Einen Opernabend besonderer Güte erlebte die Rezensentin am 25. Oktober 2024 in Duisburg. Der neue Chefdirigent der Oper am Rhein, Vitali Alekseenok, stand am Pult der Duisburger Philharmoniker, und der Chor war von Patrick Francis Chestnut absolut präzise einstudiert. Es war Verdis „La Traviata“ in der zeitlosen Inszenierung von Andreas Homoki, die am 15. Januar 2006 in der Bonner Oper Premiere feierte, damals unter der Leitung von Erich Wächter mit Irina Oknina als Violetta, Timothy Simpson als Alfredo und Aris Argiris als Giorgio Germont. Man hatte in der Kooperation der Deutschen Oper an Rhein mit der Oper Bonn eine Inszenierung von Andreas Homoki aus der Spielzeit 1996/97 in Leipzig übernommen.
Ich habe „La Traviata“ mehrmals in der Bonner Oper (am 23. Februar 2013, 27. Februar 2013 und am 6. Juni 2013 – damalige Besetzung: Miriam Clark, Mirko Roschkowski und Aris Argiris) gesehen. Für Schülerinnen eines katholischen Mädchengymnasiums war es ein idealer Einstieg in die Kunstform Oper.
Am 14. September 2019 hat mich ein guter Freund in die Düsseldorfer Oper in diese Inszenierung eingeladen, diesmal mit Anna Princeva als Violetta. Ich war von Princeva als Violetta begeistert und von der zeitlosen Frische der Inszenierung beeindruckt.
Die Oper am Rhein wollte die Inszenierung schon absetzen, aber es gab ein Publikumsvotum „für den Erhalt unserer Traviata“. Jetzt ist sie in Duisburg, frisch wie am ersten Tag, und ich war entzückt über die klare Personenführung. Marc Daniel Hirsch, früher Spielleiter an der Bonner Oper und mit dem Regiekonzept vertraut, hatte die Personenführung geschärft, und Chor und Ensemble der Oper am Rhein und die Duisburger Sinfoniker unter der Leitung des neuen Chefdirigenten Vitali Alekseenok entfesselten auch im gut gefüllten Duisburger Haus begeisterte Ovationen.
Lucia Fatyol als Violetta – ich habe das Kleid jetzt schon an vier verschiedenen Sängerinnen gesehen – bewährte sich in der auch schauspielerisch sehr anspruchsvollen Rolle, Tenor Paride Cataldo war ein guter Alfredo. Highlight war für mich die reife Darstellung des besorgten Vaters Germont von Alexey Zelenkov, der die ehrliche Reue darüber, wie er mit Violetta umgegangen ist, in seiner Körpersprache und vor allem mit noblem Bariton überzeugend darstellte. Mein Augenmerk richtete sich diesmal auf die Inszenierung in der stark reduzierten Bühne von Philipp Schlössmann mit den zeittypischen Reifröcken der Entstehungszeit und komplett in Schwarz-Weiß gehaltenen Kostümen von Gabriele Jaenecke. Der Verzicht auf Ausstattung und Requisiten auf einer spiegelnden Fläche lenkt den Blick auf die ausgeklügelte Personenführung und erleichtert die Konzentration auf Verdis geniale Musik. Die Blumen, die vor der Szene in Violettas Landhaus aus dem Boden sprießen, weil hier Alfredo und Violetta in großer Sorglosigkeit ihre Liebe leben, werden von den Damen der Festgesellschaft, die sich in Floras Haus zum Ball treffen, restlos gepflückt.
Die harte Realität der gesellschaftlichen Konventionen, verkörpert durch den Vater Germont, noch massiver durch den von Patrick Francis Chestnut einstudierten Chor in Homokis Personenführung, zerstört die Idylle der romantischen Liebe. Homoki abstrahiert von sämtlichen Ausstattungsdetails eines feudalen Ballsaals, alles spielt sich auf einer spiegelnden Fläche ab, und die Positionen der Protagonisten und des Chors sagen alles über die Beziehung zwischen den Figuren aus. Besonders auch die Figur des Vaters, durch einen ausladenden Mantel und einen Zylinder überlebensgroß, der im zweiten Akt aus dem Hintergrund bedrohlich naht und erst im dritten Akt den Mantel – die gesellschaftlichen Konventionen – ablegt und Mitleid mit der sterbenden Violetta zeigt, sind sehr scharf gezeichnet. Der Chor, im dritten Akt fast ständig auf der Bühne, singt nicht nur mit minimalistischen Bewegungen das Zigeuner-Ballett, sondern auch als Mauer der Gesellschaft, die Violetta den Rücken zudreht und sie in ihrer schweren Krankheit und Mittellosigkeit eiskalt ignoriert, die Musik, die Karneval feiernde Passanten draußen singen. Dazu tragen die Chormitglieder Totenmasken. Hier sieht man, dass Verdi Grundzüge des Verismo vorweggenommen hat: er nimmt eine wahre Geschichte, die am Karnevalsdienstag endet und schonungslos das Sterben einer jungen Frau an Tuberkulose begleitet. Zu spät kommen Alfredo und sein Vater zur todkranken Violetta und können nur noch ihr Sterben begleiten.
Kein Wunder, dass Andreas Homoki, nach einer Intendanz der Komischen Oper Berlin von 2004 bis 2012 und seit 2012/13 als Intendant der Züricher Oper mittlerweile mit mehreren spektakulären Produktionen weltweit renommiert ist.
Miriam Clark, die bereits 2012 in Bonn die Norma gesungen hat, ist mit dieser Rolle international beachtet und hat nach einer erfolgreichen Salome in Karlsruhe 2022 und Aida 2023 in der Danish National Opera eine internationale Karriere gestartet. Mirko Roschkowski wächst nach Jahren der Mozart-Partien und des französischen Fachs in das Heldenfach hinein und hatte 2024 sein Bayreuth-Debut als Froh in Wagners „Rheingold“, am 4. November 2018 debütierte er in Bonn als Lohengrin, am 3. Oktober 2024 als Stolzing, und Aris Argiris ist Professor für Gesang an der Universität der Künste in Berlin und hat mit Heldenbariton-Rollen wie Rigoletto in Gelsenkirchen, Jago in Darmstadt am 25. Februar 2024 und Wotan am 8. Oktober 2022 als freischaffender Künstler reüssiert.
Es war ein beglückender Opernabend, denn Vitali Alekseenok hat dem Ensemble und dem Chor mit seinem konzentrierten Dirigat den Raum gegeben, sich zu entfalten. „La Traviata“ läuft noch bis zum 26. Dezember 2024 im Theater Duisburg.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 5. November 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom OPERNMAGAZIN
La Traviata
Giuseppe Verdi
Deutsche Oper am Rhein, Duisburg
25. Oktober 2024
Regie: Andreas Homoki
Dirigat: Vitali Alekseenok
Duisburger Philharmoniker