenschaftliche Blanka von Lossin, deren Sopran nur bei wenigen Spitzentönen manchmal etwas angestrengt klang. Buffotenor Ricardo Frenzel Baudisch konnte in der Doppelrolle als leidenschaftlicher Draufgänger Baruch während der Nacht und als biederer Student Benjamin am Tag sein großes schauspielerisches Talent unter Beweis stellen. Ihm zur Seite war Martha Hirschmann mit ihrem gut geführten Mezzosopran eine quirlige und resolute Gretl Aigner vom Wiener Hofballett. Der Tiroler Thomas Zisterer unterlegte seinen eher hellen Bariton der Rolle des Clemens Freiherr von Reiger, der in seinem reinen Männerhaushalt gemeinsamen mit seinen Freunden Thomas Weinhappel als Leopold Baron Abwatsch und Philippe Spiegel als Albin Edler von Unbedarft logiert. Sie alle drei haben misogyne Tendenzen, die sie aber ob ihr homoerotischen Neigungen zu kaschieren suchen. In den kleineren Rollen versahen Wolfgang Gerold als Baron von Goldberger, Thomas Essl als von Rosenblatt, Beppo Binder in der Doppelrolle als von Lustig und Exzellenz von Vodkarov sowie in den stummen Rollen Jan Bezak als Diener und Lakai sowie Dessislava Filipov als Serviermädchen ihre Rollen mit jeweils eigenständigem und unverwechselbarem Profil.
Das Orchester der Bühne Baden wurde von Franz Josef Breznik mit Maske umsichtig geleitet. Auf Grund der geltenden Abstandsregelungen spielten einige Musiker in den Proszeniumslogen. Christof Lerchenmüller schuf praktikable historisierende Bühnenbilder, die alle raschen Szenenwechsel ohne Schwierigkeiten ermöglichten. Friederike Friedrich kleidete alle Beteiligten in zeitgenössische elegante Kostüme und Uniformen. Michael Kropf sorgte für eine spritzige Choreographie der Mazurka und der Walzer. Intendant Michael Lakner gelang es mit seiner rasanten Inszenierung mit viel – nicht nur jüdischem – Wortwitz und Aktualitätsbezug in diesen schweren Zeiten eine sehenswerte Aufführung in die Badener Sommerarena zu stellen. Von den 600 Zuschauerplätzen waren an diesem Abend nur die behördlich erlaubten 200 Plätze mit den nötigen Abständen (jede zweite Reihe im Parkett und Parterre leer) gefüllt. Umso mehr spendete das Theater entwöhnte Publikum dieser Aufführung außerordentlich starken Beifall, dem sich der Rezensent aus vollem Herzen anschloss.
Harald Lacina, 1.8.2020
Fotocopyright: Christian Husar